Hoffnung säen gegen Rassismus

Das Bernauer Netzwerk für Weltoffenheit verurteilt Diskriminierung mit einer Menschenkette

  • Andreas Fritsche, Bernau
  • Lesedauer: 4 Min.
Menschenkette gegen Rassismus am 19. März 2022 vor dem Neuen Rathaus in Bernau
Menschenkette gegen Rassismus am 19. März 2022 vor dem Neuen Rathaus in Bernau

Um die Ecke den Neuen Rathauses von Bernau fegt am Samstag ein heftiger Wind und reißt immer wieder das Banner vom Infostand des Bundesprogramms »Demokratie leben«. Auch gelingt es wegen der Windböen nicht, eine Fahne aufzustellen. Doch die Demokraten halten stand. 150 oder mehr sind um 11.30 Uhr erschienen, um eine Menschenkette gegen Rassismus zu bilden. Wegen der Corona-Pandemie tragen sie dabei Masken und halten sich nicht an den Händen, sondern an Schals, mit denen sie auf Abstand stehen.

Am Ende reicht die Menschenkette über den Marktplatz herüber bis zum Alten Rathaus und zurück. Von der Linkspartei sind Bürgermeister André Stahl, der Vizelandesvorsitzende Martin Günther und einige Stadtverordnete gekommen.

Vom Wind lassen sich die Teilnehmer aus Bernau und Umgebung nicht abhalten. Schließlich haben sie bereits am 19. Februar beim landesweiten Aktionstag »Brandenburg zeigt Haltung« den Sturmtiefs getrotzt. Schon damals bildeten hier etwa 150 Personen eine Menschenkette. An einigen Schals, die am Samstag zum Einsatz kommen, sind noch die Porträts der Opfer des rassistischen Amoklaufs vom 19. Februar 2020 in Hanau befestigt. Der rechtsextreme Täter hatte damals neun Menschen mit Migrationshintergrund und anschließend seine Mutter und sich selbst erschossen.

Drei Fälle aus dem Jahr 2020

Etwas derart Schreckliches ist in Bernau zum Glück noch nie vorgekommen. In den 1990er Jahren gab es in der Stadt eine rechte Szene. Aber diese konnte zurückgedrängt werden. Bernau ist heute im Land Brandenburg kein Schwerpunkt rechter Gewalt. Es gibt hier eine lebendige Zivilgesellschaft. Dennoch ist die Kommune nicht frei von rassistischen Ansichten. Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die AfD in der Stadt vor den Toren Berlins 15,5 Prozent der Stimmen. Schwarze Männer und Frauen werden auch hier immer wieder attackiert. Bei der Menschenkette wird an drei Fälle aus dem Jahr 2020 erinnert:

Eine Frau schlägt einer 29-jährigen Mutter im Bahnhof unvermittelt auf den Oberarm. Der Arm schmerzt dem Opfer danach eine Woche lang. Zeugen des Vorfalls kümmern sich nicht weiter um die junge Mutter, deren Kinderwagen infolge der Attacke umgestürzt war. Außerdem wird in jenem Jahr ein schwarzer Wachmann rassistisch beleidigt und angespuckt, sogar noch, als die herbeigerufenen Polizisten schon daneben stehen. Der 33-jährige Täter erhält zwar für ein Jahr Hausverbot in der Bahnhofspassage. Doch vor Gericht sei das Verfahren gegen ihn eingestellt worden, heißt es am Samstag. Der dritte Fall klingt vergleichsweise harmlos. In einer Arztpraxis erregt das krause Haar einer 24-jährigen Patientin das Interesse einer Sprechstundenhilfe. Sie fragt: »Darf ich mal deine Haare anfassen?« Das war vielleicht nicht einmal böse gemeint. Die Betroffene bezweifelt allerdings, ob eine weiße, blonde Patientin auch einfach geduzt und mit so einem Wunsch angesprochen worden wäre.

Das Massaker von Sharpeville

Seit 1966 gibt es einen internationalen Aktionstag gegen Rassismus, aus dem 1979 eine internationale Woche wurde und schließlich sogar internationale Wochen. Die Wochen erinnern an das Massaker von Sharpeville vom 21. März 1960. Damals hatten Schwarze in dem Township gegen die diskriminierenden Passgesetze des südafrikanischen Apartheid-Regimes protestiert. Die Polizei erschoss 69 Demonstranten. Auf diesen Anlass der Menschenkette wird am Samstag in Bernau hingewiesen.

Kurz spricht Sebastian Weege, Vorsitzender des Basketballvereins Lok Bernau, dessen Männermannschaft in der Pro-B-Staffel der zweiten Bundesliga spielt. Weege, der mit seinem kleinen Sohn gekommen ist, will nicht viele Worte machen. »Wir als Sportler sind weltoffen und tolerant«, versichert er. »Das sind Grundeigenschaften, die wir jungen Menschen vermitteln.« 27 Jungen und Mädchen der Musikschule spielen bei der Aktion. Zu hören gibt es angesichts des Krieges in der Ukraine ein Saxofonsolo von »Kleine weiße Friedenstaube« und von allen Musikschülern gemeinsam die von Ludwig van Beethoven vertonte »Ode an die Freude«. Sie wird als Instrumentalstück geboten. Doch wer den Text von Friedrich Schiller kennt, kann in Gedanken mitsingen und weiß, dass es da heißt: »Alle Menschen werden Brüder.«

Im Aufruf zur Menschenkette steht: »Rassismus ist in unserer Gesellschaft leider tief verankert.« Ob eine Aktion wie diese etwas dagegen ausrichtet? Eva Maria Rebs vom Bernauer Netzwerk für Weltoffenheit sagt: »Wenn wir keine Hoffnung hätten, wären wir nicht hier.«

Alle Kriegsflüchtlinge willkommen

Vor »wieder erstarkender Diskriminierung« warnt am Sonntag auch Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Nicht nur Ukrainer seien jetzt nach Brandenburg gelangt, »sondern auch Menschen aus anderen Ländern, die in der Ukraine gearbeitet, studiert und gelebt haben«. Viele berichten, unterwegs und auch am Ziel Diskriminierung zu erleben. Nonnemacher betont, alle Kriegsflüchtlinge seien »gleichermaßen willkommen«. Es bestürze sie übrigens genauso, dass russischsprachige Mitbürger nun vermehrt beleidigt und beschimpft werden.

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