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- Flucht aus der Ukraine
Die grenzenlose Solidarität vietnamesischer Migranten
Auch Menschen asiatischer Herkunft flüchten aus der Ukraine. Sie berichten von einer großen Hilfsbereitschaft in Deutschland und Polen
Der Krieg sei für sie aus heiterem Himmel gekommen, sagt Alika V. «Zuerst gab es ein paar gewaltige Knallgeräusche. Dann hat das Hochhaus gewackelt, in dem wir wohnen. Ich hatte keine Ahnung, was das ist.» Alika ist 21 Jahre alt und studierte Wirtschaft in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. In Charkiw wurde die Tochter einer vietnamesischen Zuwandererfamilie auch geboren, und wenn sie über ihre Heimatstadt spricht, dann leuchten ihre Augen. «Dort habe ich alle meine Freunde und mein Herz zurückgelassen», sagt sie.
Jetzt sitzt Alika mit ihrer Familie in einer Übergangswohnung im Berliner Prenzlauer Berg. Die Wohnung hat eine junge deutsch-vietnamesische Familie vorübergehend freigeräumt, um Vietnamesen eine erste Zuflucht zu bieten, die neu aus der Ukraine fliehen. 10 000 vietnamesischstämmige Menschen leben in dem osteuropäischen Land, rund ein Drittel von ihnen hat wie Alika die ukrainische Staatsangehörigkeit. Die meisten kamen Anfang der 1990er Jahre und lebten als Händler in Charkiw und Odessa. Aber es gibt auch junge Vietnamesen, die in der Ukraine studieren und danach nach Vietnam zurückkehren wollten. Eigentlich.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben vietnamesische Migranten in ganz Europa Netzwerke aufgebaut, um Flüchtenden aus der Ukraine zu helfen. Der Berliner Hung Manh Le, der die neu angekommene Familie aus der Ukraine hier betreut, berichtet von einer beispiellosen Hilfsbereitschaft: Viele Berliner Vietnamesen hätten Bettwäsche, Bettdecken und Lebensmittel gebracht, damit die Gäste in der Wohnung im Prenzlauer Berg das Nötigste haben. Andere bieten Kurierdienste an und begleiten die Neuankömmlinge zu Behörden. Er selbst kennt die Mutter von Alika noch aus der gemeinsamen Schulzeit. Sie hatte ihn kontaktiert, als sie noch unentschlossen war, ob sie Charkiw überhaupt verlassen wollte. Zu gefährlich erschien ihr die Flucht durch ein Land im Bombenhagel, bei der sie Sohn und Schwiegersohn zurücklassen musste. Denn Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen die Ukraine nicht verlassen. Aber irgendwann war auch das Leben in Charkiw nicht mehr auszuhalten, erzählt Alika. «Mütter, die für ihre Babys etwas zu essen kaufen wollten, wurden erschossen. Hochhäuser fielen zusammen.» Die siebenköpfige Familie, die zuvor in Charkiw vom Import vietnamesischer Lebensmittel gelebt hatte, machte sich mit zwei Autos auf den Weg an die polnische Grenze. Alika, ihre Eltern, ihre Schwester mit Sohn und die ukrainische Schwägerin mit Tochter. Bruder und Schwager mussten zurückbleiben.
«Gen Westen waren die Straßen voll mit Flüchtenden», sagt die 21-Jährige. Aber in die Gegenrichtung fuhren Panzer und Versorgungsfahrzeuge. Wir hatten darum riesige Angst, beschossen zu werden.« Und Lena V., ihre 38-jährige ukrainische Schwägerin, ergänzt: »An den Tankstellen mussten wir jedes Mal drei Stunden warten. Essen und Trinkwasser hatten wir zum Glück reichlich mit.« Drei Tage hat die Familie am polnischen Grenzübergang auf den Einlass in die EU gewartet. »Für Fußgänger betrug die Wartezeit nur einen Tag. Viele Autofahrer haben darum ihre Autos stehen gelassen und sind zu Fuß nach Polen gegangen. Besonders Leute, die nichts mehr zu essen oder zu trinken hatten«, sagt Lena V. Rassistische Diskriminierungen, wie sie viele Flüchtende mit afrikanischen Wurzeln berichteten, hat die vietnamesisch-ukrainische Familie auf der Flucht nicht erlebt. Auch nicht in Polen. »Wir wurden an der Grenze warmherzig empfangen. Es gab Stände mit gekochtem Essen und heißen Getränken«, sagt Alika.
Familie V. ist die zweite vietnamesische Familie in der Übergangswohnung. Maximal eine Woche soll eine Familie dort bleiben, sich nach der Flucht waschen und ausschlafen können, bevor die Gastgeber sie zu den Behörden schicken und den nächsten eine Auszeit gönnen.
Alika will so schnell wie möglich zurück in die Ukraine. Nach Vietnam auszureisen, käme ihr nicht in den Sinn. Das sei zu weit weg von der Ukraine. Da sie anders als viele andere Menschen mit vietnamesischen Wurzeln die ukrainische Staatsangehörigkeit hat, darf sie in der EU bleiben. Alika würde gern einige Zeit in Tschechien leben. Von dort kommt eine Studienkommilitonin von ihr. Und die Sprache kommt ihr nicht so schwer vor wie Deutsch. Doch ihre Schwester, eine gelernte Friseurin, möchte in Berlin bleiben. Gleich am ersten Tag hat sie im Prenzlauer Berg einen Friseurmeister gefunden, der sie einstellen würde. Die Eltern würden gern in Eisenhüttenstadt leben, wo sie Bekannte haben.
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