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SGLADSCHDGLEI!
Besuch beim Derby der zwei einzig möglichen Leipziger Vereine
Bereits auf die samstägliche Fahrt nach Leipzig warf das Derby der zwei einzig möglichen Leipziger Vereine seinen Schatten. Unzählige sympathische junge Menschen bevölkerten den Zug. Gewandet in Grün-Weiß, erweckten sie den Eindruck fleißiger Lehramtsanwärter, die offensichtlich in Berlin ihre Studien betrieben. Ja, es war eine Lust, der künftigen Bildungselite sächsischer Lehrerschaften ins leicht angehipsterte Antlitz zu schauen.
Die vorfreudige Jugend mischte sich auf dem Weg ins Stadion später mit soliden Bierpöblern und Schreihälsen. Chemie gegen Lok – dieses Fußballspiel elektrisiert die Massen und holt den letzten Sachsen aus seinem Einmannbunker. Manch Polizistenherz glühte in vergnüglicher Anspannung, vorm Stadion posierten manierlich uniformierte Reiterinnen. Ein Derby muss das Treiben verrückt machen, keine Frage.
Während die 500 glücklichen blau-gelben Auswärtsticketbesitzer via Fanmarsch ins Stadion spazierten, fuhr ich mit meinem Gastvati Ecki via Rad zum Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark. Feingeist Ecki ist Chemiker und Tribünensitzer. Seine Gewandung ist dezent, sein Benehmen wohlerzogen; er tränke vermutlich am liebsten einen guten Weißwein im Stadion.
Auf dem Norddamm und dem Dammsitz drängten sich die Chemiefans. Im Gästeblock brodelten die Lokisten. In diversen Ecken des Stadions putzten die Polizisten ihre Schlagstöcke. Chemie wie gewohnt sangesfreudig: »He BSG, du hast unserem Leben einen Sinn gegeben«, tönte es tausendstimmig durch das herrlich runtergerockte Rund. Auf der Holztribüne hatte ich es mir mit Ecki bequem gemacht, um ungestört von lästigen Sonnenstrahlen, einen feinen Rundumblick aufs Schlachtfeld zu genießen.
Die Ultras vom Norddamm zeigten eine schöne Pest-Choreo und feuerten ein Repertoire an bunten Beleidigungssongs in Richtung der Blau-Gelben. Die Lokisten gesanglich auch überraschend stabil. Lag es an der angestauten Wut auf die bösen Chemiker, die ihnen den pissrinnesken Weg unter der S‑Bahn zugemauert hatten? Lok lieferte vorzügliche Schmähungen des Gegners. Die Folklore kannte keine Grenzen, gegebenenfalls galt es, Traditionen zu wahren! So schrie es wild: Chemieschwein, Clubschwein, Bullenschwein, Nazischwein, Zeckenschwein. Was für eine schweinische Sauerei – ich bekam Mitleid mit dem deutschesten aller Tiere.
Auch die Polizei durfte kurz vor der Halbzeit zulangen, als vorwitzige Chemiker einen Leipziger Spieler mit Bierbechern eindeckten. Die Beamtenschar wurde von den freiheitsliebenden Chemiefans naturgemäß als pure Aggression gedeutet. Die Menge wogte und empörte sich salopp. So richtig zur Sache ging es zehn Minuten nach dem Anpfiff der zweiten Halbzeit, als Lokfans das den Block umhüllende Banner »Bekämpft den Feind« hissten. Die Polizei behelmte sich und schüttete Adrenalin aus. Die Lokis zündeten Pyro, verbrannten ein paar grün-weiße Lappen und schossen dreimal Leuchtspur Richtung Chemie. SGLADSCHDGLEI, freuten sich alte Herren auf der Tribüne und spuckten in die Hände. Der MDR empörte sich professionell, drei Chemiker wollten den Platz stürmen, die Polizei rückte ein, der Schiri schickte die Spieler in die Kabinen, die Polizei rückte wieder aus. Fünfzehn Minuten später ging es weiter. Freunden der Statistik sei gesagt: Chemie gewann mit etwas Glück 2:1 gegen Lok vor 4999 Zuschauern, was im AKS ausverkauft bedeutet.
Mit mannhaft gefasster Verzweiflung stapften die Blau-Gelben aus dem Stadion. Bis vor wenigen Spieltagen war Lok noch ein Meisterschaftsaspirant, ließ aber in den letzten Spielen zu viele Bigpoints liegen. Während Chemiker und befreundete Frankfurter ums grün-weiße Kalb tanzten, radelten Ecki und icke zu unserem zweiten Champagnerfrühstück durch Sachsen, wo bekanntlich die schönen Menschen auf den Bäumen wachsen.
Alle Kolumnentexte: dasnd.de/ballhaus
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