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Weg vom Hindenburg-Image
Berlin und Brandenburg wollen in Sachen Wasserstoff eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch die Technologie ist nicht überall von Nutzen
Polen und Bulgarien hat Russland bereits den Gashahn zugedreht, Deutschland könnte es bald ebenso ergehen. Umso nervöser blicken sich Berlin und Brandenburg nach Alternativen um. Wasserstoff gilt dabei als eine der vielversprechendsten. »Uns ist klar, dass das Thema momentan große Konjunktur hat«, sagt Berlins Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD). Gemeinsam mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) hatte Schwarz Anfang dieser Woche eine Idee für die Region präsentiert, die in dieser Hinsicht etwas Druck aus dem Kessel nehmen soll: den digitalen Wasserstoffmarktplatz. Der soll es Interessierten in Zukunft erleichtern, geeignete Geschäftspartner zu finden. Die Plattform, heißt es bei der Vorstellung, erinnere an eine Mischung aus Partnerbörse und Ebay-Kleinanzeigen.
»Wir sind uns einig, dass wir mit dem Wasserstoffmarktplatz eine Pionierarbeit leisten«, sagt Wirtschaftssenator Schwarz. Er hoffe auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, aber auch zwischen den beiden Bundesländern: »Wir packen unsere Stärken gemeinsam in einen Topf.« Untersuchungen hätten in den vergangenen Jahren bereits gezeigt, dass Wasserstoff in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werde. Schwarz spricht von anspruchsvollen Forschungsprojekten, von Fernwärme und Wasserstoffspeichern, von neuen Konzepten für Züge und Pkw.
Schwarz’ Brandenburger Amtskollege erinnert sich hingegen an eine alte Umfrage, bei der Wasserstoff in erster Linie mit der Explosion des Luftschiffs »Hindenburg« in Verbindung gebracht wurde. »Wir laufen seit 20 Jahren auf einem Weg, auf dem wir Akzeptanz für diese Technologie schaffen müssen«, sagt Jörg Steinbach. »Das kommt nicht von allein.« Kleine Projekte könnten dazu beitragen, die abstrakte Idee »anfassbar zu machen«, eine verbesserte Lebensqualität zu vermitteln und so einen Wendepunkt herbeizuführen. Dies gilt, so Steinbach, nicht nur für Autos oder den Öffentlichen Personennahverkehr, sondern auch für das große Ziel, industrielle Prozesse zu dekarbonisieren.
Umwandlungsverluste als Manko
Den digitalen Wasserstoffmarktplatz mitentwickelt hat Kathrin Goldammer, Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts in Berlin, das zu nachhaltigen Energien forscht. Wasserstoff sei, so die Elektroingenieurin, per se kein Energieträger für die Energieversorgung. »Aber wir brauchen eine Alternative zu den fossilen Kohlenwasserstoffen, die wir im Moment in der Industrie, in der Wärmeerzeugung und im Verkehr verwenden.« Nur so könnten die deutschen Klimaziele erreicht werden.
Die Herstellung von Wasserstoff ist Goldammer zufolge vergleichsweise aufwendig. »Heute wird sogenannter grauer Wasserstoff aus Erdgas hergestellt, und zukünftig soll grüner Wasserstoff aus grünem Strom hergestellt werden«, sagt sie. »Dabei gibt es Umwandlungsverluste und generell braucht man dafür große Anlagen.« Das größte Potenzial für die Technologie sieht Goldammer insbesondere in der Stahlproduktion, der Herstellung von chemischen Produkten und Kunststoffen.
Als einer der Vorreiter in Sachen Wasserstoffnutzung gilt das Brandenburger Unternehmen Enertrag mit Sitz im uckermärkischen Schenkenberg. Bekannt ist der Konzern vor allem für die Umrüstung der Heidekrautbahn, die in Zukunft mit Wasserstoffantrieb vom Norden Berlins aus in die Landkreise Barnim und Oberhavel fahren soll. Die Zustellung der Förderbescheide vor gut einem Jahr übernahm der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) öffentlichkeitswirksam höchstselbst.
Das aber soll es noch lange nicht gewesen sein, sagt Enertrag-Sprecher Matthias Philippi zu »nd«: »In Prenzlau haben wir vor Kurzem eine Wasserstofftankstelle in Probebetrieb genommen. Den grünen Treibstoff produzieren wir selbst vor Ort.« Den Hauptabnehmer finde man derzeit im lokalen Busunternehmen. Weitere Firmen, auch jenseits des ÖPNV, sollen hinzukommen. »Abfallentsorgungsbetriebe, Speditionen, Unternehmen aus dem Schwerlastverkehr – das wäre alles denkbar«, sagt Philippi. Auch Privatfahrzeuge könnten hier perspektivisch betankt werden. In Zukunft könnten dem Sprecher zufolge noch weitere Wasserstofftankstellen in der Uckermark entstehen.
Krieg lässt Nachfrage steigen
Ebenfalls in Planung ist derzeit eine Pipeline für grünen Wasserstoff, gewonnen aus Windkraft und Photovoltaikanlagen, die durch den Nordosten der Bundesrepublik führen soll. »Ein Projekt entlang der Leitung ist zum Beispiel am Standort des Cemex-Zementwerks in Rüdersdorf bei Berlin«, sagt Philippi. Dort arbeite man gemeinsam an einer klimafreundlichen Zementproduktion und der Erzeugung von nachhaltigen Flugkraftstoffen. All das ebenfalls mit Hilfe von Wasserstoff.
Am neu eröffneten Wasserstoffmarktplatz wird sich auch Enertrag beteiligen. Sprecher Philippi sagt: »Wir haben bereits mehrere Projekte gelistet und hoffen, dass uns die Plattform mit potenziellen Abnehmern zusammenbringt.« Die frühzeitige Vernetzung könnte dafür sorgen, dass Angebot und Nachfrage in Brandenburg und Berlin besser aufeinander abgestimmt werden.
Der Krieg in der Ukraine sorge schon jetzt dafür, dass das Interesse bei der potenziellen Kundschaft spürbar zunehme, so Philippi. »Wir führen seit einigen Wochen spürbar mehr Gespräche.« Durch die aktuelle Unsicherheit in der Energieversorgung steige die Nachfrage deutlich.
Davon, dass es in Zukunft auch so bleiben wird, ist Philippi überzeugt: »Auf dem Weg in die Klimaneutralität müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Da führt kein Weg an Wasserstoff vorbei.« Die Verfügbarkeit von grüner Energie sei zudem ausschlaggebend, um Unternehmen in der Region zu halten, Neuansiedlungen zu ermöglichen: »Die Wasserstoffwirtschaft bringt riesige strukturpolitische Vorteile für ganz Ostdeutschland mit sich.«
Nachteile im Straßenkampf
Anders als es die Reden des Berliner Wirtschaftssenators und Brandenburger Wirtschaftsministers vermuten lassen, ist gerade der Nutzen der Technologie für den Verkehr umstritten. Im Kampf gegen die nachhaltige Konkurrenz zieht das Wundermittel Wasserstoff bisher meist den Kürzeren. »Unter den aktuellen technischen Gegebenheiten wird Wasserstoff nur eine kleine, untergeordnete Rolle für den privaten Pkw-Verkehr spielen«, sagt etwa Felix Reifschneider, verkehrs- und umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Hier seien die Weichen bereits eindeutig in Richtung E-Auto gestellt. »In ganz Deutschland stehen derzeit gerade einmal zwei Modelle für Wasserstoffautos zur Verfügung.«
Besonders interessant werde es für Berlin dann, wenn es um Wärmeerzeugung aus Wasserstoff gehe. »Es kann Zeiten geben, in denen extrem viel Energie aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, ohne dass man sie direkt verwertet«, sagt Reifschneider zu »nd«. Hierbei könne Wasserstoff als eine von mehreren Optionen für Zwischenspeicher dienen.
»Das Wichtigste ist jetzt, dass der Anschluss an die Wasserstoffinfrastruktur schnell umgesetzt wird«, sagt Reifschneider. Jüngst sei ein vielversprechendes Projekt in Marzahn-Hellersdorf nicht realisiert worden, weil es an genau jenen Voraussetzungen gefehlt habe. »Das ist bedauerlich.« Der Anschluss an das deutschlandweite Wasserstoffnetz, die Verbindung nach Brandenburg wie auch in die sächsische Oberlausitz müsse unbedingt hergestellt werden.
Wie Reifschneider zweifelt auch der Verkehrsexperte der Berliner Linksfraktion, Kristian Ronneburg, am Nutzen von Wasserstoffantrieben für Privatfahrzeuge. »Im normalen Verkehr ist die Direktnutzung von Strom viel effizienter als die Umwandlung in Wasserstoff und die Rückumwandlung im Auto«, sagt er »nd«. Wasserstoff ergebe vor allem dann Sinn, wenn sich die direkte Nutzung von Strom zu kompliziert gestalte – etwa wegen zu umfangreicher Batteriegrößen. Beispiele fänden sich im Transport mit schweren Nutzfahrzeugen oder bei Schiffen.
»Im ÖPNV finde ich, dass das bei großen Bussen und langen Umläufen auch Sinn machen könnte«, sagt Ronneburg. Der Senat und die BVG hätten sich vorerst allerdings gegen Wasserstoff und für Elektrobusse mit Endhaltestellenladung und Streckenladung ausgesprochen. »Entscheidend ist: Woher soll der Wasserstoff kommen?«, sagt Ronneburg. Wenn es nicht genügend Windräder und Solaranlagen gebe, laufe es eben doch wieder auf fossile Energien hinaus.
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