Stimme der Geflüchteten

Eric Mbiakeu lebt seit fünf Jahren in Brandenburg an der Havel - nun will er hier einen Treffpunkt für die afrikanische Community eröffnen

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 5 Min.

Eric Mbiakeu ist ständig auf Achse. Nach Berlin für einen Vortrag über Migration und Fluchtursachen, nach Potsdam zu Aktivist*innen, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen, erneut nach Berlin - und immer wieder zurück nach Brandenburg an der Havel. Hier lebt Mbiakeu seit knapp fünf Jahren, erst in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber*innen, heute in einer sogenannten Verbundwohnung. »Ich bin inzwischen ein richtiger Brandenburger geworden«, sagt er und lächelt.

Eric Mbiakeu wurde in Douala im Südwesten Kameruns geboren. Seinen Schulabschluss macht er in einem Internat, dann studiert er Topografie an der Universität. Schon als Jugendlicher erfährt er Diskriminierung, auch Gewalt. Der heute 28-Jährige ist schwul. In Kamerun sind homosexuelle Handlungen per Gesetz verboten, homophobe Einstellungen sind in der Gesellschaft weitverbreitet. Als er 2014 wegen eines »homoerotischen Vorfalls« während eines Fußballspiels seiner Universitätsmannschaft von der Polizei verhaftet wird und später vor Gericht erscheinen soll, fasst er einen lebensverändernden Entschluss: »Ich hatte riesige Angst und wollte das Land nur noch verlassen«, sagt er. »Ich wollte einfach Frieden.«

Zunächst geht er in das benachbarte Nigeria, später nach Niger. Doch dort gibt es keine Arbeit für ihn. Ein Schleuser bringt ihn schließlich in das vom jahrelangen Bürgerkrieg gezeichnete Libyen. Man verspricht ihm dort einen guten Job auf einer Baustelle. Doch das stellt sich als Lüge heraus: Unmittelbar nach dem Grenzübertritt wird er von maskierten Banditen gekidnappt und in ein Gefängnis verschleppt. 3000 Dollar Lösegeld soll er bezahlen.

Eric Mbiakeu zeigt mehrere Narben an seinem Körper, auf der Brust trägt er die Narbe einer Gewehrkugel. »Sie schlagen dich dort jeden Tag. Ich habe viele Menschen sterben sehen.« Drei lange Monate geht er in dem libyschen Gefängnis durch die Hölle. Über einen Kontakt kann er sich schließlich auslösen. Mit der neu gewonnen Freiheit will er nur noch eines: weg aus Afrika, über das Mittelmeer schnell nach Europa. Sein Ziel ist Frankreich. Dort hat er entfernte Verwandte, Französisch ist seine Muttersprache. Mit einem völlig überbelegten Schlauchboot schafft es Mbiakeu von der Küste Libyens nach Italien.

Das war 2016. Über die Schweiz will er mit dem Bus rasch weiter nach Frankreich fahren. Doch das Geld für das Busticket reicht nicht. Also geht er in der Nähe des Bodensees zu Fuß über die Grenze nach Bayern. Dort stellt Eric Mbiakeu kurz entschlossen einen Asylantrag. Die Behörden schicken den jungen Mann aus Douala weiter nach Brandenburg in das Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt. Danach geht es für ihn weiter nach Brandenburg an der Havel.

Hier wartet Eric Mbiakeu nun auf den Abschluss seines Asylverfahrens als wegen seiner sexuellen Orientierung verfolgte Person - und auf die Arbeitserlaubnis. Unter Pandemiebedingungen zieht sich das Verfahren noch länger hin als sonst schon üblich. Aber Mbiakeu ist zuversichtlich. »Ich bin inzwischen in Brandenburg angekommen und wohne gerne hier«, sagt er.

Das war nicht immer so. Am Anfang hatte es Eric Mbiakeu schwer, sich in der Havelstadt zurechtzufinden. Scherereien mit den Behörden, Probleme mit der Sprache, psychische Traumata, Diskriminierung und das Gefühl, nicht dazuzugehören, waren Teil seines Alltags.

Mit der Zeit ist das besser geworden, sagt Mbiakeu. Auch weil der junge Mann Menschen kennengelernt habe, die sich für Geflüchtete und ihre Belange engagieren - etwa in der Initiative Seebrücke. »In Brandenburg gibt es viele tolle, solidarische Menschen, die uns mit ganzem Herzen unterstützen«, sagt er. Mbiakeu ist selbst leidenschaftlicher Aktivist. Er engagiert sich in gleich mehreren Projekten und spricht über seine Erfahrungen von Flucht und Verfolgung.

Etwa in dem Projekt »Schau mir in die Augen«: Das war Anfang 2020 eigentlich als Dokumentartheaterstück von und mit geflüchteten Menschen geplant, die in fünf brandenburgischen Städten leben. »Theater ist ein sehr, sehr guter Weg, um gegen Diskriminierung zu kämpfen«, hatte Mbiakeu, von dem auch die Initiative für das Projekt ausgegangen war, damals zu »nd« gesagt. Und: »So oft schaut man auf uns herab, durch uns hindurch.« Daher auch der Titel: »Schau mir in die Augen«.

Doch dann kam Corona. An dem Projekt wollte man nichtsdestotrotz festhalten. Und so wurde das Konzept angepasst: Aus dem Theaterstück wurde ein Videoprojekt. Der auf Youtube zu sehende Film mit dem gleichen Titel »Schau mir in die Augen« lädt die Zuschauer*innen ein, Mbiakeu und seine Geschichte von Flucht und Ankommen kennenzulernen. Weitere Videos mit Geflüchteten sind in Planung.

Eric Mbiakeu will sich in diesem Jahr noch stärker in Brandenburg engagieren - dort, wo er auch ein neues Zuhause gefunden hat, wie er sagt. Dafür hat er im vergangenen Jahr mit anderen Aktiven aus der Geflüchtetenarbeit den Verein Open Dreams ins Leben gerufen. Er soll eine Plattform sein, über die sich geflüchtete Menschen und ihre Unterstützer*innen in der Havelstadt vernetzen können. Mbiakeu erzählt, dass er während der Corona-Pandemie und des Wartens auf eine Arbeitserlaubnis eine Menge Zeit hatte. Genügend, um sich mit den nicht immer ganz einfachen Formalien einer deutschen Vereinsgründung zu beschäftigen.

»Es geht bei Open Dreams um einen sicheren Ort für Geflüchtete, wo sie zum Austausch über alle möglichen Probleme und Herausforderungen zusammenkommen können«, sagt er. Denn Nachbarschaftscafés oder Afro-Shops, wo sich speziell die afrikanische Community treffen und austauschen könnte, gibt es in Brandenburg an der Havel bisher nicht. Open Dreams soll so ein Anlauf- und Treffpunkt werden: für alle Menschen mit Fluchterfahrung und Interessierte.

»Wir müssen als Community in der Stadt sichtbarer werden, damit wir noch mehr Brücken zur Mehrheitsgesellschaft schlagen und in einen Austausch treten können«, sagt Eric Mbiakeu. Doch Treffpunkte brauchen auch einen physischen Rahmen. In der Ritterstraße in der Altstadt von Brandenburg hat der Verein für das Frühjahr bereits Räumlichkeiten in Aussicht. Dort wird man den jungen Mann in Zukunft dann sicher häufiger antreffen - wenn er nicht gerade woanders in der Region herumdüst, um den Geflüchteten in Brandenburg eine Stimme zu geben.

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