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- Die Partei und sexuelle Gewalt
Ganz normaler Machtmissbrauch
Missbräuchliche Videos mit Minderjährigen: Die Partei zieht nach einer Medienrecherche zu Dirk Waldhauer Konsequenzen
Es kann einem speiübel werden, wenn man die »Ippen Investigativ«-Recherche über den Die-Partei-Politiker Dirk Waldhauer liest. Über einen Zeitraum von 14 Jahren soll er Minderjährige und junge Frauen für sexuelle Handlungen bezahlt, sie bedrängt und Videos davon gegen ihren Willen ins Internet gestellt haben. Mindestens ein Video zeigt nach Einschätzungen von Strafanwältinnen – die »Ippen Investigativ« befragt hat – eine Vergewaltigung, andere sexuelle Nötigung. In Gesprächen mit der Journalistin Isabell Beer streitet Waldhauer Vorwürfe teilweise ab, gibt aber auch vieles zu. Zum Beispiel sagt er, er hätte als 40-Jähriger wissentlich Sex mit einer 14-Jährigen gehabt, weil er ihr Alter eine zeitlang nicht gewusst hätte. Da sei das »Kind schon in den Brunnen gefallen«. Der Missgriff des Sprichworts ist hier nur nebensächlich – spricht aber auch Bände.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Nur eines der damals minderjährigen Opfer lässt sich im Artikel zitieren. Sie lebt heute noch verschämt und zurückgezogen, erzählt sie. Denn die Videos, denen man laut Recherche selbst entnehmen könne, dass die Dargestellten einer Veröffentlichung widersprochen hätten, sind oft mit den Klarnamen der Mädchen und Frauen versehen, teils sogar inklusive Adressen. Der Machtmissbrauch des Satirepartei-Politikers spricht aus allen Zeilen. Genauso wie seine fehlende Einsicht. Es sind die üblichen Rechtfertigungsversuche: Sie hätten es ja auch gewollt, das sei alles nur Show und abgesprochen gewesen. Er gibt zu, eine Frau mit menschenverachtenden, rassistischen und sexistischen Sprüchen beschriftet zu haben. Der Beschuldigte sagt dazu: »Ich weiß, was ich da drauf geschrieben habe. Und ich wollte das auch nicht unbedingt. Aber bei den richtig Perversen zieht’s halt und bringt ein paar Klicks und ein bisschen Geld.« Beschimpfungen der Mädchen und Frauen in den Videos bezeichnet er als »Running Gags« und »Scherze«.
So widerlich diese Geschichte auch ist, ein großes Problem ist vor allem der Umgang der Satirepartei damit. Schon 2017 wurde öffentlich, dass Waldhauer Pornos von sich mit »jugendlichen Protagonistinnen« online stellte. Der Landesvorsitzende aus Thüringen sagte damals, das sei seine »Privatsache«. Jetzt zieht die Partei Konsequenzen. Besser spät als nie – und doch zu spät: Der Landesvorsitzende Eggs Gildo ist am Tag nach der Veröffentlichung der Recherche zurückgetreten, die verbleibenden Vorstandsmitglieder wollen bei den kommenden Vorstandswahlen nicht mehr antreten. »Die Partei Thüringen solidarisiert sich uneingeschränkt mit allen Betroffenen sexualisierter Gewalt und verspricht vollständige Aufklärung«, heißt es in einer Erklärung. Man habe zwar gewusst, dass Waldhauer pornografische Videos drehe, nicht aber, dass es sich dabei teils um Vergewaltigungs- und Missbrauchsfilme mit minderjährigen Frauen handele.
Unabhängig davon, ob das stimmt: Hat man es denn wissen wollen? Die Partei wusste 2017 schon von seinen Pornofilmen. Damals trat Waldhauer in Thüringen als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl an. Ein Wahlplakat zeigt ihn zwischen den Beinen einer Frau in Strapsen. Hat niemand sich die Videos angeschaut, um zu prüfen, was der Parteigefreund dort veröffentlicht? Wenn ein Politiker junge Mädchen und Frauen zu sexuellen Handlungen drängt und gegen ihren Willen Videos davon veröffentlicht, ist das keine Privatsache – auch nicht, wenn es sich um eine Satirepartei handelt.
Sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen haben weniger mit Sex zu tun als mit Machtmissbrauch. Und der zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Das kann im Showbusiness passieren, am Gericht, im Politbetrieb, im Journalismus, im Büro, auf der Baustelle, in der Kirche oder in der linken Kneipe. Immer dann, wenn es ein Machtungleichgewicht gibt. Viel zu oft werden Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe normalisiert. Ob es sich jetzt um die Bildzeitung handelt, die Linkspartei, Die Partei oder um Jeffrey Epstein. Was all diese Vorfälle gemeinsam haben, ist, dass erst etwas passiert, wenn es massiven Druck durch die Öffentlichkeit gibt. Es ist notwendig, Betroffene endlich ernstzunehmen und reflexhaften Täterschutz aufzugeben. Dafür braucht es unabhängige Anlaufstellen und Berater*innen zum Thema an Kinder- und Jugendeinrichtungen und Arbeitsplätzen – nicht erst dann, wenn etwas passiert ist.
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