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Blut tropft im Paradies
Die Arbeiten des Künstlers Wolfgang Petrick sind seit jeher bunt, grotesk und motivisch prall gefüllt. Nun richtet das Wood Art Institute bei Hamburg ihm eine Retrospektive aus
Gewalt sowie deformierte und versehrte Körper finden sich in Wolfgang Petricks Werk zuhauf. Geboren im Januar 1939 in Berlin, sieben Monate vor dem Überfall Nazideutschlands auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, wuchs Petrick mit Bomben und Luftschutzkellern in einer am Ende völlig zerstörten Stadt auf. Diese Erfahrung scheint ihn und damit seine Malerei, Grafik und Skulpturen geprägt zu haben. Begriffe wie Ruhe, Harmonie und heile Welt lassen sich mit diesem Werk absolut nicht verknüpfen. Im Gegenteil ist es von einer furiosen Atemlosigkeit durchzogen; es ist ein Bilderrausch, der sich aus allem speist, was Petrick aus dem Mahlstrom von Geschichte, Kunst und Politik beeindruckt.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Gasmasken, Stiefel, Gewehre und chirurgisches Besteck sind Objekte, die immer wieder in seinem Werk auftauchen und als reale Gegenstände ihren Weg in seine Skulpturen gefunden haben. Nun wird Petrick, der von 1975 bis 2007 an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK) Malerei unterrichtete, im Woods Art Institute (WAI) im schleswig-holsteinischen Wentorf bei Hamburg eine Retrospektive ausgerichtet. Dieses wird vom Kunstsammler-Ehepaar Rik und Anna-Julia Reinking betrieben.
Inmitten einer Parkidylle liegen auf dem Gelände der Institution neben Häusern für Seminare und einer Malschule für Kinder die ehemaligen Gebäude eines Internats für Gehörlose, die heute den wechselnden Ausstellungen des WAI dienen. In einem Parcours durch viele ehemalige Klassenzimmer können die Besucher*innen anhand von Werkgruppen in grob chronologischer Folge den künstlerischen Werdegang Petricks nachvollziehen. Rik Reinking führt beim Pressetermin durch die umfangreiche Ausstellung und erläutert dabei nicht nur den Entwicklungsprozess im Werk des Künstlers, sondern auch die Genese seiner großen Sammlung von Petrick-Arbeiten. Anfangs war es vor allem die frühe expressive Malerei Petricks mit Anklängen an die Künstlergruppe Cobra um Asgar Jorn und Constant, die Reinking begeisterte. Dazu kamen dann Gemälde, die Petricks Faszination angesichts der vielfältigen Figurenkompositionen des fantastischen belgischen Malers James Ensor (1860–1949) zeigen – sie wirken skelettös, grotesk und auch diabolisch. Petricks Interesse weckten sie in einer Zeit, als das Informel und der Abstrakte Expressionismus die Kunstwelt im Nachkriegsdeutschland bestimmten.
1964 fand sich Petrick mit Ulrich Baehr, Hans-Jürgen Diehl, Karl Horst Hödicke, Markus Lüpertz und anderen Künstlern zur Gründung einer der ersten Produzentengalerien zusammen, in der die Künstler selbst ihre Werke ausstellten. Benannt war die Galerie Großgörschen 35 nach ihrer Adresse in Berlin-Schöneberg, unweit der Abteilung Kunstpädagogik der Hochschule der Künste in der Grunewaldstraße. Aus dem selben Jahr stammt das Gemälde »Paradies«, das in der Ausstellung im WAI zu sehen ist. Es zeigt einige der eingangs erwähnten deformierten Figuren. Es sind Hybride zwischen Mensch und Tier; einige spielen mit ihren krallenförmigen Extremitäten an ihren Genitalien. Blut tropft von einem triumphal hochgehaltenen Messer, mit dem einem anderen Wesen der Schädel geöffnet wurde. Das Paradies gleicht hier eher einem surrealen Inferno, allerdings in freundlich-bunten Farben. Bis heute ist in Petricks Werk nichts ausgeglichen oder sanft, stattdessen wirkt seine Kunst stets explosiv, expressiv und gewaltig.
Schon immer arbeitete Petrick mit verschiedenen künstlerischen Medien und Techniken. Neben der Malerei hat er sich auch der Druckgrafik stark verschrieben, die in der Ausstellung in beachtlichem Umfang zu sehen ist. Auch hier sieht man fratzenhafte Visagen, Disproportionen zwischen Gliedmaßen und Objekten, und eine Bild-in-Bild-Technik, die spätere Formen von Petricks Malerei bereits vorwegnimmt.
Das Werk des Künstlers zeigte Ende der 60er Jahre auch Einflüsse Richard Lindners, der als Vorläufer der Pop-Art gilt. Petrick jedoch befreite sich bald von allzu großer Nähe zu Lindner, um weiter seinen eigenen Stil auszubilden. Nun ist die ehemalige Turnhalle des Internats, die jetzt zum WAI gehört, komplett mit großformatigen Arbeiten aus den letzten 15 Jahren bestückt. Das neueste Gemälde musste noch feucht und unfertig, wie der Künstler kritisch anmerkt, nach Hamburg transportiert werden. Auffällig ist in der aktuellen Ausstellung Petricks Drang, die Bilder ins Dreidimensionale zu Assemblagen zu erweitern und nicht nur Fotokopien und Leinwandstücke aus früheren Gemälden zu inkorporieren, sondern ganze Objekte zu integrieren. Kreisförmige Anamorphosen scheinen wie ein Strudel die Motive zu verschlingen und andernorts wieder auszuspucken. Das wirkt gewohnt furios. Man kann also sagen: Petrick arbeitet sich bis heute an Wahnsinn und Exzess der Menschen ab.
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