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Demokratie versus Despotie
In der Meerenge zwischen der Insel Salamis und dem griechischen Festland tobte eine der opferreichsten Schlachten der Geschichte
Es ist sehr eng, räumlich und inhaltlich, es ist »gleichsam ein Nadelöhr, durch das die Weltgeschichte hindurch musste«, schreibt der Althistoriker Christian Meier. In der Meerenge zwischen der Insel Salamis und dem griechischen Festland liegen sich 480 v. Chr. die Schiffe der verbündeten wie zerstrittenen griechischen Stadtstaaten und die Flotte des persischen Großkönigs Xerxes I. gegenüber. Hier wollen sie die Entscheidung in einem seit zehn Jahren währenden Konflikt erzwingen.
Rund 2500 Jahre später nehmen die Staatlichen Antikensammlungen München die Jahreszahl zum Anlass, ein differenziertes Bild dieser Ereignisse zu zeichnen. Dabei geht es in den fünf Ausstellungsräumen wie auch im Katalog nicht um eine bloße Schlachtenpräsentation oder Kriegsgeschichte. Vielmehr wird hier das Ziel von Geschichtsdarstellung, das schon Herodot formulierte, umgesetzt: Bericht zu geben, »damit der Menschen Taten nicht in Vergessenheit geraten … Vor allem aber soll man erfahren, um welcher Ursache Willen sie [Griechen und Perser] gegeneinander in Krieg geraten sind.« Es wird die Vor- und Nachgeschichte erzählt, ebenso den unterschiedlichen Kulturen Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei ist die Quellenlage alles andere als einfach. Materielle Zeugnisse der Seeschlacht Mangelware. Bleiben die Schriftquellen. Die Perser kennen keine eigene Geschichtsschreibung. Als Teilnehmer der Schlachten von Marathon und Salamis schreibt der griechische Dichter Aischylos sein Drama »Die Perser«. Berühmt daraus ist der Bericht des Boten über den Untergang der persischen Flotte. Und Herodot, der »Vater der Geschichtsschreibung«, schildert in seinen »Historien« den griechisch-persischen Konflikt, der vom 6. bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. tobte. Wenn auch den Quellen der Sieger stets mit einer kritischen Vorsicht zu begegnen ist, ermöglichen sie es doch, Hintergründe der Ereignisse zu verstehen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Anfang des 6. Jahrhunderts reicht das Perserreich von der unteren Donau bis an den Indus, vom Nil bis zum Aralsee. 500 v. Chr. erheben sich mehrere griechische Stadtstaaten in Kleinasien unter Führung Milets gegen den Perserkönig. Athen schickt 25 Kriegsschiffe zur Unterstützung. Der Aufstand wird 494 niedergeschlagen. Großkönig Dareios I. nimmt die Unbotmäßigkeit der Athener zum Anlass einer militärischen Strafexpedition. Im Jahre 490 v. Chr. erringen jedoch die schwer bewaffneten Hopliten aus Athen und Plataiai in der Ebene von Marathon einen für alle überraschenden Sieg gegen das zahlenmäßig weit überlegene persische Heer.
Dareios ist gescheitert, vorläufig. Auf griechischer Seite ist man sich der latenten Gefahr bewusst, aber uneins über deren Abwehr. Die alte Aristokratie gibt weiter dem bewährten Landherr den Vorzug. Themistokles, Feldherr und aufstrebender Politiker, setzt in der Volksversammlung jedoch ein riesiges Flottenbauprogramm durch. Die reichsten Athener Bürger übernehmen die Ausrüstung. Großkönig Xerxes I., Sohn des Dareios, will zehn Jahre nach Marathon die Machtverhältnisse an der Westgrenze seines Reiches endgültig klären. Mit einem großen Aufgebot an Soldaten und Schiffen fällt er 480 in Griechenland ein. Der Spartanerkönig Leonidas I. versucht mit den Seinen bei den Thermopylen, einem nur 15 Meter schmalen Durchlass zwischen Gebirge und Meer, das persische Heer aufzuhalten. Nach dreitägigem Gemetzel ist der ungleiche Kampf verloren. Gleichzeitig treffen am Kap Artemision die beiden Flotten aufeinander. Der Kampf endet unentschieden. Themistokles lässt die Bürger Athens evakuieren. Wenig später erobern die Perser die fast menschenleere Stadt, besetzen den Felsen der Akropolis und zerstören dort den alten Tempel der Stadtgöttin Athena.
Dann sucht Themistokles erneut die Entscheidung auf dem Wasser, wegen der Größe der persischen Flotte aber nicht auf offener See. Er zieht sich mit der Flotte in die enge Bucht von Salamis zurück und provoziert am 29. September 480 v. Chr. den Angriff der Perser. Deren zahlenmäßige Überlegenheit wendet sich gegen sie. Sie können die Angriffsformation nicht halten und behindern sich gegenseitig. Die wendigen griechischen Schiffe stoßen in die feindlichen Linien und versenken viele von ihnen. Am Abend sollen - nach griechischen Quellen - 40 griechische, aber über 200 persische Schiffe gesunken sein. »Denn wisse, dass noch nie an einem Tag so viele Menschen dem Tod erlagen«, fasst Aischylos das Geschehen zusammen. Der Großkönig gibt den Befehl zum Rückzug, sich aber noch nicht geschlagen. 479 kehrt das persische Heer zurück und verwüstet das wieder menschenleere Athen. Zwei weitere Schlachten - zu Lande bei Plataiai und zur See beim kleinasiatischen Mykale enden jedoch mit schweren Niederlagen für die Perser. Eine Eroberung Griechenlands werden die Perserherrscher nie wieder versuchen. Die Ausstellung präsentiert den Ablauf vor Salamis an einem großen Modell, ergänzt durch Modelle der Kriegsschiffe und Waffen.
Die Heroen vor Troja waren die Vorbilder für die Kämpfer vor Salamis, und die Sieger von Salamis werden zu Vorbildern für künftige Generationen. Salamis wird als Sieg der athenischen Demokratie über die orientalische Despotie interpretiert. Ein persischer Sieg hätte das Ende der griechischen Kultur bedeutet. Themistokles gilt als Retter erst der antiken, dann der westlichen Zivilisation. Inzwischen hat die jüngere Forschung diese eingleisige Denkweise gründlich geändert. Denn zwischen Griechen und den Völkern Vorderasiens gab es schon seit frühen Zeiten ein vielfältiges Netzwerk kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen. In der frühgriechischen Kunst sind östliche Motive übernommen worden. In der persischen Architektur schlug sich der Einfluss griechischer Baumeister nieder. Einen direkten Hinweis hat man in Persepolis gefunden: Unter einer Steinkassette mit den Gründungsurkunden für den Thronsaal Dareios I. lagen Münzen aus Lydien, Zypern und Griechenland.
Bemerkenswert ist, dass die Perser die Götter der unterworfenen Völker nicht prinzipiell bekämpften. Die Perser versuchten auch die Eliten in den eroberten Gebieten auf ihre Seite zu ziehen. Absolute Loyalität zum Großkönig, Tributleistungen und Heeresfolge waren jedoch die Bedingungen für eine weitgehende Autonomie der griechischen Stadtstaaten in Kleinasien. Sie werden in das Reich integriert - und lassen sich integrieren. Anders wäre die Herrschaft über einen solch riesigen Vielvölkerstaat wie das Persische Reich nicht aufrecht zu erhalten gewesen.
»Europa und die Welt hätten sich anders entwickelt, wenn die Perser gesiegt hätten. Allerdings wäre die Alternative nicht zwangsläufig eine orientalische Despotie gewesen«, resümiert Florian Knauß im Katalog. Salamis war Ende und Anfang zugleich - das Ende der persischen Eroberungsversuche gegen Griechenland und ein Neuanfang für Athen. Dem Stadtstaat gelingt der Aufstieg zur Seemacht und zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum in Griechenland und der Ägäis.
»Salamis 480«, Staatliche Antikensammlungen München, bis 10. April (Katalog, 216 S., 28 €).
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