200 Hilfegesuche im Monat

Eine türkische Plattform kämpft gegen Frauenmorde und frauenfeindliche Gesetze. Nun wurde ein Verbotsverfahren eingeleitet

  • Svenja Huck, Istanbul
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit März 2021 wurden in der Türkei 277 Frauen ermordet, 247 weitere Frauen starben unter ungeklärten Umständen. Diese Zahlen und die dahinterstehenden Namen veröffentlicht die Plattform »Wir werden die Frauenmorde stoppen« (Kadın Cinayetlerini Durduracağız Platformu, KCDP) regelmäßig in ihren monatlichen Berichten. Immer wieder protestieren ihre Unterstützerinnen öffentlich gegen Femizide und frauenfeindliche Gesetze der AKP-Regierung. Gegen die Organisation hat die Istanbuler Staatsanwaltschaft nun auf Antrag des Gouverneurs einen Verbotsprozess eingeleitet. Sie verstoße gegen Gesetz und Moral, so der Vorwurf.

In ihrem Statement erklärt die Plattform: »Wir verstehen diesen Prozess nicht nur als einen Angriff auf unseren Kampf. Wir wissen, dass es sich hier um einen Angriff auf die gesamte demokratische Öffentlichkeit handelt.« Ebenso wie der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, sei auch das Verbotsverfahren ein Rechtsbruch, den man nicht akzeptieren werde. »Sie sollen nicht denken, dass wir uns daran gewöhnen,« warnt die Plattform.

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Die Plattform entstand vor rund zwölf Jahren, zunächst als ein Unterstützerinnennetzwerk für Familien von Frauen, die ermordet wurden. Oft legen türkische Gerichte solche Fälle umgehend zu den Akten, ohne dass die Todesursachen der Frauen aufgeklärt wurden. KCDP kämpft dafür, dass Femizide als solche benannt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Für ihre Arbeit wurde die Plattform im letzten Jahr mit dem finnischen International Gender Equality Prize ausgezeichnet.

Bis heute dokumentieren und begleiten sie so gut wie jeden Gerichtsprozess, in dem häusliche Gewalt, Femizide, Unterhaltszahlungen oder Selbstverteidigung von Frauen verhandelt werden. Dass nun ein Verfahren gegen die Organisation eingeleitet wurde, liegt auch am Erfolg der Organisation. Männer, die in den Prozessen schuldig gesprochen oder zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden, geben der Plattform die Schuld für ihre Verurteilung und erheben im Gegenzug Anklage. Sie werfen den Aktivistinnen vor, die Einheit der Familie zu zerstören und traditionelle Werte zu verletzen. Fidan Ataselim, Generalsekretärin der Plattform, hält diese Gegenanzeigen für eine orchestrierte Aktion: »Bereits 2016 wurden zahlreiche Klagen gegen uns beim damaligen Ministerpräsidentenamt eingereicht. Wahrscheinlich war das abgesprochen, denn alle hatten den gleichen Text, enthielten sogar die gleichen Schreibfehler.«

Dass sich nun die Staatsanwaltschaft des Falles annimmt, zeigt, dass sie dabei Unterstützung von den höchsten politischen Kreisen erhält. Um die Staatsanwaltschaft zur Eröffnung des Verbotsverfahrens zu überzeugen, forderte der Gouverneur außerdem vom Polizeipräsidium Informationen darüber an, ob die Plattform in Verbindung mit terroristischen Vereinigungen stehe. Als Indizien wurden Festnahmen von führenden Mitgliedern der Plattform bei politischen Aktionen und Statements bezüglich der Inhaftierung von HDP-Abgeordneten angeführt, wie die Online-Zeitung »T24« berichtet.

Ataselim sieht einen eindeutigen Grund für das Verbotsverfahren gegen ihre Organisation: »Wir sind eine selbstorganisierte Struktur, wir führen einen politischen Kampf im ganzen Land und wir sagen deutlich, was getan werden muss, um Morde an Frauen zu verhindern.« Jeden Monat riefen rund 200 Frauen bei der Plattform an, würden um Unterstützung bitten und von gewalttätigen Männern in ihrem Umfeld berichten. Dass die Plattform dies öffentlich macht, ist der türkischen Regierung ein Dorn im Auge.

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Gegen den Verbotsprozess ruft die Plattform ihre Mitglieder, Unterstützerinnen, alle Frauen und LGBTIQ+ Personen dazu auf, ihren gemeinsamen Kampf zu verteidigen. »Wir lassen uns nicht aufhalten, wir werden die Frauenmorde stoppen!« schreiben sie auf ihrer Webseite. Neben der Verteidigung ihrer eigenen Organisation unterstützt die Plattform außerdem aktuell eine Klage vor dem Obersten Verwaltungsgericht, mit der sie den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention rückgängig machen möchte. Der Prozess begann am Donnerstag, mehrere hundert Frauen waren zur Unterstützung in und vor dem Gerichtssaal versammelt.

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