- Brandenburg
- Energiepreise
Ukraine-Krieg schockt Wirtschaft
Unternehmen in der Region sind vor allem von explodierenden Energiekosten betroffen
Es sind Dutzende Lastwagenfahrer*innen, die am Mittwoch ihrem Frust auf dem Berliner Ring A10 in der Hauptstadt Luft machen. Mit Schleichfahrten, auch in Nordrhein-Westfalen, protestieren sie gegen steigende Spritpreise und die prekäre Lage für mittelständische Transportunternehmen. »Auf die Dauer bringt uns das an den Rand der Existenz«, erklärt Markus Hustan, einer der Initiatoren, gegenüber »nd«. Firmen planten schon jetzt damit, eigene Fahrzeuge zu verkaufen.
Etwa zur gleichen Zeit schlägt der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), Christian Amsinck, auf einer Pressekonferenz Alarm: »Gewissheiten werden durch den Krieg auf die Probe gestellt«, - so auch die Ansicht, dass die Energieversorgung in Deutschland gesichert sei. Für Berlin und Brandenburg rechnet der Unternehmer mit nicht unerheblichen Konsequenzen, auch wenn die Ukraine und Russland »als Handelspartner nicht ganz vorne stehen«. Neben den steigenden Rohstoffpreisen seien es etwa unterbrochene Lieferketten in der Metall- und Elektroindustrie, die für Kopfschmerzen sorgen. Drei Viertel dieser Firmen in der Region exportieren laut Amsinck nach Russland, Belarus oder in die Ukraine. Jedes zweite der Unternehmen werde von dort beliefert. »Auch die Lebensmittelbranche ist auf Weizen aus der Ukraine und Russland angewiesen«, sagt er.
Auch der Bauindustrieverband Ost spricht von »erheblichen Materialpreissteigerungen« und »drohenden Lieferengpässen«, stimmt zugleich aber mildere Töne an. »Inwieweit und vor allem wann es zu angebotsseitigen Materialengpässen kommen wird, lässt sich aktuell noch nicht beurteilen«, so Verbandschef Robert Momberg. In einer Umfrage der Wirtschaftsförderung Berlin Partner wiederum heißt es, die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf den Markt seien »spürbar, aber überschaubar«. Rund 30 Prozent der befragten Unternehmen in der Hauptstadt hätten angegeben, von Lieferkettenproblemen betroffen zu sein.
Ein Drittel der Befragten erwarte zudem Auswirkungen in Folge der Sanktionen gegen russische Banken, so Berlin Partner. Bei wiederum sechs Prozent nehme die Krise akuten Einfluss auf die Fachkräftesituation. Viele der Berliner Unternehmen forderten temporäre, existenzsichernde Hilfen, da man die Energiepreisentwicklungen nicht in der gleichen Geschwindigkeit an die Verbraucher weitergeben könne. Die UVB fordern, wie die Demonstrierenden auf dem Berliner Ring, Steuersenkungen: auf Diesel, Erdgas, Heizöl und Strom - allesamt bis auf den EU-Mindestsatz. »Man könnte mit einem Schlag sehr schnell etwas tun«, sagt Amsinck. »Der angepasste Dieselpreis könnte 33 Cent niedriger liegen.«
Ein Embargo russischer Energielieferungen kommt für die UVB nicht in Frage: »Wer die Versorgung kappt, legt die Axt an das Fundament unseres Gemeinwesens.« Viele Betriebe würden in kürzester Zeit stillstehen, so Amsinck. Auch die Erhöhung des Vergabemindestlohns auf 13 Euro, wie sie der Senat am Dienstag verkündete, sehe er kritisch. Dieser komme einer erneuten Bestrafung nach der unverschuldeten Coronakrise gleich und berge immensen bürokratischen Aufwand.
Die Einführung des Vergabemindestlohns verteidigt Damiano Valgolio, Sprecher für Arbeit und Wirtschaft der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: »Die wirtschaftliche Hauptlast der Pandemie haben die Beschäftigten getragen.« Nach Kurzarbeit und dem Wegfall von Einkommen müsse ihnen nun zuerst geholfen werden. Dass der Mindestlohn einen großen bürokratischen Aufwand mit sich bringt, weist der Linke-Politiker als »vorgeschobenes Argument« zurück. Es handele sich um einen einzelnen Antrag.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) lehnt in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Brandenburger Landtags am Mittwoch die Auflage eines finanziellen Unterstützungsfonds ab. Es bestehe eine »Erwartungshaltung, dass Vater Staat grundsätzlich alles abfängt, aber das wird nicht machbar sein«. Derzeit melde kein brandenburgisches Unternehmen Produktionsstockungen, wie die westdeutsche Autoindustrie, die aufgrund fehlender Kabelbaum-Lieferungen aus der Ukraine Kurzarbeit anmelden musste. Bekannt seien aber Fälle von Unternehmen, die Waren nach Russland geliefert hätten, die Bezahlung dafür aber ausgeblieben sei.
Der hohe Energiepreis gefährdet laut Steinbach die Produktion in den beiden Glashütten Brandenburgs und in einer Papierfabrik bei Ahrensfelde. Er gehe aber davon aus, dass weitere Firmen betroffen sind und möglicherweise Kurzarbeit beantragen werden. Der Einzelhandel habe ihm gegenüber signalisiert, dass in den kommenden drei Wochen keine Lieferengpässe zu befürchten seien. Der Umbau und die Abkopplung von Energielieferungen aus dem Osten wird laut Steinbach mindestens anderthalb Jahre in Anspruch nehmen. Der Bund habe zusätzlich Öl im Wert von 1,5 Milliarden Euro angekauft. Ein Embargo komme nicht infrage. Steinbach erwartet jedoch Lieferkettenengpässe bei russischem Rohstahl, aber auch anderen Stoffen. Zudem zwinge der Krieg zu längeren Transportwegen.
Zu den »Fehlern« der Vergangenheit zählte der Wirtschaftsexperte der Grünen-Fraktion im Brandenburger Landtag, Heiner Klemp, den Verzicht auf Mindestspeichermengen für Energievorräte und dass »die größten Speicher inzwischen dem russischen Gaskonzern Gazprom gehören«.
Der Verbraucher zahle in Deutschland einer Energiesteuer, die in ihrer Höhe »europaweit ihresgleichen sucht«, kritisiert Saskia Ludwig, Sprecherin für Wirtschaft und Energie der CDU im Brandenburger Landtag. Speditionsunternehmen geraten Ludwig zufolge ins Hintertreffen, weil sie im Unterschied zur polnischen oder ukrainischen Konkurrenz europäische Vorgaben einhalten.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!