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Spießrutenlauf für jugendliche Obdachlose
In Berlin leben viele junge Menschen auf der Straße. Kleinteilige Hilfsstrukturen machen es ihnen schwer, wieder auf die Beine zu kommen
Wenn es darum geht, wie viele Jugendliche in Deutschland und Berlin auf der Straße leben, bleiben nur Schätzungen. Mindestens 40 000 junge Menschen im Alter bis zu 28 Jahren sind laut der Stiftung Off Road Kids akut von Obdachlosigkeit bedroht oder bereits in diese abgerutscht. Wie viele von ihnen sich in der Hauptstadt durchschlagen, ist unklar. Insgesamt bringt Berlin jährlich zwischen 33 000 und 34 000 Wohnungslose unter.
»Ich glaube, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist, weil sich viele Betroffene überhaupt nicht an Hilfestellen wenden wollen oder können«, sagt der Streetworker Lasse John vom Straßenkinder e. V. auf einer Podiumsdiskussion in Berlin-Marzahn am Mittwoch. Die Berliner Zentrale für politische Bildung hat eingeladen, um über die Situation von wohnungslosen Kindern und Jugendlichen in der Hauptstadt zu sprechen.
Ihre Geschichten, sagt John, sind vielfältig: »Viele junge Menschen kommen gar nicht nur aus dem Ballungsraum Berlin, sondern aus ganz Deutschland.« Wenn die Stricke zur eigenen Familie reißen, führe der erste Weg meist in die Hauptstadt des eigenen Bundeslandes – und dann über neu erschlossene Verbindungen nach Berlin. »Das ist quasi das New-York-Phänomen, nur in Deutschland. Man geht eben in die Stadt aller Städte, um sich dort etwas Neues aufzubauen«, sagt John.
»Ich kenne einige im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die es erst einmal spannend finden, auf der Straße zu leben«, sagt Sebastian Wegendt vom Berliner Notdienst Kinderschutz. Viele junge Menschen erhofften sich vom Leben auf der Straße einen Schritt ins freie, selbstbestimmte Leben: »Gerade die Sommerzeit ist sozusagen der Klassiker für diesen Neustart.« Nach und nach rücke dann aber der tägliche Kampf in den Vordergrund, Erschöpfung stelle sich ein. »Wer das dann länger als einen Monat durchhält, hat seine Gründe, weshalb er nicht nach Hause zurückkehrt«, sagt Wegendt.
Häufig ist es Ärger in der Familie, der dafür sorgt, dass Jugendliche ihr Zuhause verlassen. Es gibt aber auch solche, die bereits eine Laufbahn in verschiedenen Jugendeinrichtungen hinter sich haben, wie Berit Hagmeister vom Gangway e. V. erklärt. Nicht wenige fänden sich mit 18 Jahren auf der Straße wieder, wenn die Unterstützung durch das Jugendamt abreißt. »Weil die Hilfe oft an einen Träger und eine Wohnung geknüpft ist, bedeutet die Volljährigkeit, dass die Jugendlichen ausziehen müssen. Das endet dann oftmals in der Obdach- oder Wohnungslosigkeit«, sagt Hagmeister.
Gerade in Berlin sorge die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt für zusätzliche Schwierigkeiten. »Wenn eine Familie ihre Wohnung verliert, hängen da natürlich auch die Kinder mit dran«, sagt Hagmeister. »Das kann einmal ein Räumungstitel sein, das kann aber auch mehr oder weniger unverschuldet sein, wenn das Gebäude abgerissen werden soll, weil lukrativere Wohnungen entstehen sollen.« Immer wieder scheitere dann die schwierige Suche nach einer neuen Bleibe in Berlin, die Menschen rutschten in die Obdachlosigkeit.
Nicht zuletzt sind es behördliche Abläufe, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Probleme stellen. »Es ist gängige Erfahrung, dass Hilfen hinausgezögert oder verwehrt werden«, sagt Lasse John. Erst jüngst habe er selbst erlebt, wie ein auf Antrag auf Jugendhilfe von Oktober vergangenen Jahres erst im Mai zu einer Unterbringung führte. Für die Obdachlosenhilfe planten einige Bezirke mehr, andere wiederum deutlich weniger Gelder ein: »Im Endeffekt scheint es die Wirtschaftlichkeit zu sein, die bestimmt, ob Menschen untergebracht werden oder nicht.«
Zudem verliert sich die Hauptstadt aus Sicht Johns in Kleinteiligkeit, es fehlten zentrale Anlaufpunkte: »Wir versuchen, für jede Angelegenheit eine neue Beratungsstelle zu schaffen, wobei es eigentlich sinnvoller wäre, gewisse Dinge zu bündeln.« Als Sozialarbeiter schicke er die Jugendlichen von einer Stelle zur nächsten. »Vom Sozialamt zum Jobcenter, gegebenenfalls zur Schwulenberatung – das geht immer so weiter«, sagt John. Vor allem bei eigentlich notwendiger psychologischer Betreuung stoße er regelmäßig an seine Grenzen. Beratungsplätze seien aber nur schwer zu finden: »Ich hätte wirklich gerne all diese Fähigkeiten, aber das geht halt einfach nicht.«
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