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Stuttgart ist die Zukunft

Digitale Signaltechnik soll für mehr Züge auf den Gleisen sorgen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Bahnnetz der Region um Stuttgart wird in den nächsten Jahren zum modernsten der Republik aufgerüstet. In bisher in Deutschland nicht gekannter Konsequenz wird die herkömmliche Signaltechnik auf knapp 450 Streckenkilometern bis zum Jahr 2030 vollständig durch das moderne digitale System ETCS ersetzt. Das Kürzel steht für European Train Control System (ETCS), also Europäisches Zugkontrollsystem. Es ersetzt die bisher meist nationalen Technologien und kommt ohne herkömmliche Signale aus. Ohne Digitalisierung wäre der im Bau befindliche Tunnelbahnhof Stuttgart 21 nebst Zulaufstrecken weniger leistungsfähig als der bisherige Bahnhof. Es führt also an der Einführung kein Weg vorbei, wenn das Angebot ausgebaut werden soll.

»Das ist ein Thema, was zunächst einmal die dicht befahrenen Strecken in Berlin betrifft«, sagt Hans Leister vom Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg, das einen ambitionierten Angebotsausbau auch in der Region fordert und Konzepte dafür entwickelt hat. Wie viele Züge im Herzen des Eisenbahnknotens Platz haben, das betreffe »maßgeblich die, die draußen wohnen und heute noch zu hören bekommen: Mit Eurem Zug braucht ihr euch gar nicht anstellen, den bekommen wir sowieso nicht auf die Stadtbahn oder in den Nord-Süd-Tunnel«.

»Deutschland ist ein Land mit einer total veralteten Stellwerksstruktur. Ungefähr ein Drittel der Stellwerke sind uralt und gehören wirklich sofort ins Museum. Dass die immer noch zuverlässig funktionieren, ist fast ein Wunder«, sagt Leister bei einer kützlich abgehaltenen Online-Veranstaltung des Bündnisses. Beim nötigen Technologiesprung könne man »nebenbei noch erreichen, mehr Züge auf die Schiene zu bekommen«. Allerdings nur, wenn das System »gesamtheitlich gesehen wird«, so der Eisenbahnexperte.

Über die Stuttgarter Erfahrungen und Ansätze berichtet bei der Veranstaltung Anfang Mai Peter Reinhart von der Deutschen Bahn, der Mitglied der »Gesamtprogrammleitung digitale Schiene« in der Schwabenmetropole ist. Sie kümmert sich nicht nur, wie es bisher üblich war, um die Infrastruktur, sondern hat genauso die Fahrzeuge und systemtechnische Aspekte im Blick.

»Wir bauen ETCS ein, müssen keinen Meter neues Gleis bauen und schwuppsdiwupps haben wir bis zu 40 Prozent mehr Kapazität«, sagt Peter Reinhart über die »hochtrabende Erwartungshaltung«, die »nicht nur in der Politik, sondern im Bereich unseres eigenen Managements« vorherrsche. Doch Erfahrungen bei bisherigen Umrüstungen zeigten, dass ohne eine gesamtheitliche Planung die Streckenkapzität sogar sinken und die Einführung zu lang anhaltenden Problemen mit der Betriebsqualität führen kann.

»Wir leiden in Deutschland oft daran, dass wir vor den letzten fünf bis zehn Prozent stehenbleiben, weil wir übermäßig sparen oder mit einer Wahnsinnsbegeisterung eine mathematisch scheinbar topoptimierte Lösung erreichen wollen«, sagt Reinhart. Änderten sich dann die Anforderungen, sei »alles wieder mehr oder minder wertlos«.

In Stuttgart, wo die Überlegungen um das Jahr 2015 begannen, will man Ende 2024 den digitalen Betrieb auf 125 Streckenkilometern aufnehmen. Man verzichte »ganz bewusst auf konventionelle Lichtsignale«, berichtet Reinhart. Nicht nur, weil man so »massiv Kosten« spare und »Restriktionen aus den alten Systemen nicht nach ETCS« hineinschleppe, sondern auch ein rein digitales System stabiler laufe als ein konventionelles», wenn Kinderkrankheiten behoben sind und es sich eingeschwungen hat«.

Optimiert worden ist das Gesamtsystem aus Gleisen, Weichen, Signal- und Betriebstechnik sowie Fahrzeugen an vielen kleinen Stellschrauben, um deutlich mehr Kapazität herauszuholen. Ein schneller Regionalzug soll so tatsächlich eine S-Bahn während ihres rund halbminütigen Halts auf dem Nebengleis am Bahnhof überholen können. Bisher ist das kaum möglich.

»Allein die Nachrüstung von 333 Triebzügen der S-Bahn und des Regionalverkehrs in Stuttgart ist ein gewaltiger Kraftakt«, sagt Reinhart. Ein so »riesiges Programm« habe es in Deutschland noch nie gegeben. Die Züge werden an fünf Standorten umgerüstet. »Die Fahrzeuge gehen für ein paar Wochen raus, werden auseinandergerissen, alle Kabelkanäle rausgerissen, sechs, sieben Kilometer neue Kabel und Komponenten verbaut«, schildert Reinhart. Es ist auch ein Kraftakt finanzieller Natur. Mehrere Hunderttausend Euro kostet der Umbau pro Zug. Die Finanzierung für das Kernprogramm bis 2025 steht. Offen ist sie teilweise noch für die zweite Stufe bis 2030, die über 300 Streckenkilometer und rund 1000 Fahrzeuge betreffen wird.

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