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Basisarbeit vor Gewerkschaftsbürokratie
Eine kommunistische Gewerkschafterin berichtet vom Erfolg gegen Amazon in New York
In den USA ist es zum ersten Mal gelungen, durch eine erfolgreiche Abstimmung eine Gewerkschaft in einem Amazon-Warenlager zu bilden. Die Berichterstattung darüber konzentriert sich auf den ALU-Präsidenten Christian Smalls. Erfolgreiche Organisationsarbeit geht aber nur im Team. Wie kamst du dazu?
Chris ist ein großartiger Gewerkschaftspräsident. Wie er hatten die meisten im Kollektiv zuvor keine Erfahrung mit gewerkschaftlichem Organizing. Ich selber mache das seit über zehn Jahren. Begonnen hatte ich als Spendensammlerin bei kleinen Nichtregierungsorganisationen und als Wahlhelferin für Mainstream-Demokraten. Occupy Wall Street radikalisierte mich. Ich trat den Democratic Socialists of America bei, 2020 trat ich der Communist Party of the United States (CPUSA) bei und beteiligte mich am Wiederaufbau des Jugendverbandes. Dadurch kam ich in Kontakt mit der ALU. Unterstützt von der Partei habe ich mich im vergangenen September gezielt bei Amazon anstellen lassen, um die Kolleginnen und Kollegen zu agitieren und die Gewerkschaft mit aufzubauen. Das letzte halbe Jahr hat mein Leben verändert. Anfangs dachte ich, okay, ich helfe da nur kurz aus. Aber nach diesem Sieg werde ich hier in der Amazon-Gewerkschaft über die nächsten Jahre weitermachen.
Justine Medina arbeitet als Packerin in der Verschickung im Amazon-Warenlager JFK8 in Staten Island, New York, und ist Mitglied im Organisationsteam der Amazon Labor Union (ALU) sowie in der Communist Party of the United States (CPUSA) und der Youth Communist League. Mit ihr sprach Max Böhnel.
Es gab mehrere Versuche bei Amazon in den USA, eine Gewerkschaft aufzubauen, sie waren alle nicht erfolgreich. Was war dieses Mal anders?
Die Lehre aus den vergeblichen Versuchen der Vergangenheit war, dass eine Gewerkschaft wirklich aus dem Betrieb selbst heraus entstehen muss, dass sie zu 100 Prozent von den Lohnabhängigen selbst gewollt und aufgebaut werden muss. Wir waren auch nicht der Überzeugung, dass eine von außen kommende Gewerkschaftsbürokratie hilfreich sein könnte und sich den Lohnabhängigen im Werk verpflichtet fühlen würde. In dieser Hinsicht verstoßen wir gegen die Gewerkschaftsorthodoxie. Die versteht unter Organizing, professionelle Gewerkschaftsorganizer in einen Betrieb zu schicken und mit den Leuten zu sprechen. Das führt aber kaum zu einem soliden Aufbau von innen heraus. Genau das war ein Fehler bei zurückliegenden Organizing-Versuchen. Ein zweiter Unterschied war, dass wir uns nicht scheuten zu agitieren, den Bossen direkt zu widersprechen. Der herkömmliche Ansatz ist es, versöhnlicher zu wirken und den Ausgleich zu betonen.
Weshalb mischten sich Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez und andere Prominente dieses Mal nicht ein?In der Vergangenheit waren sie eingeladen worden und auch gekommen. Solche Besuche haben zwar eine große Außenwirkung, doch nur wenig Bedeutung für die Beschäftigten im Betrieb. Aber jetzt helfen sie. Das ist auch gut für das Spendenaufkommen.
Wie geht Ihr auf die zu, die gegen die Gewerkschaft gestimmt haben? Das ist mit fast 40 Prozent ja keine kleine Zahl?
Es ist richtig, eine beträchtliche Zahl hat dagegen gestimmt. Aber man muss die dazuzählen, die sich nicht an der Wahl beteiligt haben, etwa ein Drittel der Beschäftigten. Viele der Nein-Stimmen und derjenigen, die gar nicht wählten, machten das aus Angst davor, dass sie von Amazon bestraft würden. Es gab ja etliche Einschüchterungsversuche. Obwohl die Wahlen anonym stattfinden, fürchten viele, Amazon würde erfahren, wer wie abstimmt. Dann gibt es etliche, die auf Amazons gewerkschaftsfeindliche Propaganda und Lügen reingefallen sind, etwa dass die Gewerkschaft ihnen hohe Mitgliedsbeiträge abknöpfen würde oder dass die Löhne gekürzt werden würden. Bei der Siegesfeier kamen Beschäftigte auf uns Organizer zu und stellten neugierige Fragen, auch manche, die mit Nein gestimmt hatten. Ein paar sagten dann, wieso hat mir das vorher niemand erklärt? Amazon gab ja Millionen von Dollar aus, um die Leute mit falschen Informationen zu versorgen.
Jetzt stehen bald Verhandlungen an. Wie geht es weiter?
Wir verstärken das, was wir bisher gemacht haben: die Gewerkschaft weiter aufbauen, weiter wachsen, die Leute zu Informationsveranstaltungen einladen, Aufklärungsmaterial versenden. Wir erwarten jetzt viel mehr Zuspruch. Wir teilen uns in Abteilungsausschüsse auf, wählen Betriebsräte und Verhandlungsführer*innen, so demokratisch und transparent wie nur möglich. Und bei allem beobachten wir genau die Tricksereien, die der Betrieb versucht. Das öffnete in den Wochen zuvor schon vielen die Augen: was Amazon so alles an legalen und illegalen Methoden anwendet, um bloß keine Gewerkschaft zuzulassen. Dank unserem Erfolg erwarten wir natürlich ein hohes Spendenaufkommen, mit dem wir dann umso mehr für die Arbeiterfortbildung ausgeben können. Das schließt die Vorbereitung auf direkte Aktionen mit ein, vom Verfassen von Petitionen bis zu Streiks, um Amazon an den Verhandlungstisch zu zwingen.
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