Plötzlich wieder PDS

Die Linke ist im Saarland auf das Niveau der Zeit vor Oskar Lafontaine gesunken. Wie die Parteivorsitzenden die Niederlage einordnen

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Dieser Termin hätte ein ganz besonderer werden können: Berlin, Bundespressekonferenz. Heraus aus dem kleinen Saarland, hinein ins Rampenlicht der Hauptstadt. Doch Barbara Spaniol, die bei der Landtagswahl im kleinsten Flächenland als Spitzenkandidatin der Linken in die großen Fußstapfen des langjährigen Dominators Oskar Lafontaine getreten war, aber das Ruder nach den ewigen innerparteilichen Querelen und dem kürzlichen Parteiaustritt des ehemaligen Ministerpräsidenten auch nicht mehr herumreißen konnte, hätte auf ihren Kurzauftritt sicher gern verzichtet. »Das war gestern ein sehr bitterer Abend«, sagte sie nur.

Die Linke hatte am Sonntag nur 2,6 Prozent der Wähler*innenstimmen auf sich vereinen können und ist künftig nicht mehr im Landtag vertreten. Ausgerechnet im Südwesten, wo die Partei einst große Erfolge gefeiert und 2009 mit 21,3 Prozent sogar manches Ost-Bundesland in den Schatten gestellt hatte, folgte nun auf einen jahrelangen Abwärtstrend ein tiefer Sturz. Minus 10,2 Prozent: So klare Verluste hat Die Linke bei keiner Bundestags- und Landtagswahl bisher erlitten. Hatte sie 2017 noch 68 566 Stimmen erhalten, blieben ihr 2022 nur noch 11 689 – ein Rückgang um 83 Prozent.

Die Linke als »Oskar-Partei«

Sehr schnell kamen Spaniol wie auch die beiden bedröppelten Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler auf die Landesspezifika im Saarland zu sprechen. Man sei dort stark an die Person Lafontaine gebunden gewesen, im Positiven wie Negativen, sagte dessen Nachfolgerin als Spitzenkandidatin. Und das stimmt auch: Bei der Landtagswahl 2009, als der frühere Sozialdemokrat nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG (2007) erstmals im Saarland für die Linke antrat, brachte er 26 000 Stimmen von seiner ehemaligen Partei mit. Die saarländische Linke ist bislang vor allem eines gewesen: die »Oskar-Partei«.

Allerdings verlor die Partei in den darauffolgenden Jahren – also bereits mit Lafontaine an der Fraktionsspitze – peu à peu wieder an Stimmen, der Rest der einstigen Zugewinne brach am Sonntag mit einem Schlag weg. Nun ist Die Linke im Saarland wieder dort gelandet, wo die PDS im ganzen Westen einst stand: in der politischen Bedeutungslosigkeit. Die Diagnose lautet: Die Linke hat den Lafontaine-Effekt nicht nutzen können, um eine nachhaltige Verankerung der gesamten Partei in Saarlands Gesellschaft jenseits ihres einstigen Urgesteins zu erreichen – wobei diese Schwäche auch Lafontaine’scher Dominanz zuzuschreiben sein mag.

Hinzu kommen die bekannten Streitereien innerhalb des saarländischen Landesverbands. In den Hauptrollen: Landeschef Thomas Lutze – und natürlich Lafontaine selbst, der jenen beschuldigt, ein »Betrugssystem« aufgebaut und sich einst mit bezahlten Mitgliedern für den Bundestag aufgestellt zu haben. Lutze bestreitet die Vorwürfe, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung war bereits zu Jahresbeginn eingestellt worden. »Eine Partei der Solidarität wird nur dann ernst genommen, wenn sie auch miteinander solidarisch ist«, sagte Barbara Spaniol, bevor Parteichefin Hennig-Wellsow angesichts von Lafontaines Austritt ausgerechnet zu diesem maximal ungünstigen Zeitpunkt, gut eine Woche vor der Wahl, den ehemaligen Parteichef in die Mitschuld zog: »Er weiß um seine Verantwortung.«

Ironie der Geschichte: Die Linke hat 17 000 Stimmen an die Sozialdemokraten verloren und damit ihr komplettes Reservoir an einstigen Zugewinnen aus der SPD, die sie aufgrund von Lafontaines Parteiwechsel erhalten hat, über die vergangenen Jahre wieder verbraucht. Das Desaster um den im Saarland immer noch beliebten Ex-Regierungschef hat also mit dafür gesorgt, dass ausgerechnet dessen ehemalige Partei, die dieser nach seinem Weggang im Zuge der sozialdemokratischen Agenda-Politik eigentlich bekämpfen wollte, die absolute Mehrheit errang. Zudem hat Die Linke auch in jenen Milieus stark verloren, die Lafontaine vorrangig binden wollte: Rentner*innen (1 Prozent; minus 10) und Arbeiter*innen (5 Prozent; minus 11). Fraglich ist nur, was schwerer wog: die Tatsache, dass Lafontaine nicht mehr kandidierte? Oder die Konflikte, die dieser maßgeblich mit provozierte? Laut einer Befragung von Infratest dimap sagen 80 Prozent, dass Die Linke im Saarland zu zerstritten sei, um ernsthaft Politik mitgestalten zu können. 59 Prozent behaupten, mit Oskar Lafontaine an der Spitze würden viel mehr Menschen Die Linke wählen.

Wie geht es mit Wagenknecht weiter?

Hinzu kommt die Zerstrittenheit der gesamten Partei, die dieser schon bei der Bundestagswahl (4,9 Prozent) sichtbar geschadet hat. Das Bild der Linken ist seit langem dominiert von widerstreitenden Flügeln, ungelösten inhaltlichen Konflikten und andauernden Kämpfen um Deutungshoheit. Die Debatte um die Positionierung des Ältestenrats zum Krieg in der Ukraine ist nur das jüngste Beispiel. Man merkte den beiden Chefinnen auf der Pressekonferenz deutlich an, dass sie keine Lust mehr darauf haben, ständig der Öffentlichkeit die eigene Partei erklären zu müssen. »Der Grad an ›Schnauze voll‹ ist relativ hoch«, sagte Susanne Hennig-Wellsow, die mit Janine Wissler auf dem Parteitag im Juni mehr Klarheit schaffen will: Es werde verschiedene Anträge geben, etwa zur Außen- und Sicherheitspolitik, zur sozial-ökologischen Transformation und zum Parteiaufbau. Ein deutlicher Fingerzeig an jene, denen immer wieder vorgeworfen wird, gegen die Parteilinie zu arbeiten, wie etwa Lafontaines Ehefrau Sahra Wagenknecht.

Überhaupt wird jener Entfremdungsprozess, der bei Lafontaine letztlich zum Austritt geführt hat, auch in der Beziehung zwischen der Partei und Wagenknecht immer sichtbarer. Diese spreche »für sich selbst«, sagte Hennig-Wellsow und riet den Fernsehanstalten, die ehemalige Fraktionsvorsitzende seltener zu Talkshows einzuladen. Deutlicher lässt sich die Zerrissenheit kaum beschreiben. Ob Wagenknecht überhaupt noch eine Zukunft in der Partei hat oder, wie Lafontaine, Die Linke irgendwann verlassen wird? »Das muss sie für sich entscheiden«, so Hennig-Wellsow. Janine Wissler ergänzt, darüber nicht spekulieren zu wollen. Ein klares »Nein« hört sich anders an.

Derweil gehen die innerparteilichen Auseinandersetzungen munter weiter. Statt die Landtagswahl im Saarland intern auszuwerten, wird – wie so oft – wild getwittert. Kurz nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses postete Klaus Ernst, immerhin Vorsitzender des Klimaausschusses im Bundestag und damit einer der wichtigsten Abgeordneten der auf 39 Köpfe geschrumpften Fraktion: »Jene, die Oskar aus der Partei vertrieben haben, sich selbst aber für so wichtig halten, inhaltlich und persönlich, merkt ihr jetzt was?« Wieder einmal befand sich Hennig-Wellsow, auf die Einlassungen des umstrittenen Ex-Vorsitzenden angesprochen, in Erklärungsnot: »Klaus Ernst hat seinen eigenen Kopf.«

Bereits im Mai stehen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die nächsten Landtagswahlen an. Kaum zu glauben, dass Die Linke sich bis dahin fangen kann.

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