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- Die Linke, Krieg und Frieden
Keine Waffen für den Krieg
Die Linke braucht eine entschlossene Position des militanten Nicht-Militarismus
Einerseits scheint alles ziemlich klar: Die Ukraine, ein Land, in dem zumindest einige grundlegende Freiheiten gewahrt sind, ist von einem autoritären Regime überfallen worden, das durch den Krieg im Nachbarland nicht zuletzt auch die eigene Opposition zerschlagen will. Denn natürlich stellt die Existenz einer einigermaßen funktionierenden Ukraine das System Putin vor allem in Russland selbst radikal infrage. Insofern stimmt es vermutlich, dass gar nicht die Nato-Kooperation der Ukraine für den russischen Präsidenten das größte Problem ist, sondern ihre bloße Existenz als sich öffnende postsowjetische Gesellschaft.
Und auch die Berichte aus der Ukraine selbst lassen keinen Zweifel daran, dass es in diesem Krieg keine Äquidistanz geben kann. Linke Aktivisten wie Taras Bilous, der lange zur möglichen Deeskalation des Donbass-Konflikts arbeitete, haben sich dem bewaffneten Widerstand gegen die Putin’sche Besatzung angeschlossen. Russischsprachige Bergarbeiter rufen zur Solidarität mit der Ukraine auf, und die Bilder aus den Straßen Kiews zeugen ebenfalls davon, dass der Widerstand zumindest im Augenblick eher von gesellschaftlicher Selbstorganisation als von militärischen Befehlsketten geprägt ist.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.
Wenn das alles so eindeutig ist, warum sollte man dann als Linker nicht auch die Waffenlieferungen befürworten, die längst aus dem Westen angerollt sind? Meiner Ansicht nach gibt es vier entscheidende Argumente dagegen.
Normalisierung des Krieges
Erstens: Wir erleben in der europäischen Öffentlichkeit gerade eine rasante Normalisierung des Kriegs. Der alte Staatenkrieg wird plötzlich wieder als reguläres Mittel der Politik erörtert, ukrainische Militärs erscheinen als Helden, in Zeitungen wird allen Ernstes über lokal begrenzte Nuklearschläge debattiert.
Dieser Normalisierung müssen wir uns mit aller Macht widersetzen. Wir als Linke müssen - übrigens gemeinsam mit Friedensethiker*innen - immer wieder daran erinnern, dass die eine Billion Dollar, die der Westen jährlich für seine Militärapparate ausgibt, die aktuelle Situation nicht verhindert, sondern mit herbeigeführt hat. Statt über Waffensysteme müssen wir über eine multilaterale Sicherheitsordnung sprechen; statt über Mittel des Krieges über Formen des sozialen Widerstands. In der allgemeinen Kriegsrhetorik braucht es eine entschlossene Position des militanten Nicht-Militarismus.
»Wir« oder die Nato?
Zweitens: Wenn davon die Rede ist, »wir« sollten Waffen an die Ukraine liefern, sind gar nicht »wir« gemeint, sondern die Nato. Die aber ist bekanntlich keine sympathische Bürgerinitiative, sondern ein geopolitischer Akteur, der für seine Interessen selbst immer wieder schwere Kriegsverbrechen begeht. Zur Erinnerung: Seit 2001 hat der »freie Westen« - in unterschiedlichen Koalitionen - Kriege u.a. in Afghanistan, Irak und Libyen mit mindestens einer Million Toten und mehreren Millionen Vertriebenen geführt. Die Nato-Staaten waren nicht allein verantwortlich für diesen Schrecken, aber nirgends haben ihre militärischen Interventionen die Lage verbessert. Wer Waffenlieferungen fordert, stellt sich auf die Seite dieses Akteurs. Es war falsch, Putin zu verharmlosen. Aber es ist nicht minder falsch, die Augen vor dem Charakter der Nato zu verschließen.
Wen Waffenlieferungen stärken
Drittens (und das ist mit dem eben Genannten eng verknüpft) stärken Waffenlieferungen fast zwangsläufig die autoritärsten und korrumpierbarsten Teile der Gesellschaft. In Afghanistan hat der Westen Warlords gezüchtet, deren Terror dem der Taliban in nichts nachstand. In Libyen haben die Nato-Bombardierungen Gaddafi gestürtzt und durch mehrere neue Gaddafis ersetzt.
Auch in der Ukraine ist die Gefahr groß, ausgerechnet jene zu ermächtigen, von denen die russische Kriegspropaganda seit Jahren spricht. Die proukrainische Nachrichtenagentur Nexta veröffentlichte dieser Tage Bilder davon, wie (vermeintliche?) Nato-Ausbilder in der Ost-Ukraine Waffen an das von Rechten und Rechtsextremen dominierte Asow-Regiment übergeben. Und auf der offiziellen Webseite der ukrainischen Nationalgarde wurden Bilder veröffentlicht, die zeigen, wie Angehörige eben dieses Regiments Patronen mit Schweineschmalz einschmieren, um die »Orks« (O-Ton) der muslimisch-russischen Kadyrow-Einheiten zu töten. Waffenlieferungen mögen helfen, Putin zu stoppen, aber sie stärken offenbar schon jetzt die Feinde von Demokratie, Emanzipation und Gleichheit im Inneren der ukrainischen Gesellschaft selbst.
Die Eskalationsgefahr
Viertens, und das ist zugegebenermaßen auch ein egoistisches Argument (allerdings »egoistisch« aus der Perspektive aller Menschen auf der Welt), war die Gefahr der globalen militärischen Eskalation seit 1962 nicht mehr so groß wie jetzt. In der Ukraine grenzen zwei geopolitische Anspruchsbereiche direkt aneinander. Jede Dummheit und jedes Missverständnis werden hier eine fatale Kettenreaktion in Gang setzen. Das Operettentheater um die Kampfjets, die Polen über die USA der Ukraine überlassen wollte, beweist, wie weit der intellektuelle Horizont vieler Regierender in der EU offenbar reicht.
Man muss es abschließend noch einmal sagen: Ja, die Lage ist verzweifelt, und jedes Argument läuft Gefahr, in Zynismus umzuschlagen. Viele Menschen in der Ukraine wollen sich gegen Putins Krieg verteidigen, auch mit Waffen. Wir müssen mit ihnen solidarisch sein. Aber wie gesagt: Wir reden nicht darüber, ob Freiwillige - wie in der kurdischen Rojava-Region in Syrien - an der Seiten von Betroffenen leben und arbeiten sollten. Wir debattieren gerade darüber, ob die Nato-Kriegsapparate noch stärker als sowieso schon Teil des bewaffneten Konflikts werden.
Im militaristischen Taumel dieser Tage, da Bundeswehrgeneräle fast schon eine besonnene Figur abgeben, braucht es eine vernehmbare Stimme der antimilitaristischen Vernunft. Putins Chauvinismus wird am Ende nicht durch Militärapparate, sondern durch die organisierte Bevölkerung besiegt. Die ukrainischen Kundgebungen vor den russischen Panzern, die Anti-Kriegs-Proteste in Russland und die Einstellung unserer (alltäglichen und nicht auf Russland beschränkten) Kriegsfinanzierung durch Rohstoffimporte - das ist Putins eigentlicher Albtraum. Denn hier verlässt man das Feld von Staatenkrieg und geopolitischem Terror.
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