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Das Himmelbeet auf Erden
Urbane Gärten leisten viel für Berlin, zeigt ein wissenschaftliches Projekt. Doch häufig werden sie verdrängt
Noch erinnert das kleine Stück Wiese zwischen Garten- und Grenzstraße, in der Nähe des Volksparks Humboldthain in Gesundbrunnen, eher an eine Baustelle als an einen Garten. Palettenstapel, Holzkisten, Planen, einzelne Blumentöpfe und ein paar Pflänzchen sind rund um einen großen Erdhügel verteilt und von einem Bauzaun umgeben. Etwas entfernt davon ist schon ein Holzhäuschen aufgebaut, das Café des Gemeinschaftsgartens Himmelbeet.
Zum Jahreswechsel ist der Garten mit all seinem Material inklusive der Erde von seinem alten Standort in der Ruheplatzstraße in Wedding hierher umgezogen; in den kommenden Wochen soll mit dem Aufbau begonnen werden. »Seit 2017 waren wir auf der Suche nach einer Ersatzfläche. Das war mit sehr intensiven Diskussionen verbunden«, sagt Marion De Simone, die seit fünf Jahren beim Himmelbeet arbeitet, zu »nd«. Im Frühjahr 2016 meldete die soziale Einrichtung Amandla beim Bezirksamt Mitte Interesse an, ein Fußball-Bildungszentrum für Kinder und Jugendliche aufzubauen – auf der Fläche, auf der sich eigentlich seit drei Jahren das Himmelbeet befand. Ursprünglich vorgesehen war das Gelände für einen Sportplatz, und das Himmelbeet konnte sich nur deswegen dort ansiedeln, weil die Fläche zuvor brach gelegen hatte. Das Problem: »Gemeinschafsgärten sind keine Kategorie, die in Flächennutzungsplänen vorkommt, sie zählen auch nicht als Grünfläche«, erklärt De Simone.
Viele urbane Gemeinschaftsgärten müssen sich daher von einem befristeten Nutzungsvertrag zum nächsten hangeln. »In sich immer weiter verdichtenden Städten ist der Raum oft knapp. Viele Gärten befinden sich auf perspektivischem Bauland und müssen irgendwann weichen«, sagt Lea Kliem zu »nd«. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin und Co-Autorin einer Studie im Rahmen des Projekts »Garten-Leistungen«, das den Wert öffentlich zugänglicher Grünflächen für eine nachhaltige Stadtentwicklung anhand verschiedener Klein- und Gemeinschaftsgärten sowie Mietäcker in Berlin und Stuttgart untersucht hat, darunter auch das Himmelbeet. In der Hauptstadt gibt es insgesamt rund 200 Gemeinschaftsgärten und mehr als 1000 Kleingartenanlagen mit einer Gesamtfläche von knapp 3000 Hektar, mehr als in allen anderen deutschen Großstädten. Doch viele von ihnen sind von Verdrängung bedroht, aktuell zum Beispiel die Gärten Prachttomate und Peace of Land. Ein anderer, der Prinzessinnengarten, ist bereits umgezogen.
»Wir wollten mit unserer Studie aufzeigen, welchen unglaublich großen Mehrwert urbane Gärten für die Stadtgesellschaft haben. Sie sind Multitalente«, sagt Kliem. Einerseits haben sie einen ökologischen Nutzen, da sie Regenwasser auffangen, die Stadt abkühlen, CO2 speichern, Biodiversität fördern und Nahrungsmittel produzieren. Andererseits sind mit urbanen Gärten soziale und kulturelle Werte wie Erholung, Gemeinschaft, Ehrenamt und Umweltbildung verbunden. »Es ist ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, den alle mitgestalten können«, sagt Marion De Simone über das Himmelbeet. Ihre Kollegin Pauline Schlautmann findet »die Multicodierung der Fläche am spannendsten«, also eine Mehrfachnutzung. Das Himmelbeet sei mehr als ein Garten. Unter anderem gebe es auch eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt und einen Lehmbackofen, an dem regelmäßig Backkurse angeboten wurden.
Um die Flächensicherung für urbane Gärten zu stärken, schlägt Lea Kliem vom IÖW unter anderem vor, deren Multifunktionalität weiter zu fördern und sie zum Beispiel mit Sportstätten zu kombinieren. Das wollte auch das rund 15-köpfige Team der gemeinnützigen GmbH des Himmelbeets versuchen und erarbeitete Konzepte, nach denen der Garten auf dem Dach oder am Rand der geplanten Sporthalle hätte weiter existieren können. Die Kommunikation mit dem Bezirksamt sei jedoch schwierig gewesen, unter anderem wegen fehlender Ansprechpartner*innen, sagt Marion De Simone.
Laut dem Bezirksamt Mitte musste die Unterbringung auf dem Dach als »logistisch und finanziell nicht vertretbar verworfen werden. Für beide Projekte war am Standort nicht genug Platz«, sagt Christian Zielke, Sprecher des Bezirksamts, auf nd-Anfrage. Laut ihm habe das Himmelbeet einen bezirklichen Ansprechpartner gehabt. Eine offizielle Anlaufstelle für Gemeinschaftsgärten an sich gebe es im Bezirksamt Mitte aber nicht, sondern nur für das Gärtnern auf nicht öffentlichen Flächen. Dass das Himmelbeet Bestand haben muss, sei jedoch immer »erklärtes Ziel« gewesen, so Zielke. »Allein die Identifizierung alternativer Flächen hat Zeit in Anspruch genommen.« Bis Ende vergangenen Jahres konnte die Zwischennutzung des alten Geländes immer wieder verlängert werden, bis das Bezirksamt den jetzigen, eineinhalb Kilometer entfernten Standort als neue Fläche anbot.
Fehlende Zuständigkeiten in der Verwaltung nennt auch Lea Kliem eines der Hauptprobleme urbaner Gärten. Die Berliner Senatsumweltverwaltung sei in dieser Hinsicht jedoch bereits aktiv geworden, indem sie eine Stelle für Produktives Stadtgrün und Gemeinschaftsgärtnern geschaffen und ein Gemeinschaftsgarten-Programm ins Leben gerufen hat. Hierbei werden in einem Partizipationsprozess gemeinsam mit den urbanen Gärtner*innen Förderungen erarbeitet und potenzielle Flächen für neue urbane Gärten erschlossen. Das sei aber vor allem deswegen passiert, »weil es in Berlin so viele Gärten gibt, die Druck machen«, sagt Pauline Schlautmann vom Himmelbeet. »Das ging von der Zivilgesellschaft aus«, ergänzt Marion De Simone.
Die mehr als vier Jahre Unsicherheit seien für das Himmelbeet eine große Herausforderung gewesen, »weil wir nichts planen konnten und viel Zeit mit der Flächensuche verbracht haben«, so De Simone. Das neue Gelände sei mit 1400 Quadratmetern zwar viel kleiner als das alte in Wedding und eigentlich wegen der zahlreichen Bäume ein wenig zu schattig für den Gemüseanbau. »Aber wir haben unsere Ansprüche runtergeschraubt. Es ist wichtiger, überhaupt eine Fläche zu haben, als die perfekte Fläche«, sagt sie.
Dem Projekt sei nicht die notwendige Priorität eingeräumt worden, kritisiert die Wissenschaftlerin Lea Kliem: »Gärten müssen als ein Baustein für eine sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Stadtentwicklung anerkannt werden.« Sie gehören zu den wenigen urbanen Orten, an denen Obst und Gemüse angebaut wird, das deutlich klimafreundlicher ist als solches mit langen Lieferketten, bei dessen Transport oft viele Emissionen entstehen. Derzeit decken urbane Gärten laut dem Projekt »Garten-Leistungen« zwar nur 1,36 Prozent des Gemüse- und Kartoffelbedarfs der Berliner Bevölkerung. Mindestens genauso wichtig sei jedoch, dass der Bezug zum eigenen Anbau die Wertschätzung für regionale pflanzliche Lebensmittel erhöhe.
Außerdem sei die Diversität von Gemüsesorten in Gemeinschaftsgärten in der Regel größer als in der Landwirtschaft, in der meist mit wenigen Hochertragssorten gearbeitet wird, weil oft verschiedene, auch mal ältere Sorten gepflanzt werden oder Saatgut unter den Gärtner*innen getauscht wird. »Das erhält die Sortenvielfalt«, erklärt Kliem. Schließlich würden private Gärtner*innen für gewöhnlich nachhaltige Methoden zum Anbau und gegen Schädlinge nutzen. »Wir gärtnern ökologisch, ohne chemischen Dünger, mit torffreier Erde und vermitteln das auch weiter«, bestätigt Pauline Schlautmann.
Ein besonderes Projekt im Himmelbeet, das gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin entwickelt wurde, ist der Salatturm: Hier wachsen die Salatköpfe nicht nebeneinander aus der Erde, sondern übereinander aus einer Säule, die mit Wasser und Nährstoffen gefüllt ist. Dafür wird Regenwasser vom Café-Dach gesammelt, sodass sowohl Fläche als auch Wasser eingespart werden können. Einen ähnlichen Turm gibt es auch im Gleisdreieck-Park in Kreuzberg, für den allerdings das Wasser aus den Duschen der Sportanlagen gereinigt und zur Bewässerung weitergenutzt wird. Mit solchen platzsparenden »Vertikalfarmen« könnte ganz Berlin auf einer Fläche von 26 Hektar mit Salat versorgt werden – im klassischen Feldanbau wären es 836 Hektar.
In den nächsten Wochen sollen der Salatturm, genau wie Pacht- und Gemeinschaftsbeete, ein Gewächshaus mit Jungpflanzenverkauf sowie eine Terrasse und das Café, im neuen Himmelbeet in Gesundbrunnen wieder aufgebaut werden. Langfristig gesichert ist aber auch dieser Standort nicht – fürs Erste hat das Himmelbeet auch hier nur einen Zwischennutzungsvertrag über fünf Jahre.
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