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- Debatte um Wehrpflicht
Vom Pflichtdienst zum Politikum
Daniel Lücking hofft auf eine ergebnislose Wehrpflichtdebatte
Der Wehrpflicht zu entgehen, wurde schon vor deren Aussetzung immer einfacher. Ein bisschen Friedensprosa verfassen, dass man unter keinen Umständen eine Waffe anfassen wolle – schon hatte sich der Wehrdienst erledigt. Vorbei die Zeiten, in denen Wehrpflichtige vor einer Inquisitionskommission mit verbalen Tricks dazu gebracht werden sollten, ihre prinzipielle Gewaltbereitschaft einzugestehen. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Berlin Fluchtpunkt für Wehrdienstverweigerer aus Westdeutschland war. Eine Einsicht, dass die Methoden, mit denen der Staat den Pflichtdienst einforderte, mehr als fragwürdig waren, war das aber nicht.
Die nicht minder problematische Alternative, der Ersatzdienst, musste irgendwann auch nicht mehr abgeleistet werden, was dann die Debatte darüber beförderte, ob denn das alles noch gerecht ist. Debattiert wird – trotz Aussetzung der Wehrpflicht 2011 – weiterhin sehr oberflächlich. Was brachte die Dienstpflicht?
Im Westen begründete man die Pflicht mit dem imaginierten anrückenden russische Feind, den die Bundeswehr eigentlich nur so lange aufhalten sollte, bis echte Soldaten (wohl aus den USA) eingetroffen wären. Das brachte teils sehr reale Aufgaben mit sich. In den 1980er Jahren bedeutete Wehrpflicht noch Waffenausbildung, LKW- oder Panzerführerschein sowie dröge Wochenendbereitschaft in Kasernen. Dazu Kriegsspiele im Wald statt am Computer.
Während ich mich also im Wald von Zecken beißen lassen musste, beschützte ich, ohne es zu bemerken, den angrenzenden Regionalflughafen und dessen Ersatzlandebahn auf der Autobahn 44. Im Verteidigungsfall die Leitplanken abschrauben und schon hätten Kampfflugzeuge landen können, die dann auf den überdimensionierten Rastplätzen im ostwestfälischen Nirgendwo geparkt worden wären. Spuren solcher Aufgaben erkennen nur noch die Wenigsten. Ob sich heute noch jemand für diese Aufgaben findet, ist aber ebenso fraglich, wie die Aufgaben seinerzeit unerlässlich schienen.
Seit die Bundeswehr immer mehr Standorte schloss, Personal abbaute und die verbliebenen Truppen in Großkasernen sammelte, verfiel auch die Infrastruktur für die Landesverteidigung. Längst gibt es keine eingelagerten Reservekrankenhäuser mehr, die in atomgeschützten Schulgebäuden aufgebaut worden wären oder das nötige Personal dazu.
Nicht nur die fragwürdigen Aufgaben beim Wehrpflichtdienst müssen diskutiert werden, sondern auch die Möglichkeiten der Verweigerung. Wer im Westen mit all dem nichts zu tun haben wollte, brauchte im Wehrersatzdienst Glück, einen der wenigen Plätze in der örtlichen freiwilligen Feuerwehr oder im Technischen Hilfswerk zu bekommen. Meist aber bedeutete Wehrersatzdienst: Antreten zum Lohndumping in der Pflege in Krankenhäusern und Alteneinrichtungen.
Die jetzige Debatte um die Wehrpflicht bringt uns seltsame Begriffe wie »Gesellschaftsjahr«. Soziale Kompetenzen sollen da vermittelt werden, die es in diesen anhaltend schwierigen Zeiten brauche, meint der ehemalige Vorsitzende der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann und wirft damit zwei Fragen auf. Die Erste: Was sollen das für Kompetenzen sein, die zunächst immer weniger Menschen und dann seit Aussetzung der Wehrpflicht quasi niemand mehr vermittelt bekommen hat? Darauf fehlt seit Jahren eine zitierfähige Antwort und von »Zucht und Ordnung lernen« will meist niemand sprechen. Die zweite Frage ist unweigerlich die, welche soziale Kompetenz Menschen erlernen, die Einnahmen unterhalb des Mindestlohns dulden müssen und dafür meist Schwerstarbeit leisten?
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Noch perfider: die Forderung des CDU-Politikers Johann Wadephul, ein solcher Dienst solle mit einem leichteren Zugang zu Studien- und Ausbildungsplätzen verbunden werden. Bemerkt Wadephul nicht, dass mehrere 10 000 Ausbildungsplätze frei sind oder dass die Bevorzugung auch bei Studienplätzen mit dem Grundgesetz unvereinbar ist? Die Idee vom »Wehr- und Pflichtdienst« sollte schnell wieder in den Schubladen verschwinden. Notdürftig ausgebildete Laiensoldat*innen mit Aufgaben, die letztlich dann doch niemand braucht, helfen bei der Landesverteidigung nicht.
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