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  • Berlin
  • Rassistsische Polizeigewalt

Einzelfälle gibt es nicht

Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt dokumentiert seit 20 Jahren rassistische Polizeigewalt

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt Initiativen, die sich selbst wünschen würden, dass es den Grund ihrer Arbeit nicht mehr gibt. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) ist so ein Fall. Seit mittlerweile 20 Jahren dokumentiert sie zahlreiche traumatische Erfahrungen, die von Rassismus betroffene Menschen mit der Berliner Polizei machen. Die Kontinuität der Vorfälle lässt befürchten, dass die KOP ihre Arbeit aber so schnell nicht niederlegen können wird.

Angefangen hat die Initiative mit einem Rechtshilfefonds. Wer Rassismus durch die Polizei erlebt, kann finanzielle Unterstützung erhalten, um das erlebte Unrecht vor Gericht zu bringen. Die Initiative hilft aber nicht nur mit dem aus Spenden finanzierten Fonds. Sie vermittelt auch an Beratungsstellen, Anwälten und Psychologen. Darüber hinaus begleitet sie die Opfer in ihren Gerichtsverfahren.

Aus dieser Arbeit heraus ist auch die Chronik der KOP entstanden. »Wir haben gemerkt, dass die Menschen uns Geschichten erzählen und uns dann entschieden, diese zu verschriftlichen«, sagt Biplab Basu von der Chronik-Redaktion. 2012 ist die erste Publikation mit rassistischen Vorfällen seit der Jahrtausendwende erschienen, nun die Zweite mit den Fällen der seitdem vergangenen Jahre. Insgesamt gibt es über 330 Einzelberichte. Die Fälle in der KOP-Chronik reichen vom sogenannten Racial Profiling, also dem Kontrollieren von Menschen beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe und ohne konkrete Verdachtsmomente über rassistische Beleidigungen bis hin zu Körperverletzungen oder sogar Tötung durch die Polizei.

»Die Chronik ist ganz anders als ein trockenes Monitoring«, sagt Basu. Es gehe nicht darum, die Geschichten der Opfer zu komprimieren, so dass sie in Statistiken zusammengefasst werden können. »Wir stellen dar, was die Menschen erlebt haben: die Erniedrigung und Gewalt.«

Diese Wiedergabe hätte ihre Berechtigung, meint auch Nahed Samour. »Das Schreien und Weinen kann kein Gerichtsurteil ausdrücken«, so die Berliner Rechts- und Islamwissenschaftlerin. In ihren Augen bräuchte es einen über die Berichte hinausgehenden Umgang mit den Vorfällen. Doch die Polizei vor Gericht für rassistische Gewalt rechenschaftspflichtig zu machen, sei schwer. Es müsse nicht nur die Gewalt, sondern auch die rassistische Motivation nachgewiesen werden, erklärt Samour. Auch werde durch die Chronik zwar deutlich, dass es eine Studie zu rassistischer Polizeigewalt in Berlin bräuchte. Die Chronik sei aber kein Ersatz für diese.

Gegenüber Vorschlägen wie dem, dass mehr Polizisten mit Migrationshintergrund beziehungsweise eigenen Diskriminierungserfahrungen dem Problem rassistischer Polizeigewalt etwas entgegensetzen könnten, ist sie skeptisch. »Wir sollten nicht jeden Vorschlag beklatschen, das gilt beispielsweise auch für die Ombudsstelle. Institutionen sind größer als Einzelpersonen. Mehr People of Color werden die strukturellen Fragen nicht lösen«, sagt Samour.

Viel zu tun gebe es auch bei der Frage, wie Opfer rassistischer Polizeigewalt nach ihren Erlebnissen unterstützt werden können. »Viele bleiben danach oft allein«, so die Psychologin Lucia Muriel. Wer nach professioneller Unterstützung sucht, sei damit konfrontiert, dass Therapeuten oft keine Weiterbildung zum Thema Rassismus hätten. Im schlimmsten Fall könnten die Betroffenen dann erneut traumatisiert werden. Wenn die Opfer Sätze hören wie: »Es muss ja einen Grund gegeben haben.« Oder ihnen sogar entgegnet wird, dass man so etwas noch nie gehört habe.

Dann würden die Betroffenen erneut mit den Zweifeln konfrontiert werden, die sie auch im Alltag ständig zu hören bekommen, erklärt die Psychologin. »Nach einem Erlebnis mit rassistischer Polizeigewalt sind die Betroffenen nicht mehr die, die sie davor waren.« Das sei kein individuelles Problem. »Es hat eine größere Bedeutung, denn oftmals verlieren wir die Beteiligung der Menschen am gesellschaftlichen Leben«, sagt Muriel.

Bei einer Veranstaltung zum 20-jährigen Jubiläum der Chronik hat spontan auch eine Familie ihren eigenen Fall geschildert. Mehrere vermummte Polizisten seien im Juni in der Früh in ihre Wohnung gestürmt, hätten sie aus dem Bett gezerrt und alle Schränke durchsucht, erzählte eine junge Frau. Ihr selbst hätten die Polizisten die Bettdecke weggezogen und die Bitte, ihren Hidschab anlegen zu dürfen, mit der Aussage verwehrt, dass sie sie nun sowieso schon ohne gesehen hätten. Ihr Vater zeigte ein Bild von seiner eingipsten Hand, die die Polizei beim Anlegen der Handschellen gebrochen haben soll, und eines seiner Frau in einem Krankenbett, weil diese kurze Zeit später einen Schlaganfall erlitten habe. Der Vater sei seitdem arbeitsunfähig. Die Kinder hätten noch immer Angst, sobald es an der Tür klingelt. Den Grund für den Polizeieinsatz hätten sie nicht erfahren, nur später, dass die Polizei im falschen Haus gewesen und der Gesuchte woanders gefasst worden sei, schildert die Tochter im Beisein des Anwalts der Familie.

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