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Kakerlakenwohnungen und Zelten im Park
Zehntausende Hilfskräfte und Mitarbeiter der University of California könnten bald streiken – für mehr Lohn und bezahlbaren Wohnraum
Auf dem Campus der Universität Berkeley herrscht reger Betrieb an diesem Nachmittag. Es ist der 1. April. Die Frühjahrsferien im US-Bundesstaat Kalifornien sind vorbei und die Semesterabschlussklausuren kommen unaufhaltsam näher. Je weiter man jedoch zum nördlichen Rand der parkartigen Anlage kommt, desto ruhiger wird es. Auf einer grün-braun gescheckten Rasenfläche allerdings haben sich etwa 50 Menschen versammelt und lauschen dem, was Tansil Chowdhury zu sagen hat. Was er erzählt, klingt wie ein Aprilscherz. Aber es ist keiner.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Kanzlerin der Universität, Carol Christ, hat gerade eine Gehaltserhöhung von 53 000 Dollar bekommen, erzählt sie. Sie verdient damit jetzt rund 650 000 Dollar im Jahr. Für die Anwesenden sind diese Zahlen unvorstellbar. Sie alle sind an der Universität als studentische oder wissenschaftliche Mitarbeiter*innen angestellt, und sie verdienen weniger als ihre Kanzlerin. Sehr viel weniger sogar. Postdocs, also wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die bereits einen Doktortitel haben, bekommen ein Einstiegsgehalt von 54 000 Dollar im Jahr – so viel wie Christ in einem Monat verdient. Studentische Mitarbeiter*innen müssen oft mit weniger als der Hälfte auskommen.
Aufgerufen zu der Versammlung haben mehrere Gewerkschaften, in denen die wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter*innen der Universität organisiert sind. Offizieller Anlass ist es, der Kanzlerin zu ihrer Lohnerhöhung zu gratulieren. Es gibt Kuchen, Musik und alkoholfreien Sekt. Aber natürlich freut sich hier niemand wirklich für Christ. Ob das Ganze ironisch ist oder doch schon zynisch, lässt sich schwer sagen. »Der Universität sind Lohnerhöhungen in der Chefetage jedenfalls ganz offensichtlich wichtiger als Lohnerhöhungen für diejenigen, die hier arbeiten«, sagt Hannah Zuckerman, die für die United Auto Workers (UAW) Ortsgruppe »Local 5810« arbeitet, die Gewerkschaft der Post-docs.
Die Gewerkschaft ist eine von Dreien, die sich gerade in Tarifverhandlungen mit dem Verbund der University of California befinden, zu dem neben dem in Berkeley auch noch neun andere Standorte, unter anderem in Los Angeles und San Diego, gehören. Ingesamt 50 000 Menschen werden von den Gewerkschaften vertreten und sie alle haben sich in Urabstimmungen in überwältigender Mehrheit für einen möglichen Streik ausgesprochen. Wenn die Universitäten nicht einlenken, droht Kalifornien der größte Streik im universitären Bereich seit vielen Jahrzehnten.
Dass die Mitarbeiter*innen der Universität sich gerade hier am abgelegenen Nordende des Campus versammelt haben, wo kaum jemand etwas von ihnen mitbekommt, hat einen Grund. Direkt gegenüber, hinter einem eisernen Zaun und umgeben von einem trotz der anhaltenden Dürre gepflegt wirkenden Rasen, befindet sich der offizielle Dienstsitz von Kanzlerin Christ. Es ist ein beeindruckender Bau von der Art, die man für gewöhnlich als Anwesen bezeichnet. Es steht jedoch leer. Die Kanzlerin zieht es vor, in einem Penthouse im benachbarten Oakland zu wohnen, weit weg von denjenigen, für deren Wohlergehen sie verantwortlich ist. »Und das, wo hier Studierende in ihren Autos leben oder obdachlos sind«, sagt Zuckerman mit einer Mischung aus Wut und Frustration.
Obdachlose Studierende
Wohnungslosigkeit ist tatsächlich ein Problem hier in Berkeley. Laut einer Studie der Universität selbst hatten vergangenes Jahr 24 Prozent der Studierenden keinen sicheren und adäquaten Schlafplatz. 2019 gaben 17 Prozent an, wohnungslos zu sein. Trotz der offensichtlichen Knappheit an Wohnraum will die Universität für das kommende Semester noch einmal 5000 Studierende mehr zulassen. Zwar hatte die lokale Eigenheimbesitzer-Initiative »Save Berkeley’s Neighborhoods« (Erhaltet die Viertel in Berkeley) erfolgreich dagegen geklagt. Das demokratisch dominierte Parlament Kaliforniens und der ebenfalls demokratische Gouverneur Gavin Newsom verabschiedeten jedoch in Rekordzeit ein Gesetz, das die höhere Zahl an Zulassungen nun doch rechtmäßig macht.
»Die Universität ist in der lokalen und bundesstaatlichen Politik halt bestens vernetzt«, stellt Jess Banks von der UAW 2865, einer der zwei Gewerkschaftsortsgruppen der studentischen Mitarbeiter*innen, fest. Sie arbeitet als Lehrassistentin am Lehrstuhl für Mathematik und kennt die Probleme sehr gut aus eigener Erfahrung. Rund 42 Prozent ihres Einkommens gehen für ihre Miete drauf. Würde sie nicht mit 17 anderen in einer Art Hausprojekt wohnen, wären es wahrscheinlich noch viel mehr.
Auch Tansil Chowdhury, der eben noch die Rede gehalten hat und in der SRU-UAW, der anderen Gewerkschaft der studentischen Mitarbeiter*innen, organisiert ist, ist mit der Situation wohlvertraut. Er arbeitet als studentischer Mitarbeiter im Fachbereich Materialforschung und lebt in einem Zimmer in einer Dreier-WG, für das er jeden Monat 45 Prozent seines Einkommens als Miete überweist. »In der Politik wird oft von einem living wage, einem Lohn, von dem man leben kann, geredet. Bei den Mieten hier ist, das, was wir verdienen, kein living wage. Wir wollen so bezahlt werden, dass wir davon leben und in Ruhe unsere Arbeit machen können.«
Banks und Chowdhury sind leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel in Berkeley, und aus diesem Grund spielen die Mieten auch eine wichtige Rolle in den laufenden Tarifverhandlungen. Die Gewerkschaft der Postdocs hat bereits einen Vorschlag für Mietzuschüsse unterbreitet, die anderen beiden werden wahrscheinlich bald etwas Ähnliches vorlegen. »Im Endeffekt ist es aber egal, ob es nun einen Mietzuschuss oder mehr Lohn gibt«, meint Banks. »Hauptsache, wir bekommen endlich genug Geld, um uns die Mieten hier leisten zu können.«
Eine weitere Forderung der Gewerkschaften besteht darin, Forschenden und Lehrenden die aus dem Ausland nach Berkeley kommen, bezahlbaren Wohnraum zu garantieren, denn für diese ist es noch einmal um ein Vielfaches schwerer, aus der Ferne auf dem umkämpften Wohnungsmarkt in und um Berkeley etwas Bezahlbares zu finden. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt das Beispiel von Diogo Lourenço, der in Berkeley zu erdähnlichen Planeten in anderen Galaxien forscht.
Lourenço ist aus Portugal nach Kalifornien gekommen und zahlt 50 Prozent seines Einkommens an Miete – und das für eine Einzimmerwohnung mit Kakerlaken und kaputter Tür. »Das ist alles ein einziger Haufen Scheiße und er wird der Universität sehr bald um die Ohren fliegen«, ist er überzeugt. »Wenn man es sich nicht leisten kann, hier zu leben, wieso sollten wir Wissenschaftler*innen dann überhaupt herkommen? So wird die Forschung hier bald den Bach runter gehen.«
Tatsächlich sind der Wohnungsmarkt und der Immobilienmarkt in Berkeley und Umgebung total überhitzt. Unter einer Million Dollar ist kein Haus zu bekommen, jedenfalls keines, das nicht teuer renoviert werden müsste. Rund die Hälfte der Bevölkerung lebt jedoch ohnehin zur Miete und kann von einem Eigenheim höchsten träumen. Rund 26 000 Mietwohnungen gibt es in Berkeley, einer Stadt mit 124 000 Einwohnern. 19 000 davon fallen unter die rent protection, eine Art Mietpreisbegrenzung. Das klingt erst einmal sehr gut. In der Praxis schützt es jedoch nur diejenigen vor zu hohen Mieterhöhungen, die länger in derselben Wohnung wohnen. Bei einem Wechsel von Mieter*innen können Vermieter*innen die Miete nach Lust und Laune erhöhen, und genau das tun die meisten von ihnen auch regelmäßig.
Ein nicht unerheblicher Teil des Problems ist, dass die Universität selbst die größte Vermieterin in und um Berkeley ist. Über 8000 Betten in Studierendenwohnheimen und Wohnungen in Campusnähe hat sie in ihrem Portfolio. Hinzu kommen knapp 1000 Wohnungen im University Village in Albany gleich nördlich von Berkeley. Weitere große Bauprojekte im Nachbarort Emeryville und direkt unterhalb des Campus an der Grenze zur Innenstadt laufen bereits. Der People’s Park nahe der Universität, in dem derzeit noch mehr als 100 Menschen in Zelten leben, soll geräumt und ebenfalls bebaut werden.
Ein Zimmer in einem Studierendenwohnheim kostet rund 1600 Dollar im Monat. Ein Bett in einem Viererzimmer ist schon für etwas mehr als 1000 zu haben. Wohnungen im University Village, das vor allem für das Lehrpersonal gedacht ist, liegen zwischen 1600 für ein und 2500 Dollar für drei Zimmer. Mit diesen Preisen setzt die Universität das absolute Minimum fest. Niemand hat einen Grund, günstiger zu vermieten, zumal das Angebot der Universität für die 45 000 Studierenden und die insgesamt 23 000 Angestellten bei weitem nicht ausreicht.
Zu wenig Neubau seit Jahren
In der Praxis bedeutet das, dass die Universität nicht nur die Löhne, sondern auch das Niveau der Mieten bestimmt – das eine direkt, das andere indirekt. Die Universität weiß, dass ein internationaler Topwissenschaftler wie Lourenço sich von dem, was sie ihm zahlen, kaum ein Einzelzimmer in ihren eigenen Wohnheimen leisten kann, zumindest nicht, wenn er auch gerne etwas isst und ungerne barfuß herumläuft. Denn nicht nur die Mieten, alles ist teuer in Berkeley. Und Lourenço hat noch Glück. Er hat keine Familie. Bräuchte er ein Kinderzimmer, würde er im University Village fast 60 Prozent seines Lohnes an Miete zahlen müssen, auf dem freien Markt in der Regel noch einiges mehr. Der Universität alleine die Schuld zu geben, würde zu kurz greifen.
Die Mieten sind überall in der Bay Area hoch. Es wurde lange nicht genügend gebaut, und der Hang der US-Amerikaner zu Einfamilienhäusern sorgt dafür, dass der durch die natürlichen Grenzen von Meer, Bucht und Bergen ohnehin schon knappe Platz nur äußerst ineffektiv genutzt wird. Außerdem zahlen die Firmen im Silicon Valley in der Regel vergleichsweise hohe Gehälter und ihre Angestellten können sich entsprechend hohe Mieten leisten, was die Preise weiter nach oben treibt.
Die Firmen der Internet- und Biotechbranche zahlen ihren Angestellten Löhne, von denen sie sich das Leben in der Bay Area leisten können. Die Universität tut das nur sehr bedingt. Die University of California, Berkeley ist eine der besten, laut einigen Rankings sogar die beste Universität der Welt. Wenn sie das bleiben will, muss sie für Wissenschaftler*innen und Studierende attraktiv bleiben. Ein Leben in einer überteuerten Einzimmerwohnung mit Kakerlaken ist das nicht.
Die Gewerkschafterin Jess Banks ist zuversichtlich, dass auch die Universität das begreifen wird. »Wir wären wirklich glücklich, wenn wir uns auf ein für alle Seiten faires Angebot einigen könnten«, sagt sie. Und wenn nicht? Dann könnten schon bald 50 000 studentische und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in ganz Kalifornien in den Streik treten. Vielleicht ist das ja ein Argument, das die Universität versteht. Banks lächelt. »Ich bin da ziemlich zuversichtlich.«
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