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Der einsame Friedenspoet?
Im Nachlass von Helmut Kohl wurde ein beachtliches lyrisches Werk entdeckt
Es gibt keinen Grund, das politische Gebaren von Helmut Kohl zu beschönigen. In die Zeit seiner Regentschaft fallen die Einleitung der nachgeholten neoliberalen Wende in der Bundesrepublik, die konservative Rückbesinnung – und nicht zuletzt eine euphemistisch als »Spendenaffäre« bezeichnete Praxis, die den Glauben an die Berufspolitik erheblich erschütterte. Mit einem aber dürfte er es ernst gemeint haben: Eine deutsche Beteiligung an einem Krieg lehnte er entschieden ab. So viel Geschichtsbewusstsein wies seinerzeit selbst ein CDU-Kanzler noch auf.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung, die einen Großteil des Nachlasses aus Kohls Tagen als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und als Bundeskanzler nach dessen Tod übernahm, hat unerwartet 73 Gedichte des verstorbenen Politikers an das Literaturarchiv in Marbach übergeben. Dort zeigte man sich überrascht, wusste man über das private Umfeld Kohls hinaus bisher nichts von dessen lyrischen Versuchen.
In Marbach hat man prompt etwa ein Viertel der Gedichte online gestellt, bei dem man, wie es hieß, von »abgeschlossenen Werken« ausgehen könne. Es handele sich bei dem entdeckten Konvolut zu einem großen Teil nur um »literarische Skizzen«, Reaktionen auf politische und private Ereignisse, die in zeitgeschichtlicher Hinsicht wohl aber nicht weniger interessant sein dürften. Einen weiteren wesentlichen Werkbestandteil bilde die Naturlyrik, in der der Altkanzler vor allem Eindrücke seiner rheinland-pfälzischen Heimat abgebildet habe. Zwölf der aufgefundenen Gedichte drehen sich um ein Thema, das Kohl wohl zeitlebens umgetrieben hat: der Frieden in Europa.
Liest man die bisher veröffentlichten »Friedensgedichte«, ist man erstaunt über ein gänzlich anderes Bild von Helmut Kohl, das sich daraus ergibt. Der selbstbewusste Politiker gestattete sich in seinen literarischen Arbeiten einen zutiefst melancholischen Ton. Einige seiner Verse hätte man eher der westdeutschen Friedensbewegung zugetraut, nicht dem damaligen Regierungschef. »Hochgerüstet der Nordatlantische Pakt / Am Ende stehen wir da: vollkommen nackt«, lautet Kohls – wohl auch selbstkritisches – lyrisches Bekenntnis. An anderer Stelle hat Kohl eine später in anderen Zusammenhängen berühmt gewordene Formulierung vorweggenommen: »Ein Krieg erfordert unzählige Leidende / Was hinten rauskommt, ist das Entscheidende«.
Verblüffend ist auch, dass Kohls Gedichte keineswegs dahingeschriebene Verlegenheitsarbeiten darstellen. Durchaus ambitioniert, hat er sich an den großen Formen probiert. Auch an der lyrischen Königsdisziplin, einem Sonett, »Bonner Stunden« betitelt, hat er sich versucht. Literarische Defizite sind eher in der Sprache zu bemerken, die von einer großen Schlichtheit, mitunter völligen Bildlosigkeit, und einer gelegentlichen dialektalen Färbung gekennzeichnet ist. Aber darin liegt auch ein gewisser Charme: Wer »Saumage« auf »schöne Tage« reimt, wird dem Leser sofort als Helmut Kohl offenbar.
Es sind allerdings die erwähnten Verse über den Frieden, die ihn in einem vollkommen neuen Licht erscheinen lassen – und bei allen politischen Differenzen Respekt abverlangen.
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