»Worte haben Konsequenzen«

Meistens weiß man von nichts: ARD und ZDF und der Antisemitismus

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 6 Min.

Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee in Berlin, beobachtet nicht nur, aber eben auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer wieder eine falsche Berichterstattung. Dann, wenn es um Israel und Palästina geht. Israel werde allzu oft als einseitiger Aggressor, Palästinenser als Nur-Opfer dargestellt. Die Realität aber sehe oftmals anders aus. Diese Art der Berichterstattung trage mit bei zum sogenannten israelbezogenen Antisemitismus. Und hier ein Beispiel aus dem Zweiten Deutschen Fernsehen: »Im November 2021 hat ein Hamas-Terrorist in Jerusalem eine Person getötet, mehrere verletzt. Da titelte ›Heute-Express‹: ›Israel. Ein Palästinenser erschossen‹. Ohne Kontext, als hätte die israelische Polizei einfach irgendeinen Palästinenser erschossen«, erläutert Leemhuis.

Dazu möchte beim ZDF selbst auf mehrfache Nachfrage hin niemand ein Interview geben. Schriftlich heißt es: »Am Sonntag, 21. November 2021, wurde in den ›Heute‹-Ausgaben um 17 und 19 Uhr vom ›Anschlag in Jerusalem‹ berichtet und dies auch so eingeblendet. Nur in der früheren ›Heute- Xpress‹-Ausgabe wurde zunächst ›Israel: Ein Palästinenser erschossen‹ eingeblendet und direkt im Anschluss: ›Polizei: Angriff auf Israelis‹. Die anschließend in den ›Heute‹-Ausgaben verwendete Betitelung ›Anschlag in Jerusalem‹ ist die richtige.«

Also ein einmaliger Ausrutscher? Keineswegs: Immer wieder komme es zu Fehldarstellungen in den öffentlich-rechtlichen Medien, kritisiert Leemhuis. So gab es im Januar 2022 die ZDF-»Heute«-Überschrift: »Israelische Armee greift Hamas-Ziele an«, ohne den Zusammenhang darzustellen. »Die Überschrift suggeriert, dass Israel anlasslos Ziele im Gazastreifen angegriffen hat. Der Kontext ist aber, dass die Hamas vorher Raketen auf Israel abgeschossen hat. In der Realität waren diese israelischen Angriffe also eine Reaktion auf Raketenbeschüsse aus dem Gazastreifen auf Israel. Nach meinem Verständnis gehört es zum Handwerkszeug der Journalisten, die Reihenfolge der Ereignisse akkurat abzubilden. Aber solche Überschriften suggerieren etwas vollkommen anderes«, beklagt Remko Leemhuis vom American Jewish Committee in Berlin.

Auch in den ARD-Anstalten passieren Fehler. So berichtete ein Reporter in der RBB-»Abendschau« am 17. Mai 2021 in einer Live-Schaltung über einen antiisraelischen Protestmarsch in Berlin: »Es waren weit mehr als 1500. Es war sehr bunt, es waren sehr viele junge Menschen da. Viele junge Frauen, die auch sehr viel Farbe in diese Demonstration reinbrachten aufgrund von vielen palästinensischen Fahnen, die sie mitgebracht hatten, aber auch durch ihre Kostüme, ihre Kopftücher, teilweise auch geschminkt - das verlieh dieser Demonstration eine sehr, sehr gute Atmosphäre.«

Kein Wort darüber, dass gerade eine antiisraelische und antijüdische Demonstration mitten durch Berlin zog. Stattdessen wurde der Eindruck eines harmlosen folkloristischen Volksfestes vermittelt. Auf Anfrage wollte auch beim RBB niemand ein Interview dazu geben. Auch hier gibt es nur die schriftliche Antwort, dass der strittige Beitrag aus der Mediathek gelöscht wurde. Intendantin Patricia Schlesinger habe sich noch in der Rundfunkratssitzung im Mai 2021 für die verunglückte Live-Schalte entschuldigt. Also doch alles nur Versehen, die so nicht mehr vorkommen werden? Remko Leemhuis befürchtet, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in Zukunft solche Falschdarstellungen produzieren wird. Er pocht auf mehr Sorgfalt schon bei der Wortwahl: »Zum Beispiel wenn Begriffe benutzt werden wie ›Hamas-Aktivisten‹, statt von Terroristen zu reden. Wenn gesprochen wird von primitiven selbst gebauten Raketen, als wenn die Hamas nur harmlose Silvester-Raketen nach Israel schießt.«

Fatal seien solche Fehler besonders auf Kanälen, die vor allem junge Menschen ansprechen sollen. So betitelte das öffentlich-rechtliche Jugendformat »STRG_F« eine Reportage mit: »Israel geimpft, Palästina leidet!« Die Botschaft konnte schnell so verstanden werden, dass Palästinenser an Corona sterben, weil Israel deren Impfung verhindere, was aber nicht den Tatsachen entspricht. »Es finden sich in dem Film zum Teil hanebüchene Verzerrungen der komplexen Realität vor Ort. Die ganze Montage des Beitrags ist tendenziös und so angelegt, dass Stimmung gegen Israel gemacht wird. Das Versagen der Palästinensischen Autonomiebehörde wird mit keinem Wort erwähnt«, kritisiert Leemhuis.

Auch Levi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) fordert wesentlich mehr Sorgfalt bei der Wortwahl. Öffentlich-rechtliche Journalistinnen und Journalisten müssten viel mehr in Sachen Israel, Palästina und eben Antisemitismus geschult werden. »Antisemitismus ist ein hochkomplexes Thema. Damit muss man sich auseinandersetzen, mit der Geschichte des Antisemitismus, mit den Stereotypen des Antisemitismus, mit den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Antisemitismus. Bei ARD und ZDF gibt es eine Medienakademie. Da muss man das anfangen«, fordert Salomon.

Telefonisch nachgefragt, heißt es bei der ARD-ZDF-Medienakademie jedoch, dass es seit mindestens zwei Jahren keine Fortbildungen mehr zum Thema Israel - Palästina oder Antisemitismus gegeben habe und momentan auch keine geplant seien. Steffen Klävers, Bildungsreferent beim JFDA, fordert aber noch mehr als Fort- und Weiterbildungen. Er möchte, dass beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk endlich eine verbindliche Definition eingeführt wird, was nun antisemitisch ist und was nicht. »Das ist ein Problem, dass die rote Linie nicht klar definiert ist. Das ist bedauerlich, weil es ausdefinierte Richtlinien gibt, zum Beispiel die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance«, sagt Klävers.

Seit 2016 ist international durch die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) definiert, dass Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden ist, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.

Abermals nachgefragt beim RBB, der seit dem 1. Januar 2022 den ARD-Vorsitz innehat, ob diese Arbeitsdefinition nun in allen ARD-Anstalten gilt, heißt es, dass Redakteurinnen und Redakteure sowie Reporterinnen und Reporter zumindest beim RBB in der Folge der Fortbildungen mit der IHRA-Definition von Antisemitismus vertraut sind. Mehr aber auch nicht. Völlig offen bleibt, ob diese Antisemitismus-Definition verbindlich für alle Anstalten gilt. »Es gibt den sogenannten 3D-Test nach Nathan Scharansky. Es geht hier um die drei D-Begriffe Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelstandards. Das sind drei Schlagworte, die man heranziehen kann, um zu überprüfen, ob eine Aussage antisemitisch ist oder nicht«, erläutert Steffen Klävers vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus.

Die Dämonisierung oder Delegitimierung Israels, also die Absprache des Existenzrechtes, sollte verboten sein. Ebenso die Anlegung doppelter Standards, als müsse Israel mehr Gesetze und Normen einhalten als andere Staaten auf der Welt. Dazu heißt es aber aus der RBB-Pressestelle, dass der 3D-Test in den ARD-Anstalten nicht verbindlich genutzt werde.

Remko Leemhuis vom American Jewish Committee zeigt sich ob dieser Haltung mehr als enttäuscht: »Worte haben Konsequenzen. Und die Art und Weise, wie über Israel berichtet wird, hat eben auch in Deutschland reale Konsequenzen, wenn man sich in Berlin und anderen Städten antisemitische Gewalttaten gegen Juden anschaut. Da sehe ich eine ganz starke Verantwortung gerade auch der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.«

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