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- Eintracht Frankfurt in der Europa League
Die Hesse komme
Eintracht Frankfurt geht ins Rückspiel des Europa-League-Viertelfinals beim FC Barcelona fast noch selbstbewusster als ins Hinspiel - und Zuversicht im Camp Nou geben nicht nur 25 000 hessische Anhänger, die mitreisen wollen
Es war fünf Minuten vor Mitternacht, als sich Kevin Trapp - noch in seiner quietschgrünen Torwarthose - und Oliver Glasner gemeinsam vom Podium im Presseraum der Frankfurter Arena erhoben. Der tüchtige Torhüter und der stolze Trainer von Eintracht Frankfurt hatten erkennbar gute Laune, plauderten beim Abgang ziemlich entspannt. Exakt eine Viertelstunde zuvor hatte Xavi Hernandez, der Chefcoach des FC Barcelona, mit eher nachdenklicher Miene dieselbe Tür genommen. Noch scheint offen, wer in einer Woche in den Katakomben des gewaltigen Camp Nou das bessere Ende für sich verbucht, nachdem das Hinspiel dieses Europa-League-Viertelfinals 1:1 endete. Nur dass es noch ein episches Elfmeterschießen braucht, in das die Eintracht bei seinem Europa-League-Siegeszug 2019 im Halbfinale den FC Chelsea (nach einem 1:1 im Hinspiel) verwickelte, schließt Trapp aus: »Wir werden uns nicht auf ein Elfmeterschießen vorbereiten, weil wir in Barcelona so spielen wollen, dass wir direkt weiterkommen.«
Genau wie seine Vorderleute hat sich auch die Nummer eins der Eintracht - und Nummer drei im Tor der deutschen Nationalmannschaft - aufgeladen mit Selbstbewusstsein. Der im Mittelmaß gefangene Bundesligist glaubt fest daran, den spanischen Renommierverein mit seinem angekratzten Ruf auch im Camp Nou schlagen zu können. Trainer Oliver Glasner freute sich über eine »fantastische Leistung« beim Remis und stellte heraus: »Wir werden mit der Überzeugung nach Barcelona gehen, dass wir dort gewinnen können.« Der 47-jährige Österreicher wollte ansonsten keine Klage über einen verpassten Sieg führen: »Dann verliert man den Boden unter den Füßen. Es ist wichtig, immer demütig zu bleiben.« Für ihn gebe es »keinen Wermutstropfen - nur Komplimente«.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
»Es fühlt sich etwas verrückt an, weil wir mit einem 1:1 gegen den FC Barcelona vom Platz gehen und das Gefühl haben, dass wir hätten gewinnen können«, ergänzte Trapp. Nur eines ärgerte den Ballfänger: Dass er immer noch an seinen Albtraum vor fünf Jahren im Dienste von Paris St. Germain erinnert werde, als der gebürtige Saarländer eine historische 1:6-Pleite gegen das noch von Lionel Messi orchestrierte Barça erlebte. »Eine andere Mannschaft, ein anderer Verein, eine andere Situation«, beschrieb der 31-Jährige seinen Lebenswandel seither. Und wozu habe er denn bitte kürzlich in Arbeitsteilung mit dem in Barcelona tätigen Kollegen Marc-Andre ter Stegen für die deutsche Nationalelf gegen Israel (2:0) sein sechstes Länderspiel bestritten und sogar einen Elfmeter aus dem Eck gefischt? Trapp versicherte: »Ich werde immer wieder gefragt, aber ich kann bestätigen, dass das nicht mehr im Kopf ist und keine Rolle mehr spielt.«
Die bei internationalen Herausforderungen seit vier Jahren fast regelmäßig über sich hinauswachsende Eintracht hat ja tatsächlich den psychologischen Vorteil, viel gewinnen zu können, während Barça mit einem Aus weiteres internationales Renommee verspielen würde. In der Champions League reichte es ja in einer Gruppe mit dem FC Bayern nicht zum Weiterkommen. Am Ende dieses von den Frankfurter Funktionären vielleicht etwas übermütig zum »Jahrhundertspiel« hochstilisierten Europapokalduells standen 66 Prozent Ballbesitz für den spanische Favoriten, aber 16:7 Torschüsse für den deutschen Außenseiter.
Auch deswegen erzeugten 48 000 stimmgewaltige Zuschauer zu der Bravourleistung ihrer Lieblinge eine elektrisierende Atmosphäre in der ausverkauften Arena im Frankfurter Stadtwald. Das Publikum entließ seine Helden erst nach Walzer und Ehrenrunde in die Kabinen. Das Bundesliga-Heimspiel gegen den SC Freiburg (Sonntag 17.30 Uhr) wird von der Anhängerschaft genutzt, um erneut Rückendeckung fürs Rückspiel (Donnerstag 21 Uhr/RTL) zu geben. Rund 25 000 Eintracht-Enthusiasten wollen mitreisen, zehn Flieger sind bereits gechartert. Kardinalfrage wird sein, wie die Frankfurter Entourage an so viele Karten kommt. Es hätten sogar 35 000 Ticketanfragen vorgelegen, erzählte Vorstandssprecher Axel Hellmann, der nur hofft, dass bei der Pilgerfahrt in die katalanische Metropole alles friedlich bleibt.
Dass es ungünstig wäre, den Heimvorteil abzugeben - dieser Gedanke trieb auch Barcelonas Trainer Xavi um: »Ich hoffe, dass von uns so viele Fans kommen, dann können wir uns fürs Halbfinale qualifizieren.« Der 42-Jährige lobte artig die Eintracht für ihre »physisch starke Mannschaft«. Bester Beleg: Der ehemalige Bundesliga-Paradiesvogel Pierre-Emerick Aubameyang machte im Sturm gegen den resoluten Verteidiger Martin Hinteregger kaum einen Stich. Kapitän Sergio Busquets, Pedri und Gavi bemühten sich im Mittelfeld lange vergeblich um Spielkontrolle. Selbst als sich Frankfurts Abwehrmann Tuta eine Gelb-Rote Karte einhandelte (78.), blieben Chancen für Barcelona Mangelware.
»Es war von uns kein gutes Spiel, aber ein gutes Ergebnis«, gestand Klub-Ikone Xavi. Er musste nach gut einer Stunde die zuvor geschonten Frenkie de Jong und Ousmane Dembelé einwechseln, um einen an die Tiki-Taka-Epoche erinnernden Spielzug zu erleben, den Ferran Torres zum 1:1 abschloss (66.). Zuvor hatte der deutsche U21-Nationalspieler Ansgar Knauff mit einem Traumtor den stimmungsvollen Höhepunkt erschaffen (48.). Die Leihgabe aus Dortmund hat sich als verkappter Rechtsaußen in Frankfurt prächtig entwickelt. »Es war ein unglaubliches Gefühl, vor der Kurve dieses Tor zu schießen«, berichtete der erst 20 Jahre alte Knauff ergriffen. »Ab der ersten Minute habe ich gespürt, dass was geht.«
Spieler, Trainer und Verantwortliche sind nun jedoch gefordert, den Schalter wieder für eine alltägliche Aufgabe zu finden. Für Manager Markus Krösche ist das Barcelona-Erlebnis die beste Motivationsspritze, am Sonntag die Freiburg-Herausforderung zu meistern: »Es ist extrem wichtig, dass wir auch in der Bundesliga alles tun, um nächste Saison wieder im Europapokal zu spielen.« Klang nach einem sehr einleuchtenden Argument, dass Krösche kurz nach Mitternacht eingefallen war.
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