Über den Nicht-Zustand der Pandemie berichten

Jeja nervt: Achtung, Corona geht weiter

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist das die Öffnung? Nein, Soldaten bereiten die Auslieferung von Nuvaxovid, dem neuen Impfstoff, vor - auf dem Gelände der Bundeswehrapotheke
Ist das die Öffnung? Nein, Soldaten bereiten die Auslieferung von Nuvaxovid, dem neuen Impfstoff, vor - auf dem Gelände der Bundeswehrapotheke

Das Ende einer Pandemie kann über verschiedene Wege eintreten. Einer davon ist die Verdrängung aus dem öffentlichen Bewusstsein. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine droht nun, zumindest für die nächsten Wochen, das Fortdauern der pandemischen Lage in Deutschland medial zu überlagern.

Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum.

Die kürzlich aufgekommene »Freedom Day«-Euphorie dürfte diesem Effekt nicht gerade entgegenstehen. Denn allen Zahlen zum Trotz hatten Bund und Länder das Auslaufen all jener Maßnahmen bis zum 20. März beschlossen, die noch als Schutz für Risikogruppen und ihre Haushalts- und Familienmitglieder fungieren. Olaf Scholz’ Begründung am 16. Februar: »Irgendwie haben wir das nach zwei langen Jahren verdient.«

Zu den nun noch mehr Gefährdeten gehören dabei vor allem Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, sowie jene, für die der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und der Gefahr eines qualvollen Covid-Todes als Grund für eine Impfung schlicht nicht ausreicht. Gute Medikamente gegen die Erkrankung sind ja auch noch nicht breit verfügbar.

Das »Wir«, das Scholz in seiner charakteristischen Bräsigkeit bemühte, dürfte sich in den Ohren derjenigen, für die die Lage damit noch einmal vereinsamender und lebensbedrohlicher wird, wie Hohn angefühlt haben. Dabei wissen nicht wenige von ihnen allein durch die entwürdigende gesellschaftliche Behandlung – etwa durch per Gesetz verordnete Armut bei der Inanspruchnahme von Assistenz –, dass an sie schon aus Prinzip nicht gedacht wird, wenn es um »uns« geht.

Wie surreal die Lage zwischen wütendem Virus und »Freedom Days« feiernden europäischen Staaten wirklich ist, brachte an ebenjenem 16. Februar jedoch nicht die deutsche, sondern die schweizerische Regierung am eindrücklichsten zur Aufführung. Bei deren Pressekonferenz zum Ende aller Maßnahmen nahm Bundespräsident Ignazio Cassis seine Maske ab und musste gleich husten. Tags darauf gab sein Amt einen positiven Coronatest bekannt.

Doch das war noch nicht alles. Innenminister Alain Berset forderte auf derselben Pressekonferenz trotz des Endes der Maßnahmen nämlich noch »Respekt vor dem individuellen Schutzbedürfnis, etwa wenn jemand freiwillig eine Maske tragen möchte«. Die Schweiz ist uns damit einen Schritt dabei voraus, die Pandemie durch das Abgleiten ins Absurde zu beenden.

Wenn wir es nicht schaffen, das Leiden auf der Tagesordnung zu halten, dürfte uns Ähnliches drohen. Dann gilt es nicht mehr als Ausübung von Freiwilligkeit, wider jedes vernünftige Argument auf eine Impfung zu verzichten und das Ende der Pandemie für alle hinauszuzögern. Als »Freiwillige« könnten dann diejenigen gelten, die ihr individuelles Überleben durch das Tragen von FFP2-Masken beim Lebensmitteleinkauf sicherstellen wollen. Und »freiwillig« heißt in diesem Zusammenhang schlicht nichts anderes als unbegründet, untertänig, überängstlich und irrational, als zum Angriff freigegebenes Symbol der alten Unterdrückung.

In der Bundespressekonferenz am Freitag warnte Gesundheitsminister Lauterbach immerhin, dass wir mit bis zu 25 Prozent Verbreitung des Omikron-Subtyps BA.2 auch bei den Infektionen noch nicht über dem Berg sind und die Zahlen wieder steigen können. Eine neue Welle im Herbst gilt bereits als sicher. Wer sich mit BA.1 infiziert habe, sei weder vor einer BA.2-Infektion noch vor der möglicherweise zurückkommenden Delta-Variante wirklich geschützt. Und: Am 20. März, dem von vielen angepeilten »Freedom Day«, dürfte BA.2 bereits dominant sein. RKI-Chef Wieler ergänzte, dass selbst Zahlen, die so schnell sinken, wie sie gestiegen sind, noch immer weitere fünf Millionen registrierte Infizierte bedeuten.

Also sterben weiterhin täglich 200 bis 300 Menschen am Virus. Karl Lauterbach sagte dazu am Freitag: »Das ist ja kein Zustand.« Ausnahmsweise ist ihm in dieser Einschätzung mal zuzustimmen. Wollen wir den Zustand nicht hinnehmen, nicht ins »Ende der Pandemie« abrutschen, müssen Medien auch in der aktuellen Weltlage am Thema dranbleiben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.