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Macht die Schubladen auf!
Plattenbau. Die CD der Woche: »The Overload« von Yard Act
Musiker*innen beschweren sich oft darüber, dass Musikkritiker*innen sie in Schubladen stecken. Und das, obwohl ihre Musik doch in gar keine Schublade passt, weil sie nämlich wild und frei sind und gar keine Einflüsse nennen können. Aber, liebe Musiker*innen, der Popsong ist erst dann fertig, wenn ihn jemand anhört. Wenn Musikhörer*innen sich gegenseitig Songs oder Interpret*innen empfehlen, dann gehen sie dabei vor wie der Amazon-Schubladen-Algorithmus: Die Band X gefällt dir? Dann gefällt dir auch Y, die sind ganz ähnlich! Die Sache mit der Schublade ist kein Musikkritikerproblem, sie ist ein Kommunikationsphänomen.
So. Damit sind alle Vorbereitungen getroffen, um die britische Band Yard Act aus Leeds zu beschreiben. Also Schubladen auf! Und für Yard Act braucht man eine ganze Menge Schubfächer. Yard Act sehen aus wie eine Britpopband aus den Neunzigern. Sie klingen so, als ob die frühen Blur die heutigen Sleaford Mods covern würden. Und das, was dabei herauskommt, hört sich an, wie The Fall Anfang der Neunziger auf ihrem Album »Extricate«. Aber das Cover ihres Debütalbums »The Overload« erinnert auch ein bisschen an das Logo der Düster-Band Bauhaus. Das ist also insgesamt Musik, bei der einem aus jeder Note, aus jedem Design britische Musikgeschichte entgegenwinkt.
Sänger James Smith gibt als sein musikalisches Koordinatensystem die Gorillaz, LCD Soundsystem, die Strokes und die Arctic Monkeys an. Aufgewachsen ist er in der Nähe von Warrington, eine halbe Autostunde von Manchester entfernt. Seine Welt sei klein gewesen, erzählte er dem »Guardian«, und sein größter Wunsch sei es gewesen, nach Leeds zu ziehen und dort eine Band zu gründen. Und genau das tat er. Seine erste Gruppe hieß »Post War Glamour Girls«. Aber sein Geld verdiente er als Musiklehrer. Beim Feierabendbier traf er auf den Bassisten Ryan Needham. Später kamen noch der Gitarrist Sam Shjipstone und der Schlagzeuger Jay Russell dazu. Die vier gaben sich den Namen »Yard Act« und wollten klingen wie die LoFi-Band Guided by Voices.
Aber das Ganze entwickelte sich eher in Richtung Spoken Word Postpunk. »Es ist Rapmusik, aber es ist keine Rapmusik«, erklärt Smith. Rap sei ja fast immer Alphatier-Posing mit Icherzähler. Bei Smiths großartigen Texten geht es aber um Porträts als Rollenprosa (Ray Davies, Daniel Treacy und Damon Albarn lassen grüßen!) oder Gesellschaftsbilder in einer Stimmungslage zwischen Sanftheit und Wut. Wut über die Post-Brexitgesellschaft des Königreichs. Und genau so hört sich das Debutalbum »The Overload« an. Wütend und Sanft.
Das lyrische Ich des Songs »Rich« beschreibt sich als »zufällig« reich geworden und lebt jetzt in ständiger Furcht, es könne alles wieder verlieren. Smith trifft den empathielosen und Verständnis heischenden Ton eines neureichen Schnösels perfekt. In »The Incident« spricht der typische Business-Primat zum Hörer und erklärt, wie großartig er ist. Und in »Quarantine the Sticks« sieht sich ein Betrüger als Opfer! Sollte die Polizei nicht hinter »richtigen« Verbrechern her sei, anstatt ihn einzusperren? Extrem bösartig ist das Brexit-Bashing »Dead Horse« (»This crackpot country half full of cunts«).
Und nachdem Smith Großbritannien lyrisch komplett vernichtet hat, was bleibt? »This once great nation had left was good music«. Gute Musik. Genau. Und Yard Act erweisen sich dieses Erbes als absolut würdig. Dafür verleihe ich Yard Act das »Goldene Musikkritiker-Schubladenschränkchen«.
Yard Act: »The Overload« (Island/Universal)
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