Entlastung jetzt

Die Beschäftigten der Universitätskliniken streiken für bessere Arbeitsbedingungen

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Krankenhausstreik an Nordrhein-Westfalens sechs Unikliniken geht in die vierte Woche, aber bisher schien es fast niemanden zu interessieren. Der Streik hat es dank 300 philippinischer Beschäftigter an der Uniklinik Bonn sogar ins dortige Fernsehen geschafft, hiesige Medien berichten bisher eher spärlich.

Der Druck auf die Arbeitgeberseite ist jedoch mittlerweile so angestiegen, dass am Freitag zum ersten Mal konkrete Verhandlungen über die Forderungen der Beschäftigten aufgenommen wurden. Über erste Ergebnisse gab es bis zum Redaktionsschluss noch keine Informationen. Die Beschäftigten kämpfen trotz hoher Inflation nicht für mehr Geld. Vielmehr wollen sie mit einem Tarifvertrag Entlastung reale Verbesserungen der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen und damit auch der Versorgung der Patient*innen erreichen. 

Seit 2018 gab es in den Universitätskliniken Düsseldorf und Essen Vereinbarungen zur Entlastung. Verdi hatte diese zu Ende März gekündigt und dies damit begründet, dass sie nicht zu den vereinbarten Entlastungen geführt hätten. Die Beschäftigten in Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen und Münster haben daher für die jetzige Verhandlungsrunde in ihren jeweiligen Teams Sollbesetzungen für ihren spezifischen Bereich festgelegt. Ihre Unterschreitung soll im Rahmen des Tarifvertrags Entlastung zu realen Konsequenzen und spürbarer Entlastung in Form von bezahlten Urlaubstagen führen. Es geht aber nicht nur um die Pflege: Auch die Beschäftigten im Krankentransport und der Logistik streiken.

Erschöpfung, Stress und unverantwortliche Unterbesetzung von Stationen waren bereits vor der Corona-Pandemie Probleme der Beschäftigten. Die Schere zwischen der Pseudo-Anerkennung durch Klatschen vom Balkon und der fehlenden realen Wertschätzung oder einer Aussicht auf eine Verbesserung der Lage ist durch die Pandemie noch einmal spürbarer geworden.

Die Kolleg*innen hatten ihren Kampf für eine Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen schon im Januar mit einem »100-Tage-Ultimatum« begonnen. Ihr Ziel, einen Abschluss noch vor den Landtagswahlen zu erreichen, konnten sie nicht erreichen. Alle sechs Unikliniken sind im Besitz des Landes NRW, die Politik ist also ein wichtiger Ansprechpartner. Im Wahlkampf beteuerten alle Parteien die Bedeutung einer realen Entlastung für die Beschäftigten, Auswirkungen hatte dies jedoch nicht.

Die Beschäftigten hoffen, dass durch bessere Arbeitsbedingungen ehemalige Kolleg*innen wieder in den Beruf zurückkehren. Einer neuen Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge könnte eine Verbesserung des Arbeitsalltags ausgestiegene Pflegekräfte zum Wiedereinstieg motivieren. Die Stiftung rechnet mit mehr als 250 000 Vollzeit-Pflegekräften durch Rückkehr in den Beruf. Die befragten Ehemaligen nennen mehr Zeit für eine qualitativ hochwertige Pflege durch eine bedarfsgerechte Personalbemessung als wichtigste Bedingung für eine Rückkehr. Die Streikenden in Nordrhein-Westfalen treffen also den Nagel auf den Kopf.

Sie haben zudem ähnliche Forderungen und Strategien wie die Krankenhausbewegung in Berlin im vergangenen Jahr. Die Beschäftigten der Charité und der Vivantes-Kliniken konnten Entlastungstarifverträge abschließen, die als wegweisend gelten.

Der Erfolg der Berliner Krankenhausbewegung sei wichtig für die Motivation der Kolleg*innen gewesen, sagt Albert Nowak, Pfleger auf der Intensivstation an der Uniklinik Köln im Gespräch mit »nd.dieWoche«. Die Kolleg*innen hätten ihre Forderungen basisdemokratisch selbst miteinander entwickelt, auch das gebe Mut und Selbstvertrauen. Nowak nennt es einen ersten Erfolg des Streiks, dass die Arbeitgeber jetzt konkret verhandeln würden. Vor kurzem hatten sie noch gefordert, der Streik müsse ausgesetzt werden, bevor verhandelt werden könne. »Die Stimmung ist gut, die Beteiligung stabil«, so Nowak: »Denn die Kolleg*innen wissen: Nicht der Streik gefährdet Patient*innen, sondern der Normalzustand.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!