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Stehversuche nach 272 Kilometern

In einem spektakulären Finale gewinnt Mathieu van der Poel den Frühjahrsklassiker Flandern-Rundfahrt

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwei der größten Radsportalente der Gegenwart prägen die Flandern-Rundfahrt. Der zweifache Tour de France-Sieger Tadej Pogacar (Slowenien) und der Ronde-Sieger von 2020, Mathieu van der Poel (Niederlande), strebten mit großem Vorsprung dem Ziel entgegen. Dann verzögerten die beiden aber den Sprint. Die Verfolger kamen näher und näher. Und während van der Poel im Moment des Zusammenschlusses gewaltig in die Pedalen trat und als erster den Zielstrich überquerte, wurde Pogacar von den Verfolgern eingebaut und landete nach dem Niederländer Dylan van Baarle (Ineos) und dem Franzosen Valentin Madouas (FDJ) auf dem undankbaren vierten Platz. »Beim Sprint musst du sprinten und nicht nur warten«, kommentierte van der Poel trocken das Missgeschick seines Rivalen.

Das Rennen startete noch mit einem Handicap. Denn der Flandern-König, der einheimische Klassikerspezialist Wout van Aert, fehlte. Er verpasste den Start der Flandernrundfahrt, weil ihn erst eine Erkältung schwächte und dann ein PCR-Test positiv ausschlug. Immerhin waren die Flamen da. Zwar war van Aerts persönlicher Fanklub weniger zahlreich am traditionellen Standort, dem Pflastersteinanstieg des Oude Kwaremont, vertreten als sonst. »Was sollen wir uns da aufstellen? Um van der Poel attackieren zu sehen?«, winkte Fanclubchef Peter van Echelpoel gegenüber dem »Het Nieuwsblad« ab.

Zahlreiche andere van Aert-Fans kamen aber an den Straßenrand. In Zweier-, Dreier-, gar Fünferreihen standen sie am Rande der Strecke. Viele schwenkten enthusiastisch die gelbschwarzen Fahnen des flämischen Löwen. Mehr als die Hälfte der Distanz über 272 Kilometer tröpfelte das Rennen aber eher dahin. Eine neunköpfige Spitzengruppe, unter ihnen der Cottbuser Max Kanter (Movistar), setzte sich frühzeitig ab und wurde bis zu fünf Minuten weggelassen.

Männer, die für den Tagessieg in Frage kamen, waren aber nicht darunter. Daher beschränkten sich die Feindseligkeiten lange Zeit auf Positionskämpfe vor den oft mit Pflastersteinen belegten kleinen Kuppen, den Hellingen. Bloß nicht zu spät in die Anstiege kommen und dann abgehängt werden, lautete das Motto der ersten 200 Kilometer. Ziemlich gut interpretierte dieses Spiel der deutsche Rennstall Bora hansgrohe. Jonas Koch initiierte etwa 100 Kilometer vor dem Ziel eine zweite Fluchtgruppe. Ihm folgte später noch Teamkollege Marco Haller. Elf Profis bildeten diese zweite Gruppe. Nicht vertreten waren darin die Teams der Topfavoriten Pogacar, UAE Emirates und van der Poel, Alpecin Fenix. Auch andere Teams, die vorn nicht dabei waren, versuchten sich an der Nachführarbeit. Es ruckte im Feld.

In diese unübersichtliche Situation setzte Pogacar seine erste Attacke. Es war ausgerechnet bei der zweiten Durchfahrt am Oude Kwaremont, dem Stammplatz der van Aert-Fans. Mit Leichtigkeit flog der Flandern-Neuling über die Pflastersteine. In seinem Sog zeigten sich erstmals auch andere Mitfavoriten wie van der Poel und der aktuelle Cross-Weltmeister Tom Pidcock (Ineos) sowie der letztjährige Flandernsieger Kasper Asgreen.

Beim nächsten Helling wurde dann erstmals van der Poel aktiv und verschärft das Tempo. Pogacar reagierte gelassen. Vorjahressieger Asgreen hingegen hatte einen Defekt. Für den Dänen war das Rennen damit gelaufen, und ebenso für sein Team Quick Step Alpha Vinyl. Pogacar und van der Poel setzten sich wenig später ab, in ihrem Windschatten der Franzose Valentin Madouas.

Das Trio fing noch zwei Ausreißer ein und setzte sich 38 Kilometer vor dem Ziel schließlich an die Spitze. Pogacar wirkte in diesem Rennabschnitt frischer. Van der Poel, nach diversen Rückenproblemen erst bei Mailand - San Remo Ende März in die Straßensaison eingestiegen, gab aber keinen Zentimeter preis. Bei der dritten Durchfahrt des Oude Kwaremont entledigten sich die beiden ihrer letzten Begleiter. Pogacar versuchte, an den letzten Anstiegen noch einmal van der Poel abzuschütteln. Das misslang, und alles schien auf ein Sprintduell zwischen Pogacar und van der Poel hinauszulaufen.

Dann verzockte sich der Slowene aber: In zweiter Position nahm er immer weiter Tempo raus, um seinen Rivalen zu einem Antritt zu verleiten. Aber auch dieser verzögerte. Nach 272 Kilometern Rennen boten die beiden eine Steheinlage. Die Muskulatur erkaltete. »Der Stress nahm auch zu«, gestand van der Poel, der die heranrasenden Verfolger bemerkte. Während er aber doch noch seine Explosivkraft ausspielen konnte, versagte Pogacars Muskulatur den Dienst. Der Slowene zahlte überraschendes Lehrgeld bei seinem Flanderndebüt. Solche Ereignisse allerdings machen dieses Rennen zu einem wahren Monument des Radsports.

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