Russlands Interessen im Heiligen Land

Antijüdische Äußerungen des russischen Außenminister Lawrow verärgern Israel

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

In Israel hatte man sich und die Welt gerade zum Jom HaSchoah an den Holocaust erinnert, die Erinnerungen der Überlebenden gehört, als in den Medien eine Nachricht Schlagzeilen machte, die selbst sonst stets besonnen und nüchtern wirkende Politiker wie Staatspräsident Jitzhak Herzog zu deutlichen Worten veranlasste: »Ich konnte es nicht glauben. Ich war wütend und mir wurde schlecht«, sagte er in einem Interview mit der Zeitung Haaretz. Auch Hitler habe jüdisches Blut gehabt, hatte Russlands Außenminister Sergei Lawrow in einem Gespräch mit dem italienischen Fernsehsender Rete4 versucht zu erklären, warum in der Ukraine seiner Ansicht nach Nazis herrschen, obwohl das Land von einem Präsidenten mit jüdischen Wurzeln regiert wird und angefügt: »Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind

Außenminister Jair Lapid bestellte den russischen Botschafter zu einem »klärenden Gespräch« ein; eine Wortwahl, die darauf hindeutet, dass man eine Deeskalation anstrebte. Doch das geschah nicht: Stattdessen legte das Außenministerium nach, behauptete, auch Jüd*innen seien am Holocaust beteiligt gewesen und überdies kämpften auch »israelische Söldner« mit dem ukrainischen Asow-Regiment. In einer Telegram-Gruppe namens Rybar kursierte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Liste mit den Namen und Passnummern von Israelis, zusammen mit der Behauptung, sie seien zum Kampf gegen die russischen Truppen in die Ukraine gereist. Tatsächlich handelt es sich dabei um Mitarbeiter*innen des Außenministeriums, die an einem Grenzübergang nach Polen die Ausreise von Botschaftsmitarbeiter*innen koordinierten.

Inzwischen hat sich der russische Präsident Wladimir Putin beim israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett entschuldigt für die Äußerungen seines Außenministers Sergej Lawrow. Bennet habe die Entschuldigung angenommen, hieß es am Donnerstag in einer Erklärung seines Büros, und Putin »für die Klarstellung seiner Haltung gegenüber dem jüdischen Volk und der Erinnerung an den Holocaust gedankt«.

Ein Zerwürfnis zwischen den beiden Regierungen konnte somit wohl gerade noch abgewendet werden. Doch Differenzen bleiben, gerade nach einem so außergewöhnlichen diplomatischen Zwischenfall, denn gekriselt hat es schon lange. Zwar hatte sich das Kabinett von Regierungschef Naftali Bennett seit Kriegsbeginn eher neutral positioniert, Waffenlieferungen an die Ukraine eine Absage erteilt und sich an den internationalen Sanktionen gegen Russland nicht beteiligt. Doch bei den Vereinten Nationen stimmte man gegen Russland und für dessen Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat.

In den israelischen Medien wird nun darüber gerätselt, ob es sich dabei um Vergeltung dafür gehandelt hat, oder ob mehr dahinter steckt: eine Suche nach neuen Verbündeten, bei denen die drastischen Worte auf offene Ohren stoßen dürften. Auf letzteres deutet hin, dass Russland zum einen die Neuauflage des Atom-Abkommens mit dem Iran blockiert, zum anderen aber die Kontakte mit der iranischen Führung intensiviert hat. Zudem traf am Dienstagabend eine Delegation der Hamas unter Führung des stellvertretenden Vorsitzenden Musa Mohammad Abu Marzuk in Moskau ein. Es handele sich dabei um eine »Routine-Konsultation«, teilte das russische Außenministerium mit, doch tatsächlich ist es ausgesprochen unüblich, dass Vertreter der Organisation, die der auch von Russland anerkannten palästinensischen Regierung den Führungsanspruch streitig macht, offiziell von der Regierung in Moskau empfangen werden. Auf der Tagesordnung stehe, so das russische Außenministerium, die Lage rund um die Al-Aksa-Moschee.

Dort, in der Jerusalemer Altstadt, versucht auch Russland Präsenz zu erlangen. Moskau fordert die Kontrolle über die direkt neben der Grabeskirche liegende Alexander-Newski-Kirche, die im 19. Jahrhundert von der damals dem Zarenhof und heute dem Kreml nahestehenden Kaiserlich Orthodoxen Palästina-Gesellschaft gebaut wurde, um sich im vom Osmanischen Reich kontrollierten Heiligen Land Einfluss zu sichern. Präsident Wladimir Putin persönlich forderte im April in einem Brief an Bennett die sofortige Übergabe – der weigert sich allerdings: Denn zum einen beansprucht auch eine andere, vom Kreml unabhängige, russisch-orthodoxe Organisation die Eigentumsrechte. Vor allem aber befürchtet man, dass mitten im Ukraine-Krieg die russische Fahne über der Jerusalemer Altstadt wehen könnte, direkt neben der Grabeskirche.

Noch hofft man in der israelischen Regierung, dass wenigstens die eine Übereinkunft überlebt, die der ursprüngliche Hauptgrund für die eigene Zurückhaltung war: Bislang sprach sich die Militärführung mit den russischen Truppen in Syrien ab, bevor die Luftwaffe dort Einsätze flog. Ein geplantes Telefonat mit Verteidigungsminister Benny Gantz sagte dessen russischer Amtskollege Sergei Schoigu bereits ab.

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