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»Manipulationen und Stimmenkauf«
Gewerkschafter Francisco Maltés Tello über die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Kolumbien
Am 29. Mai finden in Kolumbien Präsidentschaftswahlen statt. Einen Vorgeschmack lieferten die Parlamentswahlen vom 13. März. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Es ist eine Zäsur. Nie zuvor hat die Opposition, also alle progressiven Kräfte gemeinsam, mehr als 100 der 188 Sitze des Repräsentantenhauses besetzen können. Das hat Signalcharakter, auch wenn ich enttäuscht davon bin, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Urnen ferngeblieben ist.
Francisco Maltés Tello ist Generalsekretär der Dachgewerkschaft CUT (Central Unitaria de Trabajadores de Colombia) in Kolumbien. Seit Februar 2021 steht der 62-Jährige dem größten von drei Gewerkschaftsdachverbänden Kolumbiens vor, der eine zentrale Rolle bei der Organisation des Paro Nacional vom Frühjahr 2021 gegen die Steuerreform der Regierung von Iván Duque spielte. Für das »nd« sprach mit ihm Knut Henkel.
Für die Präsidentschaftswahlen liegt der linke Kandidat Gustavo Petro in den Umfragen weit vorne. Befürchten Sie Wahlfälschungen?
Ja und noch einmal ja. Ich befürchte Wahlmanipulationen und Stimmenkauf. Bei den Parlamentswahlen gab es dafür mehr als genug Indizien. Einige Ergebnisse wurden korrigiert, aber wir befinden uns in einem von Korruption geprägten Land und vieles ist denkbar. Auch bei den Präsidentschaftswahlen.
Hinzu kommt die Kampagne des rechten Lagers …
Richtig, es vergeht kein Tag ohne Fälle von Stigmatisierung, Diffamierung, Bedrohung und Verfolgung von Andersdenkenden, bei denen die Staatsanwaltschaft nicht einschreitet. Angesichts dieser Verhältnisse ist das Wahlergebnis vom 13. März noch bemerkenswerter.
Der Paro Nacional, der landesweite Streik vor einem Jahr, hielt ganz Kolumbien in Atem. Er wurde von den Gewerkschaften mitorganisiert. Was hat er bewirkt, für wie viel Zulauf hat er gesorgt?
Der Paro Nacional von April bis Juni 2021 war der größte und längste Streik, den das Land in seiner Geschichte erlebt hat. Wir haben eine Steuerreform zugunsten der Besserverdienenden abgewendet. Der Aufruf zum Streik wurde in der Dachgewerkschaft CUT geboren. Der Streik hat dazu beigetragen, dass wir jetzt fast eine Million Mitglieder haben – gegenüber 600 000 noch vor drei Jahren. Wir sind im staatlichen Sektor gut verankert, aber im privaten Sektor gibt es viele Hürden und Probleme – das ist Teil der schwierigen Realität dieses Landes. Vor allem im Industriesektor fehlt es uns an Mitgliedern.
Die CUT hat vor rund zehn Jahren entschieden, sich nicht mehr in Einzelgewerkschaften, sondern in 18 Branchengewerkschaften zu organisieren. Wie kommt der Prozess voran?
Nicht überall wie gewünscht. In einigen Sektoren gibt es eine Fragmentierung, was auch mit der gewerkschaftsfeindlichen Haltung etlicher Unternehmen zu tun hat. Wir haben in den letzten Monaten etwa 15 kleine Gewerkschaften fusioniert. Dieser Prozess wird weitergeführt, die Neuausrichtung ist alternativlos. Wie das Beispiel der Gewerkschaft der Agrarindustrie, Sintrainagro, zeigt, wo 95 Prozent der Beschäftigten organisiert sind, bietet er eine Perspektive. Auch im öffentlichen Dienst haben wir Fortschritte gemacht – trotz der aktuellen Regierung.
Mit konkreten Vereinbarungen?
Ja, und wir hoffen, dass die Abkommen eingehalten werden. Das ist in Kolumbien leider keine Selbstverständlichkeit. 2019 haben wir Fortschritte bei der Formalisierung von Arbeitsverhältnissen durch den Staat gemacht, der rund 1,4 Millionen Menschen angestellt hat – aber eben nicht zu regulären Bedingungen, sondern über Arbeitsagenturen, Subunternehmen und so fort.
Das wollen wir ändern und dadurch hoffen wir, auch die Zahl unserer Mitglieder zu steigern. Ein Beispiel: In den nächsten Wochen werden 1600 Arbeitsplätze in der staatlichen Sozialbehörde formalisiert. Das betrifft die Verwaltung. Weitere 6000 Arbeiter für die Einrichtung erhielten ebenfalls direkte Arbeitsverträge. Sie waren vorher über einen Dienstleister, ein Subunternehmen, angestellt. Auch aus dem Telekommunikationsministerium gibt es Positives zu berichten – wir kommen voran. Schwieriger als auf nationaler Ebene ist es jedoch auf regionaler.
Woran liegt das?
Weil die Bürgermeister und die Regionalregierungen sich nicht an getroffene Vereinbarungen halten und sparen, wo sie können.
Wie ist Ihre Bilanz nach fast vier Jahren der Regierung Iván Duque?
Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Duque ist ein Desaster für das Land und dazu reicht ein Blick auf die Armutsquote. Seit 2019 wuchs die Zahl der Armen, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen mussten, um 3,6 Millionen Menschen. 15 Prozent der Bevölkerung, das heißt mehr als sieben Millionen Menschen, leben nun in extremer Armut. Parallel dazu ist die Konzentration des Eigentums weiter vorangeschritten.
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