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Mit vollem Mund
Aus dem Netz gefischt: Ein rassistischer Auftritt von MontanaBlack
Vor einem Monat hat MontanaBlack ein Video veröffentlicht, in dem er eine »SternTV«-Sendung zum Thema »Kulturelle Aneignung« kommentiert, die am 1. Mai auf Youtube gepostet wurde. Sein Video ist der Zusammenschnitt eines Lifestreamchats. Anlass der »SternTV«-Sendung war, dass Fridays for Future in Hannover die weiße Sängerin Ronja Maltzahn wegen ihrer Dreadlocks von einem Konzert ausgeladen hatte. Dreadlocks seien ein Zeichen schwarzen Widerstands, erklärten die Aktivisten. Wenn weiße Menschen Dreadlocks trügen, sei das eine Form der »kulturellen Aneignung«. Aber mit dieser White-Savior-Geste unterliefen die weißen Aktivisten ihr gut gemeintes antirassistisches Konzept.
Dass Kulturen einander durchdringen, ist in einer globalisierten Welt Alltag. »Kulturelle Aneignung« aber meint, dass eine vorherrschende Gruppe kulturelle Attribute einer Minderheit übernimmt, um diese beispielsweise kommerziell auszunutzen. Die beliehene Minderheit gewinnt dadurch aber weder mehr Anerkennung noch mehr Wohlstand. Oft wird das entliehene Attribut von seiner ursprünglichen Bedeutung entkernt und zum hohlen Modegimmick degradiert.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die »SternTV«-Sendung nimmt sich des Themas auf sehr ausgewogene Art an. In der Sendung tritt die Produzentin und Moderatorin Shanon Bobinger auf. Sie ist eine schwarze Deutsche, die Dreadlocks trägt und sich als Referentin für »Critical Whiteness« vorstellt. Das ist ein Konzept, das die Strukturen, die Rassismus ermöglichen und reproduzieren, beschreibt. Rassismus »passiert oft auf einer unbewussten Ebene und in der Rede oder in den Texten von Menschen, die sich als nicht rassistisch oder gar anti-rassistisch begreifen«, erklärt die Autorin Millay Hyatt in einem Text über Critical Whiteness. Genau diese unbewusste Ebene führt das Video des Youtubers MontanaBlack mustergültig vor. Das Video trägt den Titel »Bodenlos. REAKTION auf ›Sollten Weiße keine Dreadlocks tragen?‹«
Das Video beginnt mit einem sehr aufgebrachten MontanaBlack. Er schaut die Sendung offenbar zum wiederholten Male, denn er weiß bereits, was gleich kommt. Er isst, während er »SternTV« schaut und schimpft mit vollem Mund über das Thema. Dann erscheint Shanon Bobinger auf dem Bildschirm. Er stoppt das Video. Sein Kommentar: »Bruder, jetzt wird’s unangenehm.« Dann nimmt er Stellung zum Thema. Wenn man als Weißer etwas aus einer anderen Kultur nachahme, dann sei das Ausdruck von Liebe. Und das solle verboten werden? »Anscheinend ist es rassistisch für die, wenn ich abends mit meiner Familie afrikanisch esse.« Dann kündigt er Bobinger mit folgenden Worten an: »Was die jetzt labert, das tut wirklich weh!«
Shanon Bobinger meint dann, sie finde es problematisch, wenn Weiße schwarze Haarstile trügen, ohne sich Gedanken über deren Bedeutung zu machen. Hier wird das Video wieder gestoppt. MontanaBlack kommentiert: »Nein, junge Dame, wir müssen uns keine Gedanken machen, wenn wir Dreadlocks tragen! Warum soll ich mir darüber Gedanken machen, wenn ich eine Frisur trage, die aus eurer Kultur kommt?« Es habe nichts mit Rassismus zu tun, wenn ein Weißer sich Dreadlocks mache, betont der Youtuber: »Wir leben in einem freien Land und jeder kann hier das tragen, was er möchte, solange er niemanden damit diskriminiert.« Dass er Bobinger bereits mehrfach diskriminiert hat, scheint er nicht wahrgenommen zu haben. Und obwohl in »SternTV« kein einziges Mal ein Verbot gefordert wird, spricht MontanaBlack ständig davon. Er ist ein gekränkter weißer Mann, der seine Privilegien in Gefahr sieht. Whiteness ist ein privilegierter sozialer Status. Sie hat nichts mit Hautfarbe oder Herkunft zu tun. Sie ist ein State of Mind.
In der Sendung führt Shanon Bobinger das Beispiel Kim Kardashian an, die schwarze Körperattribute als Mode-Gimmicks verkaufe und damit viel Geld verdiene. Bobinger fordert Respekt. »Die Einzige, die respektlos ist, ist die Alte!«, kommentiert MontanaBlack Bobingers Ausführungen. Dann stoppt er das Video und wendet sich direkt an seine Zuschauer*innen. »Ist es nicht so, lieber Livestreamchat, dass es sehr rassistisch ist, was sie macht?« Sie verbiete weißen Menschen, das zu tun, was Schwarze machten. Was wäre, fragt er, wenn die Weißen den Schwarzen eine Frisur verbieten würden, die nur Deutsche tragen dürften? Dass Bobinger Deutsche ist, spielt für ihn hier offenbar keine Rolle. Seine Konklusion lautet: »Wir wären die größten Nazis aller Zeiten!«
Da sitzt ein gekränktes weißes Männlein in seiner Gamerhöhle und kommentiert wütend, rechthaberisch, rassistisch und frauenfeindlich eine Fernsehsendung, und am Ende steht die Feststellung, dass eine schwarze Frau, der er nicht einmal richtig zugehört hat, sich rassistisch verhalte. Eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Shanon Bobingers Aussagen entwertet er, bevor er sie überhaupt zu Wort kommen lässt. Dann konstruiert er mit seinen Aussagen ein »Wir« und ein »die Anderen«. »Wir« (die Weißen) müssen »uns« nicht rechtfertigen, wenn »wir« eine Frisur aus »eurer Kultur« (er meint die Schwarzen) tragen wollen. Und um alldem noch die Krone aufzusetzen, spricht er die 32 Jahre alte Bobinger als »junge Dame« an. Eine misogyne Entwertung der Sprecherin. Von Anfang an verdreht er die Rollen. Weiße würden von Schwarzen diskriminiert, die ihnen eine bestimmte Frisur verbieten wollten. Dabei, suggeriert MontanaBlack, müssten die Schwarzen darüber eigentlich froh sein, weil es ja ein Zeichen der Liebe sei, wenn man diese Frisur trage.
Kein Gedanke an die gemeinsame Geschichte von Schwarzen und Weißen. Eine Geschichte, in der Weiße die Schwarzen kolonisiert, versklavt, unterdrückt und ausgebeutet haben. Eine Geschichte, die bis heute andauert. Der Weiße findet es schwierig, wenn eine schwarze Frau Bewusstsein und Respekt bei der Aneignung schwarzer Attribute verlangt. Das sagt er, während er etwas isst. Das ist die hässliche Fratze der sozialen Netzwerke in einer Nussschale.
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