Cum-Ex-Geschäfte vor Gericht

Prozess gegen Schlüsselfigur im größten deutschen Steuerskandal beginnt

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Hanno Berger war im Herbst 2012 in die Schweiz geflüchtet. Zuvor hatte er erfahren, dass Ermittler seine Kanzlei in Frankfurt am Main und sein Haus im Südosten Hessens durchsuchten. Seither wehrte sich der Anwalt mit allen Mitteln gegen eine Auslieferung nach Deutschland. Gegen die vom Bundesamt für Justiz in Bern genehmigte Auslieferung hatte Berger mehrfach erfolgreich Einspruch eingelegt.

Das juristische Tauziehen um eine mutmaßliche Schlüsselfigur im wohl größten deutschen Steuerskandal endete erst Mitte Februar dieses Jahres, nachdem das schweizerische Bundesgericht in Lausanne der Auslieferung zugestimmt hatte. Bereits diesen Montag eröffnet das Landgericht Bonn das Strafverfahren gegen den 71 Jahre alten Angeklagten. Acht Tage später beginnt am Landgericht Wiesbaden ein weiterer Prozess gegen den »Staranwalt« vieler Konzerne.

Der Steuerbetrug, dessen Berger angeklagt ist, wurde möglich durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Sie heißen so, weil große Pakete von Aktien mit (»cum«) und ohne (»ex«) Dividendenanspruch rund um den Stichtag für die Ausschüttung in rascher Folge hin- und hergeschoben wurden, um die Finanzbehörden zu verwirren.

»Das Grundkonzept der Cum-Ex-Geschäfte ist im Prinzip immer gleich«, schreibt Morten Dibbert, Partner in der Hamburger Kanzlei Möhrle Happ Luther in einem Hintergrundartikel. Bei der Auszahlung einer Dividende wird eine Kapitalertragsteuer fällig. Diese wird unter bestimmten Umständen vom Fiskus zurückerstattet. Ein Anspruch auf eine Rückerstattung ergibt sich grundsätzlich daraus, dass die Dividende bei der Berechnung der Einkommensteuer (Privatpersonen) oder der Körperschaftsteuer (Unternehmen) berücksichtigt wird. Durch den Kauf einer Aktie vor dem Dividendenstichtag und der Lieferung erst danach, kam es aber dazu, dass zweimal eine Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragt und in den meisten Fällen auch von den Finanzämtern gewährt wurde.

Cum-Ex-Geschäfte waren dem Bundesfinanzministerium seit 2002 bekannt. Doch dauerte es Jahre, bis die Regierungen entschieden gegensteuerten. Grund war die Sorge um die internationale Attraktivität des »Finanzplatzes Deutschland«, lässt sich den Memoiren des früheren Finanzministers und Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück (SPD) entnehmen. Doch auch in anderen Ländern wurde der Fiskus betrogen. Unbekannte Aktienhändler und Steuerberater, namhafte Banker und Anwälte entwendeten damit Steuerbehörden in Europa viele Milliarden Euro. Allein dem deutschen Staat entgingen schätzungsweise Steuereinnahmen von mindestens zehn Milliarden Euro.

»Mr. Cum-Ex« beriet Banken und auch reiche Privatinvestoren bei der Konstruktion von Aktiendeals. Vor dem Bonner Landgericht wird Berger nun besonders schwere Steuerhinterziehung in drei Fällen von 2007 bis 2013 vorgeworfen. Der Untersuchungshäftling soll eine Privatbank zur Aufnahme von Cum-Ex-Geschäften bewogen und maßgeblich geholfen haben, die nötigen Strukturen einzurichten. Zudem habe der Rechtsanwalt gutgläubige Investoren eingeworben. Dem Fiskus soll damit ein Schaden von 278 Millionen Euro entstanden sein, auch Berger habe davon profitiert.

Im Wiesbadener Prozess wirft die Generalanwaltschaft Frankfurt dem lange hoch angesehenen Steuerexperten vor, von 2006 bis 2008 falsche Bescheinigungen über gut 113 Millionen Euro nie gezahlter Steuern in Hessen erlangt zu haben. Dabei seien, zusammen mit weiteren Angeklagten, DAX-Aktien im Volumen von 15,8 Milliarden Euro über ein komplexes System verteilt worden. Die Prozesse gegen Berger dürften Monate dauern.

Der Bundesgerichtshof, das oberste deutsche Gericht für Zivil- und Strafverfahren, hat erstmals im Juli 2021 ein wegweisendes Urteil in einem der zahlreichen anderen Cum-Ex-Fälle gesprochen. Darin bestätigen die BGH-Richter die grundsätzliche Strafbarkeit von derlei umstrittenen Finanztransaktionen. Im März dieses Jahres fällte der Bundesfinanzhof in München, das oberste Steuergericht, dann ebenfalls ein vernichtendes Urteil über Cum-Ex-Geschäfte, welches allerdings noch weit darüber hinausweist.

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Während im Cum-Ex-Skandal bundesweit gegen Berger und mehr als 1300 Beschuldigte ermittelt wird, bahnt sich möglicherweise ein noch größerer Skandal an. Der Cum-Ex-Betrug sei wohl nur die »Spitze des Eisbergs«, sagte Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) im Februar in einem Interview. Dafür gebe es »starke Verdachtsmomente«. Die Ermittler seien auf weitere Methoden mutmaßlichen Steuerbetrugs gestoßen.

Berger war einst Finanzbeamter, promovierte und stieg zum höchsten Bankenprüfer der Oberfinanzdirektion Hessen in Frankfurt auf, bevor er als selbstständiger Steueranwalt tätig wurde. Mitglieder der Industriellenfamilie Quandt (BMW) ließen sich von Berger ebenso beraten wie die E-Commerce-Unternehmer Marc und Oliver Samwer (Rocket Internet), Konzerne wie Adidas und Karstadt-Quelle. Und selbst die Stadtwerke München vertrauten laut »Handelsblatt« auf Bergers Expertise. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine mehrjährige Freiheitsstrafe.

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