Zwei Verlierer in der Ampel

Regierungsbeteiligung im Bund ist allein für die Grünen ein Vorteil

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Einen Moment wirkt es so, als habe ausgerechnet Christian Lindner seine soziale Ader entdeckt. »Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, hier die Frage der Gerechtigkeit zu beantworten«, konstatiert der FDP-Vorsitzende selbstkritisch. Er steht am Montagmittag vor Journalisten in der Berliner Parteizentrale und analysiert die Gründe für den Absturz der Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen. Wenig gerecht war aus Sicht von Lindner, wie die Bundesregierung, der neben seiner Partei die SPD und die Grünen angehören, die Energiekostenpauschale ausgestaltet hat. Diese hilft zwar einigen Menschen, die unter den steigenden Preisen leiden. Aber die Rentner blieben außen vor. Auch aus diesem Grund meint Lindner, dass die FDP bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor allem bei älteren Menschen an Zustimmung verloren hat. Mit anderen Worten könnte man auch sagen: Wer nicht über große finanzielle Möglichkeiten verfügt und trotzdem die FDP gewählt hat, der dürfte nun in der Realität aufgewacht sein. Ein weiterer wichtiger Grund für das schwache Abschneiden der FDP ist die Wählerwanderung zur CDU.

Lindner merkt, dass die Regierungsbeteiligung im Bund seiner Partei nicht gut tut. Auch bei den Abstimmungen im Saarland und Schleswig-Holstein ist die FDP abgesackt. »Bundesweit liegen wir aber stabil bei zehn Prozent«, kontert der Parteichef und Bundesfinanzminister bei der Pressekonferenz. Da hat sich Lindner allerdings die Umfrage in den vergangenen Wochen gesucht, die ihm am besten gefällt. Andere Erhebungen sahen die FDP im Bund kürzlich nur noch bei acht Prozent. Obwohl die Lage also nicht rosig ist, stehen die Freien Demokraten zur Koalition. »Die Ampel war nie unser Wunschtraum«, räumt Lindner ein. Die Entscheidung, Teil der Bundesregierung zu werden, sei aus staatspolitischer Verantwortung getroffen worden. Nun verschärfen sich auch wegen des Krieges in der Ukraine die Krisen. »In einer solchen Situation stehen nicht unser parteipolitisches Interesse und Geländegewinne für die FDP im Zentrum, sondern das Land«, verkündet Lindner.

Eine weitere große Verliererin in Nordrhein-Westfalen ist die SPD. Aus Sicht von Parteichef Lars Klingbeil haben die Sozialdemokraten aber inhaltlich im Bund alles richtig gemacht. »Es gab an den Wahlständen in NRW viel Unterstützung dafür, dass wir Waffen an die Ukraine liefern und den Gasimport aus Russland nicht sofort stoppen«, erklärt Klingbeil im Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Er geht davon aus, dass die Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz von der Mehrheit der Bürger unterstützt wird. »Da brauchen wir keine Kurskorrektur«, stellt Klingbeil klar. Umfragen zeigen allerdings, dass die Zufriedenheit mit der Bundesregierung abnimmt. 47 Prozent der Teilnehmenden am ARD-Deutschlandtrend äußerten sich im April zufrieden oder sehr zufrieden. Das waren neun Prozentpunkte weniger als in der vorherigen Umfrage. 51 Prozent (plus zehn Punkte) gaben an, sie seien weniger oder gar nicht zufrieden. Gründe hierfür sind offensichtlich vor allem Sorgen der Bürger wegen der Inflation und des Krieges im Osten.

Doch die SPD sieht lediglich ein »Kommunikationsproblem«. »Das, was wir Gutes tun, müssen wir stärker kommunizieren«, so Klingbeil. In diesem Zusammenhang nennt er die »Entlastungspakete« und die Rentenerhöhung. »Wir stärken den sozialen Zusammenhalt«, meint Klingbeil. Die von der Bundesregierung vereinbarten Projekte Bürgergeld, Erhöhung des Mindestlohns und Einführung der Kindergrundsicherung würden noch kommen.

Nur die Grünen, die möglicherweise mit der CDU die neue Landesregierung stellen werden, gehören als Regierungspartei im Bund zu den Wahlsiegern in Nordrhein-Westfalen. Man muss auch feststellen, dass es den Grünen nicht schadet, dass sie sich schnell für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen haben. Im vergangenen Monat waren Wirtschaftsressortchef Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock laut Umfragen die beliebtesten Politiker in Deutschland.

Auch der anstehende Beitritt von Finnland und Schweden zur Nato wurde von den Grünen begrüßt. »Wir wollen, dass das Verfahren schnell abgeschlossen wird«, sagt Parteichef Omid Nouripour am Montag vor Journalisten. Auch die Aufrüstung der Bundeswehr wird an den Grünen nicht scheitern. Wegen andauernder Verhandlungen zwischen der Ampel-Koalition und der Union wird sich der Bundestag diese Woche aber noch nicht mit dem geplanten Sondervermögen für die Truppe befassen. Nouripour richtet einen Appell an die Konservativen. Ihr »Versagen« als Regierungspartei habe dazu beigetragen, dass die Bundeswehr in diesem jetzigen Zustand sei. Dass die Grünen einmal die Union von rechts in der Militärpolitik kritisieren werden, hätte vor der Bundestagswahl wohl kaum jemand gedacht. Allerdings hat Nouripour auch etwas für die linken Unterstützer seiner Partei zu bieten. Um gegen das zunehmende globale Elend und den Hunger vorzugehen, müssten auch Mittel für den Entwicklungsbereich angehoben werden.

Wegen der kleinen Krisen, in denen sich die Berliner Koalitionspartner SPD und FDP befinden, machen sich die Grünen offiziell keine großen Gedanken. Sie gehen davon aus, dass es wichtig für alle Regierungsparteien ist, dass sie gemeinsame Erfolge vorweisen können, bevor wieder der Wahlkampf im Bund beginnt. »Alle Beteiligten arbeiten eifrig und mit Verantwortungsbewusstsein«, berichtet Nouripour. Er mache sich »keine Sorge um das Nervenkostüm« seiner Koalitionspartner. Vielmehr sei das Vertrauen in der Bundesregierung zuletzt sogar gewachsen.

Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass die Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 im Unterschied zur kleineren FDP noch das Ziel ausgegeben hatten, mit Baerbock die Kanzlerin zu stellen. Daraus ist bekanntlich nichts geworden. Zu erwarten ist allerdings, dass irgendwann auch die Spannungen zwischen SPD und Grünen zunehmen werden. Denn die Parteien buhlen um ähnliche Wählerschichten und die Sozialdemokraten werden weiter hart darum kämpfen müssen, im Bund die Nase vorn zu haben.

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