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Die USA sind zurück
Washington nimmt den Ukraine-Krieg zum Anlass, sich in Zentralasien neu aufzustellen
Ich bin hier, um ‚Danke‘ zu sagen«. Mit diesen Worten bedachte diese Woche US-Präsident Joe Biden die 300 Beschäftigten des US-Rüstungskonzerns Lockheed-Martin, die in der Fabrik in Troy, Alabama, die Anti-Panzer-Rakete Javelin herstellen. »Sie kommen schnell und verfehlen nicht ihr Ziel«, lobte Biden die Javelins. Der US-Präsident schickt sie in den Krieg in der Ukraine, den er den Lockheed-Beschäftigten als »einen fortwährenden Kampf in der Welt zwischen Demokratie und Autokratie« erklärte. Tage zuvor war die Führerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wlodymyr Selenskij zusammengetroffen. Die Unterstützung der Ukraine ist zum Prestigeprojekt der US-Demokraten geworden und verspricht ihnen eine führende Rolle in der Welt just im Vorfeld der US-Zwischenwahlen im November. Wahlen, die sonst wegen der stockenden innenpolitischen Agenda Bidens als hoch problematisch für seine Partei gelten. Die Zustimmungswerte der Demokraten lagen Mitte April auf einem Rekordtief, Inflation und Wirtschaft verstimmen die US-Amerikaner.
Vor den Zwischenwahlen
Der US-Präsident hatte vergangene Woche zusätzliche Militärhilfen über 33 Milliarden Dollar für die Ukraine beantragt – just an dem Tag, an dem seine Regierung die unerwartete Schrumpfung der US-Wirtschaft im ersten Quartal bekanntgeben musste. Sollte Biden seine Ukraine-Hilfe durchsetzen, überträfe die Summe bereits jetzt den Durchschnitt der jährlichen Kosten des Afghanistan-Krieges. 33 Milliarden Dollar, das sind die Hälfte des russischen Verteidigungsbudgets und auch die Hälfte des Budgets des US-Außenministeriums. Ein Feuerwerk, das bis zu den Novemberwahlen wirken könnte. Schließlich geht es für die Regierung Biden darum, den Erzrivalen Russland auf lange Sicht zu schwächen.
Die Demokraten werben für sich mit einem harten Kurs gegen Russland. Folglich sind es führende Republikaner, die immer öfter als Skeptiker von Bidens Ukraine-Politik auftreten. So behauptete Senator Mitch McConnell, der Umfang an Hilfe für die Ukraine gefährde die Verteidigungsbereitschaft der USA. Der republikanische Senator Roy Blount aus Missouri fragte Verteidigungsminister Lloyd Austin, wie die Anti-Panzer-Raketen aus Troy zu ersetzen wären – die US-Bestände seien seit Anfang des Krieges um ein Drittel reduziert worden.
Biden wollte stets das Tradierte und Gute in den USA zurückbringen. Der Wunsch prägte seine Rhetorik: »America is back«, »Build Back Better«. Jetzt ist der Westen selbst zurückgekehrt, mit den USA an der Spitze. Das Land der unerbittlichen Zukunft ist auch ein Land der unerbittlichen Nostalgie, was sich in der Kultur widerspiegelt: »Well now, everything dies baby, that’s a fact«, singt Bruce Springsteen in seinem Lied »Atlantic City«, wo in den Spielcasinos dem verlorenen Glück nachgejagt wird. »But maybe everything that dies, someday comes back.«
Zurückgekehrt ist nicht nur die US-Führungsrolle, sondern auch das Engagement der USA in Eurasien beziehungsweise Zentralasien, einer Region in direkter Nachbarschaft nicht nur Russlands, sondern auch Chinas. Es ist nicht mal ein Jahr her, seit Biden den Rückzug aus Afghanistan ankündigte, scheinbar die Region den Russen und den Chinesen überlassend. Aber nun wirkt Russlands Herausforderung in der Ukraine als neue Chance für die Amerikaner. Vor allem ist es eine Chance, um China zu zeigen, was man besser sein lässt. Bereits zwei Mal hat Biden erklärt, die USA fühlten sich Taiwan durch den Taiwan Relations Act verpflichtet.
Die USA haben hier einiges aufzuholen. Vor rund 20 Jahren hatte ihr Einfluss in der zentralasiatischen Region seinen Höhepunkt erreicht. 2003 verkündete Verteidigungsminister Donald Rumsfeld »Afghanistan ist nun freiheitlich und sicher.« Es gab US-Militärbasen in Zentralasien und weder die Russen noch die Chinesen sahen darin Probleme. Heute jedoch stellen führende US-Analysten wie Carter Malkasian fest, die Führung in Washington habe die Taliban unterschätzt, sie sei stets von gewünschten Entwicklungen ausgegangen und habe Unerwünschtes oft ausgeblendet.
Derzeit ist es auffällig, wie viele politische Fachartikel Kasachstan gewidmet sind, Moskaus Partner in der Eurasischen Wirtschaftsunion und im Verteidigungsbündnis ODKB. Zeitungsleser erfahren, dass die Ukraine zwar so groß ist wie Texas, Kasachstan aber so groß wie Texas und Alaska zusammen, bei weniger als der Hälfte der ukrainischen Bevölkerung; und dass Kasachstan mit 6760 Kilometern die längste Landgrenze der Welt hat, und zwar mit Russland.
Kaum hatte sich Verteidigungsminister Lloyd Austin über den amerikanischen Willen zur dauerhaften Schwächung Russlands geäußert, antwortete der Doyen der US-Außenpolitik, Walter Russell Mead, mit einem Kasachstan-Artikel in seiner einflussreichen Kolumne im Wall Street Journal: Wenn Amerika Russland schwächen wolle, dann seien die Bedingungen in Kasachstan dafür optimal.
Dort sind die USA, neben den Niederlanden und der Schweiz, führender Investor. Es komme hinzu, dass man in ganz Zentralasien wegen der russischen Invasion höchst nervös sei. Kasachstan produziert die Hälfte der Wirtschaftsleistung der Region und leidet enorm unter den US-Sanktionen gegen Russland. Letzte Woche reiste eine hohe Delegation Kasachstans nach Washington, geleitet von Timur Suleimenow, dem Stellvertreter des Präsidenten. In der Zeitschrift »Foreign Policy« wird rege debattiert, ob die jüngsten Unruhen im Januar in Kasachstan tatsächlich schon so etwas wie die sogenannten Farben-Revolutionen in der Ukraine, Georgien oder Kirgistan darstellten, oder nur die Anfänge einer starken Zivilgesellschaft, die das Potenzial zu einer solchen Revolution in sich tragen.
Zwischen Russland und China
Tatsächlich wachsen die Spannungen zwischen Moskau und der Regierung in Almaty, wo die Feierlichkeiten zum 9. Mai wegen des Ukraine-Krieges storniert wurden – nur Monate, nachdem Putin die Regentschaft von Präsident Kassym-Jomart Tokajew durch eine Militärintervention gesichert hatte. Es scheint, dass die Autokraten dieser Region versuchen, Russland, China und die USA gegeneinander ausspielen. Hatte nicht Chinas Präsident Xi Jinping sein Seidenstraßen-Projekt 2013 an der Nasarbajew-Universität im kasachischen Nur-Sultan verkündet?
Nicht mal ein Jahr nach dem Abzug aus Afghanistan sind Amerikas Außenpolitiker wieder dabei, neue Szenarien für Zentralasien zu entwickeln. Zwar bleibt die Region für die US-Strategen ein fremdes Terrain, auf dem sie kaum kulturelle, politische und militärische Verbindungen haben. Doch setzen sie darauf, dass Kasachstan nicht gemeinsam mit Russland isoliert werden will. »Wenn es wieder einen Eisernen Vorhang gibt, dann wollen wir nicht dahinter sein«, hatte Vize-Außenminister Roman Vassilenko erklärt. Die ostukrainischen Republiken Donezk und Luhansk hat die Regierung nicht anerkannt. Zudem wirbt sie mit ihren Erdgas und Öl-Vorkommen um Investoren – allerdings in alle Richtungen. Für den Herbst hat sie Chinas Präsident Xi Jinping nach Almaty eingeladen.
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