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Die neue Klassenfrage

Der Krieg in der Ukraine wird nicht ganz spurlos an der deutschen Gesellschaft vorbei gehen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Joachim Gauck hat gut reden. Als Bundespräsident a. D. hat er kein wichtiges Amt mehr inne, kann also einfacher aussprechen, was er denkt. Das tat er auch letzte Woche in der Sendung »Maischberger.Die Woche«. Auch wenn er nicht explizit forderte, für Deutschland den Gürtel enger zu schnallen, meinte er, dass man »auch einmal frieren für die Freiheit« könne. Dabei hat Gauck eben gut reden. Bei einem Ehrensold von rund 254 000 Euro wird er wohl nicht in die Lage geraten, seine Gasrechnung nicht bezahlen zu können.

Der Krieg in der Ukraine wird also nicht ganz spurlos an der deutschen Gesellschaft vorbei gehen. Die mit dem russischen Angriff auf das osteuropäische Land verbundene Frage nach der Sicherheit der Energieversorgung wird jeder Mensch hierzulande mehr oder eben auch weniger zu spüren bekommen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, warnt bereits vor einer Verdoppelung der Verbraucherpreise für Gas, wenn die derzeit hohen Großmarktpreise von den Versorgern weitergegeben werden. Da muss der Gashahn gar nicht erst zugedreht werden, damit sich viele Menschen am unteren Ende der Einkommensskala es sich nicht leisten können werden, im nächsten Winter richtig zu heizen. So wird die Energiefrage zur Klassenfrage, verschärft der Krieg in der Ukraine den Gegensatz zwischen Arm und Reich hierzulande.

Wie sehr sich der Ton bereits verschärft hat, zeigt ein Satz, den Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans jüngst nebenbei fallen ließ. Der CDU-Politiker regte sich in einem kurzen Video, das er über Twitter verbreitete, über die hohen Benzinpreise auf, die die Schwelle von zwei Euro pro Liter überschritten haben. »Das trifft jetzt nicht nur Geringverdiener, sondern das trifft wirklich die vielen fleißigen Leute, die tanken müssen, die ihre Dieselfahrzeuge tanken, die zur Arbeit fahren, die die Kinder zum Sport bringen«, ließ er schließlich die Bombe platzen.

Tobias Hans wiederholte damit nicht nur ein neoliberales Weltbild, wonach höhere Einkommen mit Leistung verdient sind und Armut mit Faulheit, das der kapitalistischen Realität widerspricht. Vor allem lässt er außer Acht, dass Geringverdienende besonders stark von der Energiekrise betroffen sind, da sie im Vergleich zu anderen einen besonders großen Anteil ihres Einkommens für Haushaltsenergie ausgeben müssen.

Dies wird auch nicht durch das noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte sogenannte Entlastungspaket aufgefangen. Zum einen sind darin die Preisanstiege im Zuge des Krieges nicht eingepreist. Die zwölf Milliarden Euro, die die Ampel für die Abfederung der Folgen der hohen Inflation aufbringen will, sind angesichts der 100 Milliarden Euro, die sie nun der Bundeswehr verspricht, lächerlich wenig. Vor allem aber ist das Entlastungspaket sozial unausgewogen.

Der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger von 135 Euro, der für Zwei-Personen-Haushalte 175 Euro beträgt und pro weiteres Mitglied um 35 Euro steigt, ist für die Betroffenen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch die einmaligen 100 Euro für Hartz-IV-Beziehende und 20 Euro Sofortzuschlag ab 1. Juli für von Armut betroffene Kinder relativieren sich ganz schnell, wenn man sieht, wer etwa von der Erhöhung der Pendlerpauschale oder der Anhebung des Steuerfreibetrags am meisten profitiert. So hat am meisten vom Entlastungspaket, wer am meisten verdient. Bei einer Alleinverdiener-Familie mit einem Jahresbruttoeinkommen von 35 000 summieren sich die Maßnahmen auf insgesamt 256 Euro für Nicht-Pendler bzw. 248 Euro für Pendler, bei einem Einkommen von 150 000 sind es 298 Euro.

Und man darf nicht vergessen, dass die Coronakrise große Löcher in den Portemonnaies der Arbeitendenden gemacht hat. Schon 2020 und 2021 stieg die Inflation schneller als die Einkommen. Die Reallöhne, die die Kaufkraft der Arbeitenden angibt, sanken 2021 um 0,1 und 2020 um 1,1 Prozent. Der Großteil der Menschen hierzulande hat de facto also bereits weniger Geld in der Tasche als noch vor zwei Jahren. Die Frage nun ist, ob diese Menschen einen noch größeren Verlust hinnehmen werden oder es zu mehr Verteilungskämpfen kommt.

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