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Petro will in Kolumbien Geschichte schreiben
Linker Präsidentschaftskandidat wird durch Sieg bei Kongresswahl gestärkt
»Pacto Histórico« - historischer Pakt - heißt das Wahlbündnis, an dessen Spitze Gustavo Petro Geschichte schreiben möchte. Als erster linker Präsident will Petro das extrem polarisierte Kolumbien regieren, und dafür stehen die Chancen nicht schlecht, denn der 61-jährige ehemalige Guerillero des M-19, einer 1990 demobilisierten städtischen Guerilla, führt alle Umfragen mit sattem Vorsprung an. Auch die Parlamentswahlen, bei denen die Kolumbianer*innen parallel zugleich die Kandidat*innen für die Präsidentschaftswahl am Sonntag, 29. Mai, wählten, standen ganz im Zeichen Gustavo Petros, der mit 4,5 Millionen die meisten Stimmen einheimste.
Das Ergebnis seines Bündnisses kann sich auf den ersten Blick sehen lassen. Während die erzkonservative Partei des amtierenden Präsidenten Iván Duque die erwartete Klatsche kassierte und von der größten Partei zur fünft- beziehungsweise viertgrößten im Senat und Repräsentantenhaus schrumpfte, landete der »Pacto Histórico« knapp davor.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die eigentlichen Gewinner der Wahl waren mit der liberalen und der konservativen die beiden traditionellen Parteien Kolumbiens. »Sie feiern ein Comeback«, so Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Bernardo Pérez, dem das Wahlergebnis die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. »Obwohl die Parlamentswahl nach den massiven Protesten im vergangenen Jahr, die von der Regierung mit Gewalt niedergeschlagen wurden, als richtungsweisend galt, lag die Wahlbeteiligung nur bei 45,87 Prozent.« Zu wenig für Pérez, der auf die hohe Zahl von nicht ausgefüllten und ungültigen Stimmzetteln verweist - zusammen rund sieben Prozent. »Das führt dazu, dass wenig mehr als ein Drittel der Bevölkerung bestimmt hat, wer fortan Gesetze erlässt«, so Pérez. Auch die Fragmentierung der Parteienlandschaft ist für ihn ein negativer Faktor. Zehn Parteien sind es nun im Repräsentantenhaus, fünf davon mit ähnlich vielen Abgeordneten, wodurch das Regieren alles andere als einfach werden wird.
»Ein progressiver Präsident wie Gustavo Petro, der die Umfragen anführt, hat angesichts fehlender Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments wenig Gestaltungsspielraum. Er muss sich Mehrheiten suchen. Das könnte zu Stagnation führen«, prophezeit Pérez. Er ist mit seiner Sicht der Dinge nicht allein. In Kolumbien konzentriert sich vieles auf die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 29. Mai. Bisher liegt bei den Umfragen Gustavo Petro klar vor dem zweitplatzierten Federico Gutiérrez, der bei den Vorwahlen zur Kandidatenkür in den unterschiedlichen politischen Lagern 2,1 Millionen Wähler*innen hinter sich versammeln konnte - 2,4 Millionen weniger als Petro. Gutiérrez, der Ex-Bürgermeister von Medellín ist der Mitte-rechts-Kandidat. Der ultrarechte Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez (2002-2010) soll ihn unterstützen. Uribe hat sich von seiner rechtskonservativen Partei, Centro Democrático (Demokratisches Zentrum), mehr und mehr abgenabelt.
Der Anwalt und Menschenrechtsexperte Gustavo Gallón hält es für wahrscheinlich, dass es eine Stichwahl zwischen Petro und Gutiérrez geben wird. Als zu schwach, schätzt er den Mitte-links-Kandidaten Sergio Fajardo, Ex-Gouverneur der Provinz Antioquia, ein. Der Kandidat der Regierungspartei von Präsident Duque, Oscar Zuluaga, ist hingegen in den Umfragen weit abgeschlagen und hat inzwischen seine Kandidatur zurückgezogen. Abgeschlagen sind auch die unabhängigen Kandidaten Rodolfo Hernández und Ingrid Betancourt, die 2002 bereits kandidierte, aber damals im Wahlkampf von der Farc-Guerilla entführt wurde.
Gustavo Petro prognostiziert: »Wir werden schon in der ersten Runde gewinnen.« Daran glaubt Lucía González nicht so recht. Sie ist Mitglied der Wahrheitskommission und erwartet, dass der erhoffte politische Wandel nicht so schnell vonstattengehen wird. »Ich glaube, dass wir dafür noch eine Generation brauchen, denn die Polarisierung in diesem Land ist allerorten spürbar.«
Positiv überrascht ist sie von Francia Márquez Mina. Als erste afrokolumbianische Präsidentschaftskandidatin trat sie neben Gustavo Petro für »Pacto Histórico« an. Die 39-jährige Anwältin, Feministin und Aktivistin für Menschenrechte und Umweltschutz kommt aus dem Cauca, der gefährlichsten Region Kolumbiens. Sie hat ihre Stimme für diejenigen erhoben, die im politischen Establishment bisher kaum zu hören sind: Frauen, Afros, Indigene, Arme. Mit 783 160 Stimmen hat sie einen Erfolg gelandet, der ihr kaum zugetraut worden war. Petro wird im Falle einer Präsidentschaft schwerlich darum herumkommen, Márquez Mina an prominenter Stelle einzubinden.
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