Seltsam umgekehrte Superkräfte

»Draußen feiern die Leute« - das ziemlich perfekte Debüt von Sven Pfizenmaier

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.

Vom Schutzumschlag schauen riesige, aus bunten Kreisen gebildete Eulenaugen auf den Betrachter. Sie trennen den Namen des 1991 in Celle geborenen Autors Sven Pfizenmaier vom Titel seines Debütromans: »Draußen feiern die Leute«. Verpackung und Inhalt sind absolut stimmig. Ein Provinznest irgendwo in der Nähe von Hannover in einem September der Gegenwart. Im Ort wird das jährliche Zwiebelfest am zentralen Kreisel vorbereitet - der übliche Dorfbums mit Schlagern, Suff und Juchhei.

Doch nach dieser Vorstellung verlassen wir das übliche Provinzroman-Setting, denn einige Protagonisten Pfizenmaiers sind außergewöhnlich: Richard, Timo und Valerie haben seltsam umgekehrte Superkräfte. Eigenschaften, die sie nicht gerade beliebt machen. Bereits im Kindergarten hatte man zum Beispiel bemerkt, dass Richard »den Menschen in seiner Umgebung die Energie aussaugt« - sie werden müde und wie gelähmt. Seine Mutter hatte an manchen Tagen »stundenlang dagesessen und tatenlos zugesehen, wie Richard an ungesicherte Steckdosen krabbelte oder an eine offene Treppe, wie er nach Messern griff oder sich etwas Verschimmeltes in den Mund steckte«.

Die Einzige, die ihn in seiner Nähe duldet, ist seine Freundin Jenny. Mit der Einführung dieser Figur beginnt der Reigen rasanter Ereignisse. Ihre ältere Schwester Flora ist (wie viele junge Menschen in ganz Deutschland) kürzlich verschwunden und hinterließ eine Art Tagebuch auf ausgedruckten Blättern, die Jenny findet und Richard zeigt. Jennys Vater Manfred, der Dorfpolizist, kann sich mit dem Verlust Floras nicht abfinden und befürchtet obendrein, dass auch Jenny abhauen könnte. Er observiert die drei jugendlichen Dorfbösewichter, deren Eltern aus Kasachstan gekommen sind, wie einige andere im Dorf. Die Geschichte der Russlanddeutschen nimmt deutlich Raum ein und wird von Evgenija, Valeries Mutter, erzählt.

Auch Evgenija hat eine merkwürdige Begabung, die mit ihrer Wut aufbrausen kann: »Die Bäume an der Straße biegen sich von der einen Seite auf die andere. Ein Ast bricht ab, zwei, drei, sie schießen über den Asphalt, weg in Richtung Himmel. Deckel von Mülltonnen drücken sich auf und zu, als würden sie miteinander reden, und auf dem Nachbargrundstück rennt ein ungeduschter Mann den Radkappen seines Autos hinterher. Eine nackte Katze, das Fell weggeblasen, kauert unter einem Baum und schnappt nach umherfliegenden Mäusen. Es regnet Dachziegel. Eine Sternschnuppe wird auf halbem Weg zurück ins All geweht.«

Manfred erpresst die drei Bösewichter Danik, Dima und Doktor Dobrin, sie würden doch sowieso Gras dealen, sicher auch Speed, und überhaupt alle Kriminellen in Hannover kennen. Da würde er mal ein Auge zudrücken, wenn sie ein bisschen auf seine Tochter Jenny achtgeben könnten.

Jenny versucht inzwischen eine gewisse Martha zu finden, mit der ihre Schwester in engem Kontakt stand. Diese Spur führt zu einem gewissen Rasputin (Hannovers Obergangster), auf den die drei Nachwuchsgangster auch bald kommen. Wenn man sie schon für Dealer hält, könnten sie es doch wirklich tun ... So gelangen die Drogen ins Dorf, wir begegnen einer sehr großen Eule, das Zwiebelfest beginnt und Richard schmeißt eine Party.

Die vielleicht schönste Szene des Buches ist das Treffen des Chefs der frisch berufenen Dorfdealer, Doktor Dobrin, mit dem sagenhaften Rasputin - eine grandiose Absurdität! Pfizenmaier verwebt die Suche nach der verschwundenen Flora raffiniert und humorvoll mit dem Abdriften unserer Superkräfteträger*innen, dem Identitätsleid der Russlanddeutschen und der ewig menschlichen Suche nach Utopia.

Eine Dorfroman-Parodie, gekrönt mit einer Eule, die Sie bis in Ihre Träume verfolgen könnte!

Sven Pfizenmaier: Draußen feiern die Leute. Verlag Kein & Aber, 336 S., geb., 24 €.

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