- Politik
- Internationale Kämpfer in der Ukraine
Weg vom Krieg, hin zum Krieg
Tausende Soldaten aus aller Welt reisen an die polnische Grenze, um im Ukraine-Krieg zu kämpfen. Doch was ist ihre Motivation?
Es sind Bilder einer menschlichen Tragödie, die ihren traurigen Platz in den Geschichtsbüchern finden werden: die vielen Geflüchteten, die am ukrainischen Grenzübergang im polnischen Medyka ankommen. Eine alte Frau sitzt am Rand des Geschehens erschöpft auf einer Bank und singt ein ukrainisches Volkslied. Die Traurigkeit in ihrer warmen, hellen Stimme erinnert alle an den Grund, warum sie hier sind: weil auf der anderen Seite der Grenze ein erbarmungsloser Krieg wütet.
Die Hilfsangebote hier gleichen einem gut organisierten Bienenstock. Jede*r hat eine Aufgabe. Mit ihrem wenigen Hab und Gut betreten die aus der Ukraine Ankommenden polnisches Territorium – und damit auch die Europäische Union. Um zu den Bussen zu gelangen, die sie weiter in die nahe gelegene Stadt Przemyśl bringen, muss man einen schmalen Hilfskorridor entlanggehen. Verschiedenste Organisationen bieten hier Unterstützung an. Sei es warmer Tee, Essen, eine SIM-Karte oder ein Kinderwagen oder Wasser und Futter für die mitreisenden Vierbeiner: An vieles wurde gedacht. Die Geflüchteten wollen einfach nur weg: vom Krieg, von der Grenze, den Russen und dem Trauma. Manche so weit weg wie nötig, andere so weit wie möglich.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Doch einige Tausend Menschen fahren direkt in die entgegengesetzte Richtung. Der Überlebenstrieb, der Instinkt, sich vom Tod wegzubewegen, ist bei diesen Soldaten anders gepolt. Das heißt nicht, dass sie ihres Lebens müde sind oder dass sie keine Angst haben. Aber sie sind bereit zu sterben, um die Ukraine, ein Land, das nicht ihre Heimat ist, zu verteidigen. Was bewegt diese aus vielen verschiedenen Ländern kommenden Freiwilligen, in diesem Krieg ihr Leben zu riskieren?
Thierry und Holger haben sich im Flixbus Richtung Przemyśl kennengelernt. Die polnische Kleinstadt im Südosten des Landes ist zum internationalen Drehkreuz geworden. Der deutsche und der französische Soldat wollen über den nahe gelegenen Grenzübergang Korczow in die Ukraine reisen.
Für Thierry, der schon 2015 ein Jahr lang zusammen mit Peschmerga-Einheiten im kurdischen Norden des Irak gegen die islamistische Terrormiliz kämpfte, ist die Motivation klar: Seine Großmutter wurde 1912 in Kiew geboren. Deshalb will er für die Ukraine kämpfen. Seiner Mutter hat er von dem Vorhaben erzählt. Sie habe geweint, erzählt er. Was ist, wenn er von russischen Militärs gefangen genommen wird? Darüber mache er sich jetzt keine Gedanken, sagt Thierry: »Wenn ich sterbe, dann ist das eben so.«
Für Holger, Rettungssanitäter und Veteran des Bundeswehreinsatzes im früheren Jugoslawien, war am dritten Tag nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine klar, dass auch er kämpfen will. Für ihn seien es westliche Werte wie Freiheit, die es zu verteidigen gelte, erklärt er. Von seinem Arbeitgeber ließ er sich auf unbestimmte Zeit freistellen. Seine Familie und Freunde waren über seine Entscheidung bestürzt. Auch er hat sich mit der Möglichkeit des eigenen Todes auseinandergesetzt. Angst habe er nur, einen qualvollen Tod zu sterben.
Ein Hotel voller Freiwilliger
Sowohl Thierry als auch Holger werden auf der ukrainischen Seite schon erwartet. Man weiß, dass sie kommen. Beide hatten sich über die jeweilige ukrainische Botschaft für den Dienst beworben, mussten unter anderem Angaben zu ihrer militärischen Ausbildung machen.
In Polen gibt es immer wieder Gerüchte, dass das ukrainische Militär ausländische Soldat*innen vertraglich dazu verpflichtet, bis zum Ende des Krieges zu bleiben. Für Thierry und Holger ist das völlig logisch. »Wir sind hier, um unseren Dienst zu leisten.« Beide Männer haben einen gewissen Pragmatismus, eine Abgeklärtheit, aber auch eine innerliche Ruhe, wenn sie über Krieg reden. Sie sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Obwohl sie sich freiwillig auf den Weg in eine potenziell tödliche Situation begeben, hängen sie an ihrem Leben, sagen sie. Und betonen, dass sie sich wünschen, andere Menschen mögen ihre Entscheidung respektieren.
Es ist ruhig auf dem Parkplatz vor einem unscheinbaren Hotel nördlich von Przemyśl. Einige Männer in Camouflage-Uniform stehen auf der Terrasse und rauchen. »Ich habe mein Leben aufgegeben, um hier herzukommen, und sie geben mir nichts«, beschwert sich ein hochgewachsener britischer Soldat energisch. Die Ukrainer versorgten ihn nicht ausreichend mit »Intel«. Damit ist nicht das US-amerikanische Unternehmen gemeint, das plant, in Magdeburg eine Chipfabrik zu eröffnen, sondern im englischen Militärjargon steht das Wort für »intelligence« – also Informationen zur Lage hinter der Grenze.
Außerdem gebe es nicht genug Waffen, sagt der Brite. Er wolle nicht als »Kanonenfutter« dienen. Erst wenn die angekündigten Waffenlieferungen aus den USA ankommen, darunter Maschinenpistolen, Munition und Granatwerfer, sei der richtige Moment, über die Grenze zu reisen, meint er. Um ihn herum scharen sich Interessierte, die seine Einschätzungen hören wollen. Auch hier finden sich Soldaten und Veteranen aus aller Welt; den USA, Kolumbien, Deutschland.
Bis zu 1000 deutsche Staatsbürger sollen bereits in die Ukraine gereist sein, berichten verschiedene deutsche Medien. Das Bundesverteidigungsministerium erklärte auf »nd«-Anfrage nach einer genauen Zahl, man könne leider nicht behilflich sein können, da die Frage inhaltlich nicht den Geschäftsbereich des Ministeriums betreffe. Befürchtungen gibt es auch, dass sich Rechtsradikale aus Deutschland unter den Kämpfenden auf ukrainischer wie auf russischer Seite befinden könnten.
Alle internationalen Freiwilligen, die an der polnisch-ukrainischen Grenze auf ihren Einsatz warten, sind militärisch ausgebildet. Nicht wenige hier haben schon in vielen Kriegen gekämpft, in Ländern, die nicht ihre eigenen waren. Sie alle haben sich hier in diesem Hotel getroffen, als letzte Station vor dem Krieg.
Journalist*innen gegenüber sind sie misstrauisch. Es war nicht leicht, in Kontakt mit ihnen zu kommen. Die Freiwilligen betonen ihren Respekt vor dem Beruf, er sei sehr gefährlich, denn »ihr arbeitet ja ohne Waffen«. Sie wollen anonym bleiben und stellen klar, dass auch Standort und Name des »Soldatenhotels« nicht öffentlich werden sollen. Das sei nötig für ihre Sicherheit. »Wenn die im Hotel hören, dass ihr von der Presse seid, schmeißen sie euch raus«, sagt einer von ihnen. Sie befürchten, dass eine zu genaue Beschreibung des Ortes es dem russischen Militär erleichtern würde, sie ausfindig zu machen. Kaum einer hier hat wirklich ein Problem mit den Russen. Zumindest sagt das keiner offen. Die russische Bevölkerung habe wenig mit den Angriffen auf die Ukraine zu tun. Doch den russischen Präsidenten Wladimir Putin und sein Regime wollen sie bekämpfen.
Kritik an den Medien
Einen zwiespältigen Eindruck von Journalist*innen haben auch die Menschen, die sich um die an der Grenze ankommenden Geflüchteten kümmern. Viele zeigen sich dankbar für das Interesse, die Bereitschaft, so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf diese humanitäre Katastrophe zu lenken. Doch der Druck auf Fotograf*innen, Kameraleute, Reporter*innen, die ersten Bilder und krassesten Nachrichten zu liefern, ist hier besonders hoch. Ein Helfer, der täglich Güter in die Ukraine hinein und Menschen herausfährt, berichtet beispielsweise, Journalist*innen hätten vor der Grenze ein Holzfeuer entfacht, damit die Bilder dramatischer wirken. Das habe ihn misstrauisch gemacht.
Eine Szene am Grenzübergang: Eine gerade aus der Ukraine angekommene, sehr alte Frau im Rollstuhl wird vorsichtig einen Hügel heruntergefahren. Sie ist offensichtlich erschöpft, doch die Kameraleute halten gnadenlos rauf. Alle Geflüchteten sind in einer verletzlichen Position, in einem persönlichen Ausnahmezustand, doch ihre Privatsphäre wird nicht ausreichend geachtet. Medienvertreter*innen sind normalerweise eine der ersten Berufsgruppen, die bei Katastrophen vor Ort sind, doch eine der letzten, die ihre Verantwortung für Betroffene und mögliche psychologische Folgen ihrer Arbeit für die Menschen erkennen, über die sie berichten.
Hier, an der Grenze bei Korczow, fragt sich bestimmt niemand, ob das Gras auf der anderen Seite grüner ist. Denn auf der anderen Seite wütet der Krieg. Ausgerechnet da wollen Thierry und Holger hin. Die letzten Meter gehen sie zu Fuß, ihr weniges Gepäck auf dem Rücken. Vorbei an den Transportern mit Hilfsgütern, auch sie kommen aus aller Welt. Die Fahrer*innen haben ihre Fahrzeuge mit Solidaritätsbekundungen aller Art ausgestattet: In den Fenstern kleben Schilder mit Aufschriften wie »Support Ukraine«, auf dem Armaturenbrett sind Minifahnen in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb zu sehen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.