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Dreizehn Stockwerke Treppensteigen

Auch in Kiel gibt es zahllose Beschwerden von Mietern gegen den Vonovia-Konzern – und immer weniger bezahlbare Unterkünfte

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob in Kiel oder anderswo: In den meisten Großstädten Deutschlands fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 8. Mai wollte ein breites Bündnis die Landespolitik unter dem Motto »Wohnen ist ein Menschenrecht« noch einmal an die für einen steigenden Anteil der Bevölkerung immer prekärer werdende Situation und die steigende Belastung durch immer höhere Mieten erinnern.
Doch nur wenige Menschen folgten dem Aufruf, am Samstag in der Landeshauptstadt Kiel für einen Mietendeckel, ein Wohnraumschutzgesetz auf Landesebene und mehr sozialen Wohnungsbau zu demonstrieren. Es beteiligten sich etwa 160 Personen an der Kundgebung. Warum die Gewerkschaften und Parteien, die zur Demo aufgerufen hatten, in ihren Reihen kaum mobilisieren konnten, bleibt deren Geheimnis. Die Grünen etwa wurden nach eigenen Angaben ganz außen vor gelassen. Immerhin waren vom Demobündnis 500 bis 1000 Teilnehmende angemeldet.

Wie brisant das Thema der Demonstration war, machten die Rednerinnen und Redner deutlich. Johann Knigge-Blietschau, Spitzenkandidat der Linken, benannte alltägliche Beispiele für prekäres Wohnen anno 2022: Beim Wahlkampf im Kieler Stadtteil Mettenhof sei er in einem 13-geschossigen Hochhaus von einer behinderten Bewohnerin darauf hingewiesen worden, dass der Fahrstuhl seit sechs Wochen defekt sei. Das Gebäude gehört zum Imperium des Vonovia-Konzerns. Auch der Mieterbund, der ebenfalls zum Demobündnis gehörte, berichtet regelmäßig von Beschwerden gegen das Immobilienunternehmen. Nur ein Bruchteil der Missstände wird dabei der breiten Öffentlichkeit bekannt. Knigge-Blietschau erzählt auch von einem Genossen, der von der Stadt Kiel seit mittlerweile drei Jahren in einem Hotel untergebracht ist, weil er keine Bleibe findet.
Und sein Fall sei nur einer von rund 300 ähnlich gelagerten, so der Politiker. Zudem sei dies nur die »Spitze des Eisbergs«. Trotz dringenden Handlungsbedarfs sei der Markt für bezahlbaren Wohnraum leer gefegt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Dazu komme in Kiel, dass die Konkurrenz auf dem Mietmarkt durch die Studierenden verschärft sei, berichtet ein Insider. Wobei die Studierenden dadurch, dass ihre Eltern als Bürgen bereitstehen, sogar leichter eine Bleibe fänden als andere Wohnungssuchende. Ein Wohnungsbesichtigungstermin in der Kieler Innenstadt habe sage und schreibe 500 Interessenten angelockt, erzählt der Insider. Der Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Frank Hornschu, weist darauf hin, dass zugleich die Tarifsteigerungen in den Betrieben oft nicht mit den explodierenden Mieten, insbesondere mit den in die Höhe schnellenden Neben- und Energiekosten mithalten. Immer weniger Werktätige fänden dadurch eine bezahlbare Bleibe in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. Hornschu macht zudem darauf aufmerksam, dass bei Mietsteigerungen von 16 Prozent in den letzten fünf Jahren für viele alte Menschen 60 bis 70 Prozent ihrer Rente für die Begleichung der Wohnkosten draufgehen.

Zu den Demoteilnehmern gehörten auch Aktive der 2017 gegründeten Bauwagengruppe »Schlagloch«, die sich seit Jahren für alternative Wohnformen starkmacht. Sie fühlt sich von der Stadt Kiel auf der Suche nach einem dauerhaften Stellplatz hingehalten. Aktuell warte man auf ein Signal aus dem Rathaus, der Gruppe eine Garantie für einen Stellplatz auf dem weitläufigen Gelände des ehemaligen Marinefliegergeschwaders 5 im Stadtteil Holtenau zu geben, sagte Aktivistin Nora. Sie betonte, dass das Leben im Wagen auch eine Alternative zur Flächenversiegelung durch feste Bauten ist.
»Die Häuser denen, die drin wohnen«, wurde auf der rund sechs Kilometer langen Demoroute skandiert. Weitere Forderungen waren die Rückkehr zur 2019 von der Koalition aus CDU, Grünen und FDP abgeschafften Mietpreisbremse und die Gründung einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft.

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