Kommunalpolitiker brauchen dickes Fell

Brandenburger Studie belegt Beleidigungen und Bedrohungen vor allem in den Kreistagen

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 3 Min.

In Brandenburgs Kreistagen wird bedroht und beleidigt. Nicht einmal selten werden Abgeordnete von anderen Abgeordneten attackiert. Das ist ein Ergebnis einer Studie, die Innenminister Michael Stübgen (CDU) am Montag vorstellte. Faustkämpfe im Plenum sind zwar nicht gerade an der Tagesordnung, aber im Zuge einer allgemeinen Verrohung seien »Schläge auf den Hinterkopf« nicht mehr ausgeschlossen, erklärte Stübgen, als er die Studie »Präventive Strategien zum Schutz von Amts- und Mandatsträgern« vorlegte. Laut Studie herrschen die Delikte Einschüchterung, Hetze und Bedrohung vor. Weniger von Bürgern als von anderen Abgeordneten sind Angriffe zu befürchten. Täter und Opfer kennen sich zumeist, doch nur in gut einem Viertel der Fälle wurde Anzeige erstattet.

Feindseligkeiten und Polarisierung nehmen in einem Maße zu, »das mich tief beunruhigt«, sagte Stübgen. Kommunale Abgeordnete, aber auch Bürgermeister und Amtsdirektoren seien immer stärker mit dergleichen konfrontiert. Es vergehe in Brandenburg fast kein Tag mehr, ohne dass sich ein solcher Vorfall ereigne. Statistisch etwas häufiger sind Frauen die Opfer von Übergriffen, die bis zur angedrohten Vergewaltigung reichen. »Das ist nicht hinnehmbar, demgegenüber gilt null Toleranz«, sagte der Innenminister.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Immer häufiger sei das Internet der Ort von Beleidigungen und Drohungen. Als Innenminister habe er selbst »säckeweise solche Geschichten« auf dem Tisch, so Stübgen. Der Tonfall in der Politik sei »radikaler und härter« geworden, bestätigte Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller.

Diese Entwicklung ist keineswegs Ausdruck einer stärker verbreiteten Empfindlichkeit oder einer zunehmenden Dünnhäutigkeit, unterstrich die mit der Erarbeitung der Studie befasste Wissenschaftlerin Christina Rauh. Die Interviewten zeigten sich im Gegenteil eher robust. An 7000 Amts- und Mandatsträger im Bundesland sei der Fragebogen gesendet worden, immerhin 1500 wurden bei der bundesweit ersten Untersuchung dieser Art umfassend beantwortet.

Ein Drittel der Rückmelder habe angegeben, seit 2015 mindestens einmal bedroht oder beleidigt worden zu sein, berichtete Rauh. Bei Kommunalpolitikern in größeren Städten haben das 49 Prozent erlebt, bei denen in Dörfern 16 Prozent. Als Schwerpunkt nannte die Expertin Potsdam und Senftenberg. Meist gehe es verbal ab, in 42 Fällen sei aber von körperlicher Gewalt berichtet worden. Ein Drittel der verbalen Entgleisungen stamme aus anderen Kreistagsfraktionen, immerhin sieben Prozent aus der eigenen Fraktion. Von den unter Umständen strafrechtlich relevanten Ausfällen seien in höherem Maße Linke, AfD, Grüne und Freie Wähler betroffen, deutlich weniger SPD, CDU, FDP und Parteilose. Anlässe sind laut Rauh die »umstrittenen Themen« wie Windkraft und Asylheime. Nicht statistisch erfasst wurde, welche Fraktionen besonders häufig »unter die Gürtellinie« gehen. Die geringe Zahl der Anzeigen bei der Polizei führte Rauh darauf zurück, dass »viele den Glauben daran verloren haben, dass dies eine Wirkung hat«. Aber auch darauf, dass vielfach gar nicht bekannt sei, an welche Stelle man sich damit wenden müsse. Minister Stübgen riet, immer Anzeige zu erstatten, auch wenn sich daraus keine Verurteilung ergebe.

Laut Wissenschaftlerin Rauhe lässt sich nicht überprüfen, ob der ganz normale Bürger nicht ebenso häufig beleidigt und bedroht wird, doch komme bei den Amts- und Mandatsträgern die Exponiertheit ihrer Position hinzu. »Man steht für etwas ein.« Folge könnten auch subtile Formen der Ausgrenzung sein, etwa das Ausladen vom Schützenfest. Nicht selten überlegen die Opfer, ihr Amt oder Mandat abzugeben oder nicht mehr zu kandidieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -