- Politik
- USA
»Babys brauchen Muttermilch«
Wiederzulassung einer Fabrik und Bidens Notgesetz sollen Mangel an Babymilch entschärfen
Ein wenig Entspannung ist in Sicht. In den vergangenen Wochen hatte es in einigen Regionen der USA Lieferschwierigkeiten bei Babymilch gegeben. Nun hat Präsident Biden am Mittwoch ein Gesetz aus Zeiten des Korea-Krieges reaktiviert, um erhöhte Produktion zu ermöglichen, nachdem seine Regierung wegen Untätigkeit unter Druck geraten war. Das Repräsentantenhaus verabschiedete ein Notprogramm von 28 Millionen Dollar. Eine im Februar vorübergehend geschlossene US-Fabrik wurde wieder die Freigabe erteilt.
Die Hebamme Tanja Knutson aus Austin, Texas berichtet dem »nd« von einer »sehr stressigen Situation.« Grund ist die Schließung der Hauptfabrik von Abbott Nutrition in Sturgis, Michigan Mitte Februar wegen eines bakteriell verseuchten Produktes. Grund war zunächst der Tod von zwei Babys. Der Verdacht, dass die Todesfälle auf belastete Babymilch zurückzuführen sind, wird von der Firma bestritten. Die US-Arzneimittelbehörde (FDA) entdeckte aber Verunreinigungen und erhebliche Unregelmäßigkeiten, woraufhin die Fabrik geschlossen blieb. Am 16. Mai gaben die Behörden schließlich grünes Licht für die Wiederöffnung. Nur Tage zuvor erwiderten FDA-Sprecher dem langen Twitter-Statement der Firma Abbott scharf, dass die Erkrankung der Babys mit ihrem Produkt nicht zusammenhing.
Seit der Schließung müssen Knutsons Mandantinnen lange Auto fahren, um an die Nahrung zu kommen. »Allein auf neue Produkte umzustellen verursacht oft erhebliche Magenverstimmungen für die Babys.« In einem Kinderkrankenhaus in Memphis, Tennessee wurden zwei Kleinkinder wegen falscher Ernährung durch Ersatzmilch behandelt. Die Stillberaterin Quetzal Currie in New York City berichtet dem »nd« von einer »desaströsen Situation« und begrüßte die Wiedereröffnung der Abbott-Fabrik.
In südtexanischen San Antonio ist die Situation noch drastischer. Dort sind die Engpässe mit rund 60 Prozent nach Informationen von Einzelhändler-Analyst Datasembly gravierender als irgendwo sonst. Das erhebliche Gefälle rührt daher, dass viele Mütter der relativ armen Stadt bereits nach wenigen Wochen wieder arbeiten müssen. Nur ein Viertel der Arbeiter*innen landesweit hat bezahlten Familienurlaub. Ausgerechnet in solchen Städten wie San Antonio, berichtet die Organisation »Any Baby Can«, klettern die Preise mancher Sorten Babynahrung auf bis zu 100 Dollar die Dose. Es entsteht ein immer größerer Schwarzmarkt.
Schlagzeilen machte der tragische Fall einer Familie vergangene Woche in Monroe, Louisiana. Die Eltern eines fünf Wochen alten Säuglings wurden des Diebstahls von Babynahrung bei Walmart bezichtigt. In ihrem Auto flüchteten sie vor der polizeilichen Kontrolle. Wenig später bei der Verfolgung kam es zu einem Autounfall, wobei der Vater und das Baby starben. Die Mutter wurde verhaftet und wegen Totschlags angeklagt.
Die staatliche Beteiligung an der Krise ist nicht gering, auch wenn die Behörden wohlwollend handelten. Die WIC, die Behörde für Frauen, Säuglinge und Kinder, hat über die Jahre ein großes Programm für subventionierte Babynahrung für Geringverdienende – und damit allzu oft Geringstillende – Mütter. Die Hälfte der Konsumenten von Babymilch werden von der WIC subventioniert; das entspricht 1,7 Millionen Säuglingen. Als Großabnehmer trug der Staat zu einem konzentrierten Markt bei. Abbot, Nestlé, Mead Johnson und Perrigo beherrschen zusammen 89 Prozent des Marktes.
Abbot Nutrition meint, dass nach der FDA-Erlaubnis vom 16. Mai die Produkte schon nach acht Wochen wieder in den Regalen sein könnten. Bidens Notgesetz privilegiert nun Babymilch-Hersteller bei Lieferkettenengpässen und sichert zusätzlichen Flugtransport für Importe aus dem Ausland. Die linke Website »The Intercept« kritisiert die Wiederaufnahme der engen Kooperation trotz unbewältigten Zuständen.
Unvermeidlich rückt die Krise ins Visier der Wahlkämpfer in diesem Jahr. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, zusammen mit dem Chef des Rats für die texanische Grenzkontrolle in dieser Woche: »Präsident Biden hat jetzt seine blinden Augen auf die Tatsache geworfen, dass Mütter und Väter panisch die Läden nach Babynahrung abklappern. Doch die Biden-Regierung ist sehr zufrieden, Babynahrung an illegale Einwanderer an unsere Grenze liefern zu können. (US)-amerikanische Eltern haben es verdient, als erste bedient zu werden.«
Andere US-Amerikaner reagieren ganz anders. Karla Barber von der Gruppe »Witness at the Border« berichtet den »nd«: »Wieso werden Babys in Texas überhaupt interniert?« Tanja Knutson berichtet dem »nd«: »Ich werde von einigen, sehr altruistischen Müttern kontaktiert, die ihre eigene Brustmilch an Bedürftige verteilen wollen.« Knutson leitet diese Fälle an die Organisation »Eats on Feets« in Arizona weiter, die ehrenamtlich Kontakte von Spendern und Abnehmern in US-Gemeinschaften vermittelt. Die Hebamme und Gründerin von Eats for Feets, Shell Walker Lutrell, behauptet schlicht: »Babys brauchen Muttermilch. Punkt.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.