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- Weltcupfinale im Biathlon
Die Leiden des Erik Lesser
Nach zwölf Jahren verabschiedet sich der thüringische Biathlet aus dem Weltcup. Er überzeugte nicht nur sportlich
Mit ihrer anspruchsvollen Strecke zählt die Biathlonanlage am Holmenkollen zu den schwierigsten im Weltcup - für die internationale Elite also genau der richtige Kurs, um sich nach den letzten Rennen des olympischen Winters in den Urlaub zu verabschieden. Franziska Preuß zum Beispiel findet den abwechslungsreichen Kurs auf Oslos berühmtem Berg, mit ihren Anstiegen, Kurven und Abfahrten einfach »cool«. Das ist sogleich das passende Stichwort für Erik Lesser. Manchmal sei er mit den Anforderungen dort prima klargekommen, manchmal weniger gut, berichtet der Thüringer - und präsentiert seinen Plan für das bevorstehende Wochenende. »Ich versuche, bei meinem letzten Weltcup so cool wie möglich zu bleiben«, sagt der 33-Jährige, der seit seinem Weltcupdebüt im März 2010 schon einige Saisonfinals in der norwegischen Hauptstadt mitgemacht hat.
Nun, wo nach dem Schlussakkord in Skandinavien für ihn definitiv kein weiterer folgen wird, ist für Lesser klar: »Mein letztes Rennen soll kein Halligalli-, Spiel-, Spaß- und Spannungswettkampf werden.« Beim finalen Dreiklang von Oslo mit dem Sprint am Freitag, bei dem er Fünfter wurde, der Verfolgung am Sonnabend und dem Massenstart am Sonntag will er sich also noch mal so richtig quälen. Ehe für ihn das Leben nach dem Leistungssport beginnt. Dass Lesser dafür selbst die Heim-WM 2023 in Oberhof sausen lässt, ist nicht nur eine Entscheidung gegen weitere Leiden eines Leistungssportlers sondern auch ein Dankeschön an seine Lebensgefährtin Nadine Neuber - die nach der Geburt der gemeinsamen Tochter berufsmäßig zurückgesteckt hat. Die kleine Anouk ist im Januar drei geworden. Und ihr Papa, eine Dekade lang einer der Leistungsträger im deutschen Biathlonteam, sagt voller Vorfreude: »Ich will es einfach genießen, meine Tochter in den Kindergarten zu bringen und sie abzuholen.«
Bevor sich Erik Lesser intensiv dem Familienleben widmet, will er für drei Rennen noch mal so cool bleiben wie bei seinen Karriere-Highlights. Bei Olympia 2014 sorgte er mit seinem zweiten Platz im Klassiker über 20 Kilometer für die einzige deutsche Einzelmedaille - und holte auch mit der Staffel Silber. Ganz oben auf dem Treppchen stand Lesser dann ein Jahr später in Kontiolahti, als er sich mit seinem Sieg in der Verfolgung zum Weltmeister kürte. Und dabei erwies sich der gebürtige Suhler nicht nur als abgezockter Athlet auf der Strecke, sondern auch immer als ein ausgesprochen humorvoller Zeitgenosse. So bot Lesser bei der Pressekonferenz nach seinem olympischen Silberlauf im Einzel von Sotschi, als er unter anderem über seine beiden Opas plauderte, allerbeste Unterhaltung.
Wenn er heute über die geplante Karriere nach der Karriere spricht, sitzt dem Staffel-Weltmeister von 2015 auch der Schalk im Nacken. Dass er die Trainerlaufbahn einschlagen möchte, steht für Lesser bereits länger fest. Dementsprechend hat sich der Oberhofer, der immer wieder die Dopingpraktiken in der Branche anprangerte und sich schon zu einem recht frühen Zeitpunkt in seiner Karriere für eine lebenslange Sperre bei einem positiven Test aussprach, auch schon Gedanken darüber gemacht, wie er mit seinen künftigen Eleven umgehen möchte. Um dazu seine grundsätzliche Haltung zu verdeutlichen, gab er zu Saisonbeginn im Gespräch mit »nd« eine »geile Geschichte« von einem der Physiotherapeuten des deutschen Teams zum Besten. »Der bekam als Junior im Langlauf mal Ärger, weil er sich mit Kollegen mit Kameras im Wald versteckt und auf der Strecke Mehl verstreut hat. Das führt unweigerlich zu extremen Stürzen«, erzählte Lesser vergnügt. »Sie haben mit 40 km/h eine Abfahrt gemacht - und durch das Mehl bleibt dann einfach der Ski komplett stehen. Wenn man da drüber fährt, hat man das Gefühl, es reißt einem die Bindung aus dem Ski. Nicht den Schuh aus der Bindung.«
So etwas sei natürlich übertrieben, erklärte Lesser noch, verwies aber zugleich auf die Quintessenz der Anekdote: »Man muss einfach auch ein bisschen Blödsinn machen.« Er wolle, erzählt Lesser, ein moderner Trainer sein, dem Disziplin wichtig ist - der das Leben aber auch mit einem zwinkernden Auge betrachtet. »Das Haupttraining beginnt bei uns in der Regel um neun Uhr, das muss laufen. Alles andere ist mir eigentlich egal«, ließ Lesser, der sich perspektivisch auch den Job des Bundestrainers vorstellen kann, dabei durchblicken. Man solle in seiner Freizeit natürlich nicht noch mal laufen gehen, aber eben auch mal Quatsch machen können, fügte er dann noch hinzu.
Bundestrainer Mark Kirchner beschrieb Lesser einmal als »einen Athleten, der sehr kreativ ist und auch seine eigenen Ideen mit ins Training einbringt«. Auch deshalb glaubt Lessers langjähriger Zimmerkollege Arnd Peiffer, der Ski und Gewehr bereits vor einem Jahr eingemottet hat, dass sein einstiger Kompagnon einmal ein sehr guter Trainer wird. Im nächsten Jahr will Lesser in Köln den Trainerschein machen.
Neben dem einen oder anderen Jux dürfen sich seine künftigen Schüler zudem auf einen Coach einstellen, der gerne über die Skispitzen und den Schießstand hinausschaut. Im deutschen Team entwickelte sich Lesser in den letzten Jahren zum Athleten mit der schärfsten Zunge. Rund um die Winterspiele in Peking kritisierte er sehr deutlich die Wahl des Austragungsorts, den Gigantismus und die fehlende Nachhaltigkeit des olympischen Spektakels. Und IOC-Chef Thomas Bach ließ er ausrichten, er hätte sich »von einem Präsidenten mit ordentlich Rückgrat gewünscht, dass man schon ein paar kritischere Töne Richtung chinesische Regierung richtet«.
Wenn Not am Mann war, half Lesser, der vor vier Jahren in die Athletenkommission des Weltverbandes gewählt wurde, auch spontan aus: So lieh er dem Russen Eduard Latypov in dessen Quarantänezeit beim Januar-Weltcup in Oberhof sportliches Equipment. Nach dieser Hilfsaktion bekam Lesser auf Instagram 30 000 neue Follower aus Russland - von denen sich zuletzt wieder ein Drittel verabschiedete. Der Grund: Nach der russischen Invasion in die Ukraine hatte er der ukrainischen Biathletin Anastassija Merkuschina seinen Kanal zur Verfügung gestellt. »Damit in Russland mehr Leute wirkliche Nachrichten bekommen«, erklärte Lesser, der seinen Account später auch dem ukrainischen Tennisprofi Sergej Stachowski überließ.
Sportpolitisch weiter engagieren will sich der Gewinner von insgesamt sieben WM-Medaillen allerdings nicht - weil er glaubt, sich dabei aufzureiben. Anders ist die Lage bei möglichen Auftritten als Fernsehexperte. Auf den Mund gefallen ist Erik Lesser schließlich nicht. »Das kann ich mir«, sagt er beim Gedanken an künftige Kommentare vor der Kamera, »schon ganz gut vorstellen.«
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