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Die zwei politischen Leben des Volker Bouffier

Hessens Ministerpräsident verlässt mit 70 Jahren die politische Bühne

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.
Tritt ab: Volker Bouffier
Tritt ab: Volker Bouffier

Seit dem Ende der Ära Angela Merkel befindet sich die CDU auf einer Sinnsuche. Wohin soll es für eine Partei gehen, die 16 Jahre lang die Politik der Bundesrepublik bestimmte? Inhaltliche Erneuerung? Zurück zu einer Programmatik, in der die Partei für einen kompromisslosen Kurs in der Innenpolitik stand, bei gesellschaftspolitischen Fragen sich so flexibel wie die katholische Kirche zeigte und Atomenergie als Zukunftstechnik feierte?

Dass die CDU in all diesen Fragen nicht mehr hinter die Antworten der Merkel-Ära zurückweichen kann, dämmert selbst Parteichef Friedrich Merz. Mit Trippelschritten lässt sich der 66-Jährige auf eine vorsichtige Modernisierung der Partei ein, aktuell ablesbar am vor wenigen Tagen durch den »Spiegel« veröffentlichten Entwurf der Präambel des neuen Grundsatzprogramms. Beschließen will es die CDU 2024. Wichtige Schlagworte darin? Klimaschutz, Gleichstellung, Teilhabe an der Gesellschaft. Ein bisschen klingt das wie bei den Grünen. Das ist kein Zufall.

Einer, der dafür indirekt den Weg ebnete, verabschiedet sich am Dienstag nach 40 Jahren aus der Politik: Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen. Zwölf Jahre war er Regierungschef, davor elf Jahre Innenminister unter dem konservativen Hardliner Roland Koch. Um die politische Lebensleistung des sich aus der Politik schrittweise zurückziehenden 70-Jährigen – den Vorsitz im CDU-Landesverband gibt er Anfang Juli ab – ehrlich bewerten zu können, ist es sinnvoll, von den zwei politischen Leben des Volker Bouffier zu sprechen. Die Frage, wie viel Modernisierung die CDU zulässt, musste er sich schon zu einer Zeit stellen, als das Ende der Merkel-Ära noch fern war.

Vor dem Ministerpräsidenten Bouffier galt Hessen seit den 80er Jahren als ein Bundesland mit unverrückbaren politischen Lagern. Unter Holger Börner kam es 1985 zur ersten Koalition zwischen SPD und den Grünen überhaupt, danach wechselten sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün in der Landesregierung ab, ehe 1999 Roland Koch fast elf Jahre das Land regierte, sechs davon in einer CDU-Alleinregierung, fünf in einer Koalition mit der FDP. Eine Konstante in dieser Zeit war ein hessischer Innenminister namens Volker Bouffier. Politisch standen sich beide Politiker zu dieser Zeit nahe.

Es war Bouffiers erstes politisches Leben, als Innenminister ist er lange auf einer Linie mit Roland Koch, steht für knallharte »Law and Order«-Politik. Er profiliert sich als Schrecken der Linken, bekommt den Beinamen »schwarzer Sheriff« und ist Mitglied der berüchtigten »Stahlhelm-Fraktion«, dem äußersten rechten Rand der CDU. Unter Innenminister Bouffier führte Hessen eine neue »Sicherheitsarchitektur« ein, was bedeutete: Die Polizei bekam erheblich mehr finanzielle Mittel, seit der Einführung des »Freiwilligen Polizeidienstes« dürfen sich Bürger*innen ehrenamtlich als Hilfssheriffs betätigen. Nach den New Yorker Terroranschlägen am 11. September 2001 führt Bouffier die Rasterfahndung ein und setzt auf mehr Onlineüberwachung und Datenspeicherung. Ein zentrales Überwachungsprojekt kassiert das Bundesverfassungsgericht 2008 als grundgesetzwidrig, Bouffier muss die anlasslose automatische Erfassung von Kfz-Kennzeichen wieder abschaffen.

Ebenso unnachgiebig tritt er in der Flüchtlingspolitik auf: Unter ihm als Innenminister lautete die Devise, schnell und konsequent Asylsuchende abzuschieben. 2006 und damit zwei Jahre vor einer bundesweit einheitlichen Regelung setzt Hessen auf einen Einbürgerungstest. Bouffier sah kein Problem darin, dass im vorgelegten Fragenkatalog verlangt wurde, zu wissen, worum es sich etwa beim »Wunder von Bern« handelt. Für einen Sportfan wie ihn mag das wichtig sein, auch wenn Bouffier in seiner Jugend statt zu kicken lieber Basketball spielte. Seine Karriere als Jugendnationalspieler endet mit 22 Jahren nach einem schweren Autounfall. Gesundheitlich soll ihn dieses tragische Ereignis bis heute belasten, genauso wie eine Krebserkrankung etliche Jahrezehnte später.

Das zweite politische Leben des Volker Bouffier beginnt am 12. Juni 2010. Auf einem Parteitag wird er mit 96 Prozent Koch-Nachfolger und verspricht einen neuen politischen Stil, wenn auch »keine Revolution«. Diese Selbsteinschätzung trifft es gut, die Erneuerung der hessischen CDU geschieht schleichend, an vielen Stellen auch alles andere als konsequent. Zunächst regiert Bouffier zwei Jahre mit der noch von Koch gebildeten schwarz-gelben Koalition weiter, auch wenn er einige CDU-Minister*innen in der Regierung auswechselt. Einer davon ist der neue Innenminister Boris Rhein. Zwölf Jahre später wird Bouffier diesen als seinen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen.

Den wirklichen Wandel vollzieht der einstige Law-and-Order-Minister aber erst nach der Landtagswahl 2013. Während die CDU leicht zulegt, verliert ihr Juniorpartner FDP massiv an Zustimmung, Schwarz-Gelb verfügt über keine Mehrheit mehr. Obwohl vieles zunächst nach einer großen Koalition mit der SPD aussieht, wagt Bouffier ein politisches Experiment. Die CDU geht ein Bündnis mit den Grünen ein, nach dem Stadtstaat Hamburg war es die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland. Im Gegensatz zu den hanseatischen Konservativen, deren Regierung nur zwei Jahre hielt, besteht die politische Zusammenarbeit von CDU und Grünen in Hessen seit mittlerweile neun Jahren. Neben Bouffier gilt der Grüne Fraktions- und Parteichef Tarek Al-Wazir als Architekt jener Koalition, die aktuell als Vorbild bei den Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dient.

2020 hieß es in der »Frankfurter Allgemeinen«, dass Schwarz-Grün in Hessen allerdings nicht von echten Kompromissen getragen werde, sondern »auf dem System des Kuhhandels« beruhe, bei dem jede Seite ein paar Wünsche frei habe. Blöd nur, dass die Grünen bei zahlreichen auch jenseits der Landesgrenze diskutierten Themen oft den Kürzeren zogen. Brisanteste Beispiele sind die Konflikte um die Rodung des Dannenröder Waldes für den Weiterbau der Autobahn 49 und der Ausbau des Frankfurter Flughafens.

Politisch ebenso für Schlagzeilen sorgen seit Jahren zahlreiche Probleme mit Rechtsextremist*innen bei der hessischen Polizei sowie der Umgang mit der Aufarbeitung der NSU-Terrorserie. Die tödlichen Schüsse auf Halit Yozgat 2006 in Kasel fallen in Bouffiers Zeit als Innenminister. Erst zwölf Jahre später sollte herauskommen, dass der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme kurz vor oder während des Mordes vor Ort war. Bouffier hatte die damaligen Ermittlungen gebremst, etwa durch einen Sperrvermerk verhindert, dass die von Temme betreuten V-Leute befragt werden konnten. All das kam erst 2018 ans Licht, dem Ministerpräsidenten schadete dies nicht.

Zuletzt gefiel sich Bouffier vor allem in der Rolle des altersmilden Landesvaters, der auf Presseterminen Hände schüttelt und versucht, in Interviews ein Selbstbild von sich zu zeichnen, dass ihm der Wandel vom harten Parteirechtsaußen zum Unterstützer einer liberaleren CDU gelang. Völlig falsch ist seine Einschätzung nicht: Bouffier galt in den letzten Merkel-Jahren als ihr Unterstützer, Gleiches galt für ihre Kurzzeit-Nachfolgerin im Amt der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und danach für Armin Laschet. Für eine tiefgreifende Modernisierung der Partei ist dies allerdings noch lange nicht genug.

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