Ukraine-Versteher verlässt Die Linke

Der frühere brandenburgische Finanzminister Helmuth Markov trat nach fast 50 Jahren aus der Partei aus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Liebe Genossinnen und Genossen, fast 50 Jahre lang war mir unsere Partei politische Heimat. In dieser Zeit habe ich 1990 mein Land, die DDR, verloren und jetzt euch.« So schreibt der ehemalige Europaabgeordnete und frühere brandenburgische Finanzminister Helmuth Markov (Linke) im April in einer E‑Mail, die über Umwege beim »nd« landete. Markov begründet in dem Schreiben seinen Austritt aus der Partei mit einem rasanten Entfremdungsprozess. Er fragt, wo denn die Proteste seiner Partei waren, als die Ukraine die abtrünnigen Republiken Luhansk und Donetsk beschoss und Tausende Menschen tötete und als sie der Krim das Wasser abstellte.

Helmuth Markov ein Putin-Versteher? Er versteht vielleicht die Motive des russischen Präsidenten Wladimir Putin, aber er rechtfertigt den russischen Angriff mit keiner Silbe. Markov ist besser gesagt ein Ukraine-Versteher. Denn der 69-Jährige hat fünfeinhalb Jahre am Polytechnischen Institut in Kiew studiert und dort 1976 sein Diplom als Ingenieur für elektrische Antriebe und Automatisierung von Industrieanlagen gemacht. Auch nach seinem Abschluss hatte er viel in der Ukraine zu tun und spricht Ukrainisch – Russisch übrigens auch. Die früheren Präsidenten Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch, aber auch die frühere Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko kennt er aus seiner Zeit als Europaparlamentarier (1999–2009) persönlich.

Aber beginnend mit der 2005 erfolgten Wahl des im Westen gefeierten Juschtschenko zum Präsidenten und mit dessen »verheerender nationalistischer Politik« – Markov nennt hier den Versuch, die russische Sprache zu verbieten – war dieses Land für Markov nicht mehr »meine Ukraine«. Die Korruption, der undemokratische Umgang mit Opposition und Medien, das störte Markov. Sicher, so erklärt er dem »nd« nun: »Schon als ich Student war: Der Nationalismus war sehr stark, die Judenfeindlichkeit war sehr stark. Das mag auch in anderen Sowjetrepubliken so gewesen sein. Das kann ich nicht beurteilen. Aber in der Ukraine war es damals so.« Seit 2005 sei der Nationalismus dann noch schlimmer geworden.

Aber auch wenn Markov seine innerliche Bindung an das Land seiner Studienjahre löste. Die persönlichen Bindungen sind geblieben. Sein bester Studienfreund, mit dessen Familie er viele Urlaube verbrachte, ist im vergangenen Jahr gestorben. Doch dessen Frau, Kinder und Enkel – vier Erwachsene und drei Kinder – flohen nach dem Ausbruch des Krieges nach Polen. Dort hat sie Markov Anfang März abgeholt und erst einmal in seinem Haus in der Gemeinde Oberkrämer aufgenommen. Am 1. April konnten die sieben in eine kommunale Wohnung in Hennigsdorf umziehen. Helmuth Markov und seine Frau helfen auch jetzt den Angehörigen seines verstorbenen Freundes, die noch kein Deutsch können, aber bereits Sprachkurse besuchen. Er fragt sich, wie ukrainische Flüchtlinge klarkommen, die allein auf die Bundesrepublik angewiesen sind. »Wenn sie keine freiwilligen Helfer hätten, würden sie hier gnadenlos untergehen«, ist Markov überzeugt. Bei allem, was mit der Stadt Hennigsdorf und ihrer Wohnungsgesellschaft zu klären gewesen sei, habe es aber am Ende ausgezeichnet funktioniert. Auch die Mitarbeiterin der dortigen Sparkassenfiliale habe die Eröffnung eines Kontos ermöglicht.

Doch die Servicestelle Migration des Landkreises Oberhavel ist in Markovs Augen eine »Migrations-Verhinderungsstelle«. Zwar bekomme die ukrainische Familie Sozialhilfe überwiesen, habe darüber allerdings bis heute keinen Bescheid erhalten. Den bräuchte die Familie aber, um für ein dreijähriges Mädchen in der Kita kein Essengeld bezahlen zu müssen und für die Klassenfahrt eines achtjährigen Sohnes eine finanzielle Unterstützung zu erhalten, ebenso, um von der Tafel Lebensmittel beziehen zu können. Auch klappe es bislang nicht mit der Übernahme der Kosten der Wohnung. »Betteln, bitten und beschweren – es hilft alles nichts«, berichtet Markov enttäuscht. »Wenn ich während der Sprechzeiten anrufe, nimmt niemand ab. Wenn ich eine E‑Mail schreibe, bekomme ich keine Antwort.«

Ob und wann die Familie in die Heimat zurückkehren kann? Das ist unklar. Ob Russen und Ukrainer jemals wieder in Frieden, sogar in Freundschaft miteinander leben werden? Markov ist überzeugt, dass dies möglich ist. Er erinnert an ein historisches Beispiel: Deutschland und Frankreich führten blutige Kriege gegeneinander, galten als Erbfeinde und sind nun gute Nachbarn. »Ich glaube, dass es Frieden zwischen Russland und der Ukraine geben wird. In welcher Form, das kann ich nicht absehen«, sagt Markov. In seinen Augen müsste es Verhandlungen auf zwei Ebenen geben: zwischen Russland und der Ukraine über den Umgang mit den umstrittenen Territorien und zwischen Russland, den USA, der EU und der Nato über die berechtigten russischen Sicherheitsinteressen.

Wenn der ehemalige Minister, zu dessen Ressort auch die Europapolitik gehörte, von berechtigten russischen Interessen spricht, was er sich nicht verbieten lassen will, und von der Verletzung der Minsker Abkommen durch die Ukraine, dann stellt er aber auch klar, dass Russland jetzt eindeutig der Agressor ist – seit dem Moment, als seine Truppen über die beiden abtrünnigen Republiken hinaus in die Ukraine vordrangen. »Das ist völkerrechtswidrig und durch nichts zu entschuldigen.«

Dass dann jedoch Politiker der Linken wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Lieferung von Waffen befürworten, war für Markov unerträglich. Damit seien die Grundwerte einer Friedenspartei verletzt. »Wer denkt, gegen einen Krieg sei etwas mit mehr Waffen zu machen, der irrt sich«, betont Markov. Auch mit Sanktionen könne man Russland nicht in die Knie zwingen. »Wer das glaubt, versteht dieses Land nicht. Selbstverständlich haben Sanktionen zunächst enorme Auswirkungen, insbesondere für die Zivilbevölkerung. Aber ein so großes Land mit so vielen Millionen Einwohnern kann, wie die Vergangenheit gezeigt hat, solche Schwierigkeiten überwinden.« Als Beispiel nennt Markov den Weizen, den Russland früher in großen Mengen importierte und inzwischen selbst so viel davon anbaut, dass es ihn ins Ausland verkaufen kann.

Der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in der er früher Abteilungsleiter war, bleibt Markov treu. Hier hat er kürzlich bei einer Mitgliederversammlung eine offene und ehrliche Diskussion über die Probleme der Zeit erlebt. Das hätte er sich so auch in der Partei gewünscht.

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