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Der DGB wird diverser
Yasmin Fahimi mit 93,2 Prozent zur neuen Vorsitzenden gewählt
Eigentlich war es nur noch eine Formsache. Denn eine*n Gegenkandidat*in hatte Yasmin Fahimi nicht. Deswegen war es umso wichtiger, dass sie mit einem möglichst guten Ergebnis gewählt wurde. Das bekam die 54-Jährige am Montag auf dem 22. Ordentlichen Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Mit 93,2 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde Fahimi zur neuen DGB-Vorsitzenden und ersten Frau an der Spitze des Gewerkschaftsbundes gewählt.
Neben Fahimis Wahl zur Nachfolgerin von Reiner Hoffmann wurden die übrigen Mitglieder im DGB-Vorstand bestätigt. Elke Hannack erhielt als stellvertretende Vorsitzende 97,7 Prozent, Vorstandsmitglied Stefan Körzell 97,1 und Anja Piel 96,3 Prozent. Damit besteht der DGB-Vorstand nun aus drei Frauen und einem Mann. Eine Frauen-Quote von 75 Prozent sozusagen.
Mit Fahimi steht erstmals nicht nur eine Frau an der Spitze des DGB, sondern auch eine Person mit Migrationshintergrund – Fahimis Vater, der noch vor ihrer Geburt bei einem Autounfall starb, stammte aus dem Iran. Mit ihrer Wahl ist deswegen auch die Hoffnung verbunden, dass sie den DGB weiblicher, diverser und weltoffener macht. Dass sie dafür einstehen will, machte sie in ihrer Grundsatzrede nach ihrer Wahl deutlich: »Wir leben eine Kultur der Vielfalt.« Man begegne sich beim DGB auf Augenhöhe, in Respekt und ohne abwertende Klassifizierung in unterschiedliche Gruppen. »Wir sagen: Mach meinen Kumpel nicht an und – und Hände weg von unseren Kolleginnen!«, so Fahimi.
Sie übernimmt die Leitung des Gewerkschaftsbundes in einer Zeit, in der die Arbeitswelt aufgrund der Digitalisierung und Energiewende massiv im Wandel ist. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt diesen Prozess noch, da Deutschland sich deswegen unabhängig von fossilen Energielieferungen aus Russland machen will. Dies trifft vor allem die Industrie und damit auch die Industriegewerkschaften – insbesondere Fahimis eigene Gewerkschaft, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Fahimi begann dort ihre Karriere; ihr Lebensgefährte ist der IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis.
»Wir stehen hinter dem Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Die Zeit ist vorbei, in der man sich angeblich für Klimaschutz oder für Arbeitsplatzsicherung entscheiden musste«, stellte sich Fahimi hinter den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Gleichzeitig machte sie aber auch deutlich, dass sie als DGB-Vorsitzende ein Mitspracherecht haben will: »Die Transformation gelingt mit uns. Oder sie gelingt gar nicht.« Und: »Wir werden dafür sorgen, dass es auch in der Transformation gerecht zugeht und der soziale Frieden gesichert bleibt.«
In diesem Rahmen fordern die Gewerkschaften eine Reform des Mitbestimmungsrechtes. Während der Koalitionsverhandlungen im Oktober vergangenen Jahres ging die IG Metall unter dem Motto »Fairwandel« auf die Straßen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Unlängst veröffentlichte der DGB ein Konzept zur grundlegenden Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, der rechtlichen Basis der Mitbestimmung. »Unternehmen sind keine konstitutionelle Monarchie. Erst die Mitbestimmung macht sie zum Teil der Demokratie«, erneuerte Fahimi diese Forderung und sprach sich für eine »echte Mitbestimmung bei Entscheidungen von strategischer Qualität im Unternehmen« aus.
In diesem Rahmen ist den Gewerkschaften insbesondere das doppelte Stimmrecht von Aufsichtsratsvorsitzenden in großen Unternehmen ein Dorn im Auge. Denn die einfachen Mitglieder der Kontrollgremien werden zwar paritätisch von der Angestellten- und der Kapitalseite bestimmt. Da der oder die Vorsitzende aber normalerweise von der Kapitalseite bestimmt wird, hat sie letztlich auch das Sagen im Unternehmen. Deswegen fordern die Gewerkschaften die Abschaffung des doppelten Stimmrechts und eine »echte Parität in allen Aufsichtsräten ab 1000 Beschäftigten«, wie es die neue DGB-Vorsitzende formulierte.
Problematisch in Sachen Mitbestimmung ist auch, dass mit der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft – kurz SE für Societas Europaea – den Konzernen eine Möglichkeit geschaffen wurde, sich bei der innerbetrieblichen Demokratie einen schlanken Fuß zu machen. »Die Flucht vor der Mitbestimmung in europäische Aktiengesellschaften muss gestoppt werden! Das werden wir in Brüssel und in Berlin mit aller Vehemenz einfordern«, versprach denn auch Fahimi.
In der linken Gewerkschaftszene bezweifelt man allerdings, dass sie notfalls in Konfrontation zur Bundesregierung geht. Denn die neue DGB-Vorsitzende hat nicht nur ein SPD-Parteibuch, sie war auch Spitzenpolitikerin bei den Sozialdemokraten. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie Anfang 2014 zur SPD-Generalsekretärin gewählt wurde, später wechselte sie als Staatssekretärin unter Andrea Nahles (SPD) ins Bundesarbeitsministerium. Zuletzt war Fahimi für die SPD im Bundestag.
Er finde es gut, dass eine Frau mit erkennbarem Migrationshintergrund zur neuen DGB-Chefin gewählt wurde, erzählt denn auch ein linker Verdi-Gewerkschafter. Entscheidend sei aber die politische Ausrichtung des DGB. Und insofern sei die Wahl Fahimis ein »völlig falsches Signal«. »Es wäre besser gewesen, wenn eine Person gefunden wäre, die nicht aus dem Dunstkreis der Sozialdemokraten kommt und die für kämpferische Gewerkschaften steht«, so der Gewerkschafter, der lieber anonym bleiben möchte.
Er organisiere vor allem Beschäftigte im Niedriglohnsektor, erzählt der linke Gewerkschafter weiter, die derzeit wegen der hohen Inflation verzweifelten, und erinnert daran, dass es die SPD unter Gerhard Schröder war, die einst mit der Anfang 2003 verkündeten Agenda 2010 die Ausweitung des Niedriglohnsektors beförderte. Und rund zwei Jahrzehnte später ist mit Olaf Scholz wieder ein Sozialdemokrat Kanzler.
Insofern bleibt abzuwarten, wie sehr sich Fahimi letztlich für mehr Umverteilung und soziale Gerechtigkeit einsetzt. »Soziale Gerechtigkeit heißt, soziale Rechte zu stärken«, sagte sie immerhin in ihrer Grundsatzrede. Das heiße, sich mindestens eine existenzsichernde Lebensgrundlage schaffen zu können – und dabei, wenn nötig, Unterstützung zu bekommen. Insofern sprach sie sich unter anderem auch für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer und für eine Sondervermögensabgabe aus, etwa in Form eines mehrjährigen Lastenausgleichs. Leistungsfreie Erlöse aus Vermögen, Immobilien und Spekulationen müssten für das Gemeinwohl stärker herangezogen werden.
Allerdings dürfte das mit der FDP in der Bundesregierung schwer umzusetzen sein. In ihre Richtung ging auch eine Spitze Fahimis: Trotz des Investitionsstaus der letzten 20 Jahre predige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) immer noch seine zwei Gebote der Haushaltspolitik: Schuldenbremse und schwarze Null. »Die sogenannte Schuldenbremse ist längst aus der Zeit gefallen. Sie ist nichts anderes als eine ideologische Bremse gegen einen aktiven Staat und gegen eine soziale Politik«, kritisierte Fahimi.
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