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»Abnutzung« nach 100 Tagen Krieg
USA liefern der Ukraine hochmoderne Raketensysteme – mit kontrollierbarer Wirkung
Trotz verheerender Führungsfehler und unter großen Opfern kämpft sich Moskaus Militär im Osten der Ukraine voran. Die Aggressoren haben sich festgesetzt im für die vollständige Eroberung des Donbass strategisch wichtigen Sewerodonezk. Es werden verstärkte Angriffe auf den Ballungsraum um Slowjansk und Kramatorsk gemeldet. Da die dort kämpfenden ukrainischen Truppen keinen Rückzug antreten, droht Einkesselung und Vernichtung.
Am Freitag wird die Anzahl der Kriegstage dreistellig. Allein die Tatsache, dass Kiews Streitkräfte den russischen Angreifern bereits so lange energischen Widerstand entgegensetzen, ist ein Erfolg. Maßgeblich zum Abwehrerfolg beigetragen hat die flexible Taktik der ukrainischen Einheiten, die der schwerfälligen, weil traditionellen Kriegführung der russischen Führung überlegen ist.
Anfangs wurde die russische Militärlawine vor allem durch eine hinhaltende Verteidigung und Attacken kleiner hochmobiler Spezialkräfte zum Stehen gebracht. Inzwischen trägt die ukrainische Artillerie, die zunächst vor allem mit Waffen aus Sowjetzeiten ausgestattet war, die Hauptlast des Abwehrkampfes. Man nutzt zur Zielaufklärung wie zur Führung der weit auseinandergezogenen und daher von russischer Seite nur schwer bekämpfbaren Batterien eigene Software und extrem treffsichere, weil endphasengesteuerte Munition. Bei der Leitung des Feuers erweist sich das vom US-Raumfahrtunternehmen Space X – es gehört dem Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk – betriebene Satellitennetzwerk als besonders hilfreich. Versuche zur Störung der Kommunikation durch russische Cybertruppen scheiterten bislang.
»Der Krieg ist ein Artillerieduell, das wir nicht verlieren dürfen«, heißt es in einer Medienbotschaft der sogenannten Schwarzen Kosakenbrigade. Zwar habe der Feind viele Geschütze, doch die Kraft liege nicht in der Quantität, sondern der Qualität. Dazu präsentiert man der Presse eine M 109-Panzerhaubitze, die von Norwegen geliefert wurde. Schon früh haben die USA M777-Haubitzen samt Munition geliefert, Kanada tat dergleichen, Polen, Italien und die Slowakei spendeten selbstfahrende Geschütze, Deutschland bildet ukrainische Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 aus. Man will gemeinsam mit den Niederlanden ein rundes Dutzend dieser Geschütze liefern. Alle haben das Nato-Standardkaliber von 155 mm. Das erleichtert den Nachschub. Der ist immens.
Die Ukraine will aber mehr, vor allem moderne, in Nato-Staaten produzierte Kampf- und Schützenpanzer samt Führungs- und Logistiksystemen. Doch solche Lieferungen lassen die Absprachen in der Kontaktgruppe auf der US-Basis Ramstein nicht zu. Deren Entscheidungen müssen von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bestätigt werden. Nicht nur in Washington fürchtet man, Moskau könnte die Nato als Kriegspartei betrachten, wenn die ukrainischen Truppen mit westlichen Offensivwaffen Angriffe auf russisches Staatsgebiet starten. Offenbar traut man dem russischen Präsidenten zu, in einem solchem Fall taktische Atomwaffen einzusetzen
Irgendwann wird man mehr erfahren über die Absprachen aus den Geheimgesprächen zwischen dem Pentagon und dem russischen Generalstab. Ein Gastbeitrag von US-Präsident Joe Biden in der »New York Times« macht schon jetzt einiges deutlich: »Wir handeln schnell, um der Ukraine eine beträchtliche Menge an Waffen und Munition zu schicken, damit sie auf dem Schlachtfeld kämpfen und am Verhandlungstisch in der stärkstmöglichen Position sein kann. Deshalb habe ich beschlossen, dass wir den Ukrainern fortschrittlichere Raketensysteme und Munition zur Verfügung stellen werden, die es ihnen ermöglichen, Schlüsselziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine genauer zu treffen.«
Ziele treffen in der Ukraine, nicht aber in Russland! Bereits vor einigen Wochen hatten die Ukraine von den USA sogenannte High Mobility Artillery Rocket System (Himars) erbeten. Stückpreis 5,1 Millionen US-Dollar, Reichweite zwischen 300 und 500 Kilometer. Die hochmodernen Waffen aus Beständen der US-Armee wurden vor Wochen zugesagt, doch die Raketenwerfer gehen erst jetzt auf die Reise – nachdem sichergestellt ist, dass die Ukraine nur Raketen mit einer maximalen Reichweite von 70 bis 80 Kilometer bekommt.
Biden betonte in seinem Artikel auch: »Ich werde die ukrainische Regierung weder privat noch öffentlich unter Druck setzen, irgendwelche territorialen Zugeständnisse zu machen. Das wäre falsch und widerspräche den etablierten Prinzipien.« Damit wandte er sich an Kiew und Moskau zugleich. Doch welche Taktik verfolgen die USA und die Nato-Allianz tatsächlich? Die Zeichen weisen zwingend in Richtung Verhandlungstisch. Es gibt keine Alternativen zu einem Waffenstillstand und langfristig zu einem »Minsk 3«-Prozess. Doch bevor Russlands Präsident Wladimir Putin sich dazu bequemt, muss er – aus Moskauer Sicht – noch einige propagandistisch verwertbare Erfolge vorweisen können. Aus Sicht Washingtons müssen den russischen Truppen jetzt noch ein paar herbe Niederlagen beigebracht werden, damit Moskau verhandlungsbereit wird. 100 Tage nach Kriegsbeginn macht der Begriff »Abnutzungskrieg« die Runde.
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