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Rückenwind für die republikanische Sinn Féin
Nordirlands Ostermärsche standen im Zeichen der anstehenden Parlamentswahlen
Selbst tief hängende Wolken und einsetzender Nieselregen hielten Tausende nicht davon ab, nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause am Ostersonntag an den republikanischen Märschen in West-Belfast teilzunehmen. Dort stimmte die Parteichefin der republikanischen Partei Sinn Féin, Mary Lou McDonald, ihre Gefolgschaft auf den bevorstehenden Wahlsieg ein – in etwas mehr als zwei Wochen gehen die Nordir*innen zu einer wohl historischen Wahl.
Zu Ostern marschieren irische Republikaner*innen, um an den Aufstand von 1916 zu erinnern. Damals versuchte eine Gruppe von Rebellen, die Wirren des Ersten Weltkriegs auszunutzen und proklamierte die von Großbritannien unabhängige irische Republik. Drei Jahre später begann der Unabhängigkeitskrieg und 1921 wurde Irland geteilt – der Süden wurde unabhängig, der Nordosten blieb britisch.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Dieses Nordirland sollte ein »protestantischer Staat für ein protestantisches Volk« sein, wie es der damalige Regierungschef James Craig ausdrückte. 100 Jahre später existiert dieses Nordirland nicht mehr. Irische Katholik*innen sind die Mehrheit der Bevölkerung und bald wohl auch im Parlament – oder wie es McDonald am Sonntag ausdrückte: »Die Vergangenheit ist vorbei.«
Den ganzen Tag zogen am Ostersonntag Paraden die Falls Road hinunter, vorbei von Straßenlaternen, die mit irischen Flaggen, grün-orangen Girlanden und republikanischen Schildern geschmückt waren. Die größte Parade organisierte die Sinn-Féin-nahe National Graves Association. Hier im Herzen von West-Belfast war das Zentrum des republikanischen Widerstands während des Nordirland-Konflikts. Am 5. Mai sind hier fünf Parlamentssitze zu vergeben. Einen wird sich, wie bei der letzten Wahl, der Trotzkist Gerry Carroll schnappen. Zumindest drei, vielleicht vier dürften an Sinn Féin gehen. Für die Partei ist es ein Heimspiel.
Um 13.30 Uhr versammelte sich die Parade an der Beechmount Avenue. Angeführt von einer Reenactment-Gruppe in historischen IRA-Uniformen und einigen Blasmusikkapellen, die stundenlang Widerstandslieder spielten und stampften, marschierten einige Tausend Teilnehmer*innen die rund 1,5 Kilometer zum Milltown-Friedhof. Entlang der Route reihen sich weitere Tausende Unterstützer*innen ein. Kinder aßen Essigchips und schwenkten kleine irische Plastikfähnchen, wie man es von Staatsempfängen kennt. Die aus Dublin angereiste MacDonald winkte ihnen fleißig zu.
In ihrer Rede im republikanischen Bereich des Friedhofs, wo 77 IRA-Mitglieder begraben sind, machte sie keinen Hehl daraus, wo sie Sinn Féin in Zukunft sieht: an der Staatsspitze in Belfast und Dublin. Rund 2000 Getreue waren geblieben, um McDonald zuzuhören: »Wir sind die Generation, die das Ende der Teilung sehen wird.«
»Die unionistische Mehrheit im Norden und die Dominanz von Fianna Fáil und Fine Gael im Süden sind zu Ende. Wir werden die Zukunft gestalten«, sagte sie. Doch sie weiß auch, dass es ohne Unionist*innen keine Zukunft geben wird: »Unionist*innen – die britische Regierung hat euch im Stich gelassen. Stellt euch ein Irland vor, in dem alle eure Rechte durch die Verfassung gesichert sind. Geht diesen Weg mit uns gemeinsam – ein Irland, das seinen Platz in der Europäischen Union einnimmt.«
Dies war die einzige Anspielung auf den Brexit, der Sinn Féin in den Umfragen nach vorne und die irische Wiedervereinigung auf die Tagesordnung brachte. Doch zu Ostern wollte niemand vom Brexit hören. Michael, ein Mittvierziger aus Belfast, dessen Vater und Onkel IRA-Gefangene waren, applaudierte heftig: »Unsere Spitzenkandidatin Michelle O’Neill wird Regierungschefin werden – weil wir die richtige Politik haben, nicht wegen Brexit. Die Briten haben schon davor hier alles falsch gemacht, wir machen es besser«, erklärt er im Gespräch.
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Die unionistischen Parteien haben bereits angekündigt, das Parlament zu boykottieren, falls Sinn Féin tatsächlich am 5. Mai erstmals stärkste Partei wird und Michelle O’Neil als Regierungschefin nominiert. Die politische Krise, die mit dem Rücktritt des unionistischen Regierungschefs Paul Givan im Februar begonnen hat, würde weitergehen – und Nordirland womöglich auf Jahre ohne funktionierende Regierung dastehen. Trotz aller Euphorie von Sinn Féin ist in Belfast die Vergangenheit nicht gänzlich vorbei.
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