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- Prozess gegen Maskengegner
Ein Schuss mitten ins Gesicht
In Bad Kreuznach beginnt der Mordprozess gegen einen Maskengegner, der sich selbst gestellt hatte
Rückblickend liest es sich wie eine Ankündigung. »Meine Muskeln sind gespannt, mein Geist geschärft«, steht noch heute bei Twitter. »Gnade denen welche diese Situation heraufbeschworen haben. Oder, nein, gnade wäre unrecht.« Geschrieben haben soll das Mario N., der Tweet vom Oktober 2019 ist der letzte eines Accounts, der dem Softwareentwickler aus dem rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein zugeschrieben wird. Später verlegte sich der 50-Jährige auf andere Social-Media-Plattformen.
Am 18. September 2021 soll Mario N. in seinem Heimatort den Tankstellenkassierer Alexander W. erschossen haben. Weil der, ein 20 Jahre alter Student, der jobbte, um Geld für seinen Führerschein zu verdienen, auf der Einhaltung der Corona-Regeln bestanden hatte. Von Montag an muss sich Mario N. vor dem Landgericht in Bad Kreuznach verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihm heimtückischen Mord aus niederen Beweggründen zur Last. Der Corona-Leugner soll aus Protest gegen die Corona-Politik gemordet haben. »Um ein Zeichen zu setzen«, heißt es. Er habe sich »belastet gefühlt« durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und den jungen Tankstellenbeschäftigten, der lediglich immer wieder auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte, als »mitverantwortlich für die Gesamtsituation« angesehen.
Was an jenem Abend in der Aral-Tankstelle von Idar-Oberstein geschehen ist, soll auf Bildern der Überwachungskameras gut zu erkennen sein. Wie der Angeklagte ohne Mund-Nasen-Bedeckung den Verkaufsraum betritt, wie er zwei Sechserträger Bier kaufen will, wie Alexander W. mit ihm diskutiert und sich schließlich weigert, ihm das Bier zu verkaufen. Wie Mario N. abzieht und nach anderthalb Stunden wiederkommt, diesmal mit Maske, die er an der Kasse herunterzieht. Wie ihn Alexander W. auffordert, die Maske wieder aufzusetzen. Wie der Angeklagte einen Revolver aus der Hosentasche zieht. Und wie er seinem Opfer aus kurzer Entfernung ins Gesicht schießt. Dann setzt Mario N., so steht es in der Anklage, die Maske wieder auf und geht. Sein Opfer war sofort tot.
Am Morgen danach stellte sich der Angeklagte der Polizei. Er soll die Tat gestanden haben, seither schweigt er. Ob er sich vor Gericht äußern will, ist noch unbekannt. Im Prozess, für den zunächst 13 Verhandlungstage bis Mitte Mai angesetzt sind, wird es auch darum gehen müssen, seine Radikalisierung nachzuzeichnen. Bis zur Tat hatten ihn weder Polizei noch Verfassungsschutz auf dem Schirm, die Amadeu Antonio Stiftung spricht im Zusammenhang mit dem Mord gleichwohl von rechtem Terror.
Der erwähnte Twitter-Account folgt fast ausschließlich rechten Medien und Galionsfiguren – von der »Jungen Freiheit« und Tichys Einblick über Björn Höcke, Erika Steinbach und Hans-Georg Maaßen bis hin zu dem Blogger und Journalisten Boris Reitschuster, der mit seiner Online-Plattform zum Idol der Querdenker-Szene geworden ist. In seinen eigenen Beiträgen zeigt »Vorsicht an der Bahnsteigkante!«, so der mutmaßliche Benutzername von Mario N., ein mindestens AfD-nahes Weltbild: Er hetzt gegen Geflüchtete, leugnet den Klimawandel, schimpft über »Lügenpresse« und Antifa.
Nach Beginn der Corona-Pandemie soll sich Mario N. laut Medienberichten im beruflich geprägten Netzwerk LinkedIn, bei dem seine IT-Firma mit einem mittlerweile gelöschten Profil vertreten war, kritisch über die Pandemiepolitik geäußert und sich offen gegenüber Verschwörungserzählungen gezeigt haben. Auch bei Telegram soll er unterwegs gewesen sein.
In einschlägigen Telegram-Kanälen der Querdenker-Szene wurde zwar auch von einer »False-Flag-Aktion« des Staates geraunt, mit der ihre Bewegung diskreditiert werden solle. Doch ansonsten mangelte es nicht an Zuspruch. Herzchen und nach oben gerichtete Daumen wurden gepostet, Hass und Häme über das Opfer ausgeschüttet. Der Betreiber des Kanals »Free your mind«, dem fast 18 000 Menschen folgen, jubelte: »Jetzt gehts los !!!« Auch das ist noch immer nachzulesen.
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