Einsatzkommando schießt auf eigene Leute

Verbotenes »Aufnahmeritual« in Sachsens Polizei sorgt für Entsetzen. Minister Wöller unter Druck

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In sächsischen Polizeieinheiten werden Neulinge offenbar mitunter begrüßt, indem auf sie geschossen wird. Das wurde durch eine Razzia bekannt, die Generalstaatsanwalt und Landeskriminalamt (LKA) vor Ostern bei 23 Beamten eines in Leipzig stationierten Mobilen Einsatzkommandos (MEK) durchführten. Ihnen wird vorgeworfen, ein »verbotenes Aufnahmeritual« durchgeführt zu haben. Dabei soll aus Übungswaffen geschossen worden sein – immerhin nur mit »nicht tödlicher Übungsmunition«, wie die Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft betont. Einer von zwei derart »Begrüßten« wurde dennoch verletzt; er sei von einer »vor Ort anwesenden Polizeiärztin« versorgt worden.

Die Durchsuchung richtete sich gegen 23 Beamte. Besonders pikant ist, dass nach Aussage der Ermittler der Verdacht besteht, die »Haupttäter« seien Führungskräfte. Die Aktion sei »auf Weisung eines Gruppenführers und mit Billigung des ebenfalls anwesenden Kommandoführers« erfolgt. Die Munition sei für die »Schießübung« entwendet und »unberechtigt« verschossen worden. LKA-Chefin Sonja Penzel sagte, sie sei »enttäuscht«. Mutproben und Aufnahmerituale gehörten nicht in die Polizei. Es seien »die Grenzen des gesitteten Miteinanders überschritten« und zudem Trainingsmittel »missbräuchlich verwendet« worden. Den Betroffenen seien ihre Führungsaufgaben entzogen worden.

Bemerkenswert ist, dass der Vorfall bereits mehr als ein Jahr zurückliegt; er ereignete sich im Dezember 2020. Ans Licht kam er erst bei einer Überprüfung, die einen Skandal bei einem anderen Mobilen Einsatzkommando in Sachsen aufklären sollte. In der in Dresden stationierten Truppe sollen Ende 2018 mindestens 7000 Schuss Munition gestohlen worden sein, mit denen ein Schießtraining auf einer privaten Anlage in Mecklenburg-Vorpommern bezahlt wurde. Von dieser wiederum soll es Verbindungen zu der mutmaßlich rechtsextremen Prepper-Gruppierung »Nordkreuz« geben. Das betroffene MEK in Dresden wurde nach der Affäre aufgelöst. Das Innenministerium setzte eine Untersuchungskommission ein. Diese sei nun auf den Vorfall in Leipzig gestoßen. Manchmal, merkte LKA-Präsidentin Penzel an, müsse man »beim notwendigen Aufräumen mit weiteren Problemen rechnen«.

Landespolitiker reagierten entsetzt. Der Fall sei »kein Schulhofverhalten«, sondern Indiz für »organisierte Verantwortungslosigkeit«, sagte Kerstin Köditz, Innenexpertin der Linken. Valentin Lippmann, ihr Fachkollege von den Grünen, sieht ein »problematisches Führungs- und Corpsverständnis« bei Spezialkräften der sächsischen Polizei sowie »absoluter Verselbstständigung und Selbstherrlichkeit«. Lippmann sieht das als Ausdruck »massiven Führungsversagens«. Die Ablösung von LKA-Präsident Petric Kleine und einem Abteilungsleiter im April 2021 in Folge der Munitionsaffäre erweise sich im Nachhinein als »richtig«. Dagegen sieht Köditz CDU-Innenminister Roland Wöller in der Pflicht. Dieser dürfe sich nicht hinter der LKA-Präsidentin verstecken und es »nicht schon wieder« bei einem »Bauernopfer« belassen.

Wöller reagierte auf den neuerlichen Vorfall erschüttert und bezeichnete eine konsequente Aufarbeitung unter der neuen LKA-Führung als notwendig; gleichwohl wollte er keine strukturellen Gründe erkennen: »Verfehlungen Einzelner dürfen nicht die jahrelange und erfolgreiche Arbeit ganzer Bereiche oder Behörden in Verruf bringen«, erklärte er. Die CDU-Fraktion sekundierte ihm. Die jüngste Affäre werfe »ein falsches Bild« auf die vielen sächsischen Polizisten, die »ordentlich ihre Arbeit machen«, hieß es.

Gleichwohl dürfte der Skandal den Druck auf Wöller verstärken. Dieser wird beispielsweise wegen der rigiden Abschiebepolitik im Freistaat innerhalb der Koalition mit Grünen und SPD regelmäßig kritisiert oder sorgte mit Aussagen zum polizeilichen Agieren bei einer eskalierten Demo von Coronaleugnern im November 2020 in Leipzig für Entsetzen. Im Juli 2020 hatte es eine Datenaffäre beim Verfassungsschutz gegeben. Zuletzt sorgten zwei Personalien im Ministerium und an der Hochschule der sächsischen Polizei für Kopfschütteln. Ein Boulevardblatt fragte: »Wann ist Innenminister Wöller weg?« Köditz merkte an, sie wolle das Wort »endlich« ergänzen.

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