Der Nahe Osten ist beim Ukraine-Krieg gespalten

Die Länder in der Region haben wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu beiden Kriegsparteien

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Nahen und Mittleren Osten dürfte das größte Problem sein, dass sich Preise für Lebensmittel und technische Geräte weiter verteuern könnten. Alle Länder beziehen Weizen aus Russland, was wegen westlicher Sanktionen in Zukunft schwierig werden könnte.

Ein anderes Problem dürfte die weitere Verschärfung politischer Konflikte sein. USA, EU und Nato stehen politisch und militärisch auf der Seite Israels, das vor allem in Iran und dessen Verbündeten die schärfsten Gegner sieht und einen verdeckten Krieg führt. Russland dagegen war in den Krieg in Syrien involviert.

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Die Staaten der Region sind eng sowohl mit der Ukraine als auch Russland verbunden. Wirtschaftlich stehen Tourismus und Handel im Vordergrund. Jordanien, Israel, die Türkei sowie Irak und Ägypten haben enge militärische Bündnisse mit den USA und der Nato. Es gibt Rüstungs- und militärische Ausbildungshilfe. Israel wiederum exportiert technisches Know-how und Material für den Rüstungs- und Überwachungssektor an die Nato-Staaten. Israel hat zudem in den letzten Jahren ukrainisches Militär ausgebildet.

Russland ist wichtig für den Handel mit Weizen und technischen Geräten, besonders für den Energiesektor. Moskau bietet militärische Zusammenarbeit, die vor allem in Syrien mit zwei Abkommen über die Nutzung des Flughafens Hmeimien bei Latakia und einen Teil des Hafens von Tartus untermauert sind. Die russische Schwarzmeerflotte hat in Tartus einen Stützpunkt.

In Syrien kooperiert Russland in allen Landesteilen mit den syrischen Streitkräften. Zusammenarbeit gibt es auch zwischen der Hisbollah und Russland. Entlang der syrischen Grenze zur Türkei kooperiert Russland zudem mit der Türkei und den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften. Entlang der syrisch-irakischen Grenze kooperiert Russland mit Irak und Iran, und im Konflikt mit dschihadistischen Kampfverbänden in Idlib kooperiert Russland mit Iran und den syrischen Streitkräften. Das Gleiche gilt für die Provinz Deraa im Südwesten an der Grenze zu Jordanien und den von Israel besetzten syrischen Golanhöhen.

Mit Israel und den USA hat Russland in Syrien einen Mechanismus zur Vermeidung direkter Konfrontation eingerichtet, der bis heute funktioniert. Er gilt im Nordosten Syriens, wo die US-Armee mit den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften zusammenarbeitet. Er gilt im Dreiländereck Syrien, Irak, Jordanien, wo die US-Armee die illegale Militärbasis Al-Tanf unterhält und mit einer Pufferzone umgeben hat. Der »Deconfliction Mechanism« hält allerdings weder die US-Armee noch die israelische Armee von Angriffen auf Syrien ab. Sollte diese »Ordnung« um die Grenzen Syriens aufgrund der Konfrontation in der Ukraine nicht mehr eingehalten werden, könnte der eingefrorene Konflikt in der Region erneut aufflammen.

Möglich ist allerdings auch, dass die USA und die Russische Föderation im Hintergrund über einen Ausgleich ihrer Interessen verhandeln. Der syrische Historiker George Jabbour, langjähriger Diplomat bei den Vereinten Nationen in Genf und Wien und heute Leiter der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, hielte das für klug.

Im Gespräch mit »nd« sagte er, es gäbe die Möglichkeit, dass beide Kontrahenten sich über Einflusssphären einigen könnten, um eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Russland könnte in der Ukraine etwas nachgeben, und die USA könnte sich aus Syrien zurückziehen und den Würgegriff auf den Libanon aufgeben. Aber »es ist leicht, neue Landkarten auf Papier zu malen«, so Jabbour. Die Realität sei bekanntlich sehr kompliziert und erfordere daher dringend gute Vermittler.

Im Libanon konzentrieren sich die Medien weitgehend auf Berichte über die Entwicklung, wobei sowohl westliche Agenturmeldungen als auch russische Medien und Informationen des Außen- und Verteidigungsministeriums in die Meldungen einbezogen werden. Auffällig sind umfangreiche Analysen, die Perspektiven aus allen Teilen der Welt einbeziehen.

Der Nachrichtensender Al-Mayadeen veröffentlichte auf seiner englischsprachigen Webseite beispielsweise einen Text zu der Frage, ob die Invasion der russischen Armee in die Ukraine möglicherweise vom Westen gewollt war? Vielleicht wollte man das Beispiel Afghanistan wiederholen, schreibt der Journalist Ali Rizk.

Rizk verwies auf einen Artikel des US-Journalisten David Ignatius, der Mitte Februar in der »Washington Post« erschienen war. Ignatius, der offenbar über gute Kontakte zur CIA verfügt, hatte geschrieben, die USA erwarteten, dass Russland nach einer Invasion die Ukraine auch besetzen werde. Das könnte zu einem massiven Widerstand der Bevölkerung führen, dem die russische Armee nicht gewachsen wäre. Ähnlich wie es den US-Truppen in Afghanistan und Irak ergangen sei, könnten entschlossene Kämpfer einen machtvollen Aufstand organisieren.

Die Ukraine könnte für die USA die Gelegenheit sein, Russland in einem Sumpf zu versenken, schrieb Ignatius. Sollte Russland einmarschieren, würden russische Soldaten in Totensäcken nach Moskau zurückgeschickt werden, zitiert Ignatius namentlich nicht genannte US-Offizielle.

Widerspruch aus Regierungs- und Parlamentskreisen erntete eine Erklärung von Außenminister Bou Habib, der den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine verurteilt und den sofortigen Abzug gefordert hatte. Der russische Botschafter in Beirut stellte in einer Pressekonferenz den Hintergrund des russischen Kriegs dar, Bou Habib traf sich auch zu einem Gespräch mit ihm. Am folgenden Tag erhielt Bou Habib Besuch von verschiedenen europäischen Botschaftern, darunter denen aus Frankreich und Deutschland, die ihm für die klare Positionierung des Libanon dankten und ihn einluden, ihre Resolution gegen Russland in der UN-Generalversammlung zu unterstützen.

Palästinensische Gesprächspartner äußerten sich gegenüber »nd« am Telefon zurückhaltend. Grundsätzlich sei man gegen den Krieg, sehe sich aber dennoch an der Seite Russlands, zumal Russland anders als die USA immer an der Seite der Palästinenser gestanden habe. Russland sei stark geworden und werde nun gegenüber den USA eine neue internationale Machtkonstellation durchsetzen. »Für uns und für unsere Region ist es gut«, so der Gesprächspartner, der namentlich nicht genannt werden wollte. »Eine multipolare Weltordnung gibt uns mehr Möglichkeiten, um unsere Rechte durchzusetzen.«

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