Geht Russlands Rüstung die Luft aus?

Auch dank der westlichen Sanktionen kommt die russische Panzerproduktion immer mehr ins Stocken

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Kriegseröffnung am 24. Februar hat auch Russland in der Ukraine schreckliche Verluste erlitten. Über 13 400 Soldaten - so lauten Zahlen, die in Moskau hinter vorgehaltener Hand weitergereicht werden - sind bislang getötet worden. Bei den brutalen Kämpfen wurde Technik in rauen Mengen vernichtet. In ein paar Tagen wird die Führung in Moskau jedoch versuchen, den Eindruck einer intakten militärischen Kraft zu vermitteln. Für den 9. Mai, dem 77. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus, sind in 28 russischen Städten Paraden geplant. Allein über den Roten Platz in Moskau sollen, so sagt das Verteidigungsministerium, 11 000 Militärangehörige in 131 Einheiten sowie 77 Flugzeuge und Hubschrauber bewegt werden.

Die Realität der »militärischen Spezialoperation« ist eine andere. Moskaus Militärführung hat die Fähigkeit verloren, die russischen Streitkräfte mit allem Notwendigen zu versorgen. Neben eigener Führungs- und logistischer Unfähigkeit machen sich Wirtschaftssanktionen der USA und ihrer Verbündeten bemerkbar. Das behaupten Fachleute des Pentagons, geben ihre Analysen aber nicht frei. Was darin zu lesen ist, kann man aber auch dem »War Bulletin« entnehmen, das die ukrainische Botschaft in Washington herausgibt. Zitat: »Mehr als 20 russische Rüstungsunternehmen waren gezwungen, ihre Aktivitäten aufgrund von Mangel an Teilen und Komponenten sowie wegen steigender Preise, hervorgerufen durch Sanktionen, ganz oder teilweise einzustellen.« Zudem verschärften sich bestehende Probleme in den Lieferketten. Almas-Antei, der größte russische Rüstungskonzern, steht seit dem 15. März ganz oben auf der EU-Sanktionsliste. Noch sind seine Produkte zur Flugabwehr keine Mangelware, denn die ukrainische Luftwaffe ist weitgehend ausgeschaltet. Noch. Nachschubschwierigkeiten scheint es aber bereits bei taktischen Raketen zu geben. Nicht nur, dass alte, eigentlich längst ausgemusterte Typen abgefeuert werden. Man nutzt statt der modernen »Iskander«-Systeme inzwischen auch extrem teure Marineflugkörper für den Bodenkrieg.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Auch dem Lkw-Produzenten Kamaz fehlen einzelne Bauteile. Zu den von Sanktionen betroffenen Unternehmen gehört angeblich Uralvagonzavod. Die Aktiengesellschaft stellt Artilleriesysteme und Panzer aller Art her. Viele für den Export. Westliche Geheimdienste behaupten, dass die Bänder unter anderem in Tscheljabinsk nur sporadisch laufen, weil bislang importierte Komponenten fehlen. Viele Probleme seien auch auf steigende Zinssätze und fehlende Mittel für die Bedienung von Fremdwährungskrediten zurückzuführen. Auch stiegen die Preise für allerlei Materialien. Die von Moskau propagierte Kampagne zur Substitution von Importen bringt nicht den gewünschten Erfolg. So sei die Produktion neuer Ausrüstung, einschließlich der Panzer T-90 und T-14 »Armata«, der auch am 9. Mai wieder über den Roten Platz rollen soll, eingestellt, denn: Masse geht vor Klasse. Auf ukrainischen Schlachtfeldern wird der noch unausgereifte »Armata«-Wundertank ohnehin nicht eingesetzt.

Die Ukraine fordert derweil die Lieferung von mehr schweren Waffen. Panzer stehen auf der Prioritätenliste ganz weit oben. Dabei verfügt das Land an den Fronten bereits jetzt über mehr Panzer als Russland, behauptet das US-Verteidigungsministerium. Und die britische Partnerbehörde schätzt am 22. April ein: Trotz der erneuten Konzentration Russlands im Donbass würden die Russen » immer noch unter den Verlusten leiden, die sie zu Beginn des Konflikts erlitten haben«.

Welchen Sinn macht da der massive Druck, mit dem Union, FDP und Grüne, aber auch SPDler Kanzler Olaf Scholz zu neuen Panzerlieferungen drängen? Sicher geht es zum einen um Lobbyarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie. Zugleich aber muss man annehmen, dass viele Lieferbefürworter auf eine einseitige militärische Lösung des Krieges zugunsten der Ukraine aus sind. Das muss besorgt machen.

Die Regierung laviert, organisiert »Ringtausche«, die militärisch durchaus Sinn machen. So wird Slowenien einen Teil seiner M 84-Panzer - das ist eine Weiterentwicklung des sowjetischen T-72 - liefern und dafür deutsches Wehrmaterial erhalten. Solche ex-sowjetischen Tanks nutzen auch die Nato-Staaten Polen, Ungarn, Kroatien und Bulgarien. Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Georgien haben sie ebenfalls im Bestand, in Rumänien stehen einige zum Verkauf. Viel Material also »zum Tauschen«.

Die Niederlande wollen nun fünf Panzerhaubitzen 2000 in die Ukraine schicken. Deutschland wird das Personal ausbilden - so wie die USA im deutschen Grafenwöhr ukrainische Artilleristen drillen.Washington stellte bereits Haubitzen samt Munition bereit, mit denen Kiew sechs Bataillone ausstatten kann.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.