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Keine Fitness beim Klimaschutz
EU-Parlament muss Maßnahmenpaket in großen Teilen neu verhandeln
»Fit for 55« – das klingt nach einem Fitnessprogramm für ältere Semester. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein umfangreiches Maßnahmenpaket, mit dem die EU-Kommission die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent reduzieren will. Hierfür hat sie zahlreiche Vorschläge geliefert, doch schon jetzt ist klar: Sowohl im Parlament als auch in den Mitgliedstaaten regt sich Widerstand.
In dieser Woche befassten sich die Abgeordneten in Straßburg mit acht Gesetzesvorschlägen aus dem Klimaprogramm. Heiß diskutiert wurde das geplante Aus für Verbrennungsmotoren. Hier hatte die Kommission vorgeschlagen, die Emissionen bis 2035 auf null zu senken. Demnach dürften ab dann keine Benziner und Diesel mehr verkauft werden. Ein Albtraum für die deutsche Autoindustrie, die noch länger auf Verbrenner setzen will. Auch wenn Mercedes, VW und Co. offiziell die Klimaziele unterstützen: Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland mehr als 2,2 Millionen Diesel und Benziner produziert, aber nur 328 000 E-Autos.
Christdemokraten, Liberale und Rechte hatten bereits im Vorfeld ehrgeizigere Flottengrenzwerte verhindert. In der Parlamentsdebatte wurde klar, dass diese Allianz der Stinker auch den Verbrennungsmotor vor dem Aus bewahren wollte. Letztendlich stimmten am Mittwoch 339 Abgeordnete dafür, 249 dagegen und 24 enthielten sich. Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion, schimpfte dann auch nach der Niederlage: »Das vor allem von SPD und Grünen betriebene faktische Verbot von Verbrennungsmotoren ist ein Schlag ins Gesicht Hunderttausender Arbeitnehmer.« Noch ist aber nichts entschieden: Nun müssen sich die 27 Mitgliedstaaten im Rat mit dem Thema befassen. Gut möglich, dass es da noch »Nachbesserungen« gibt.
Bei der geplanten Reform des EU-Emissionshandelssystems (ETS) wird wirklich nachgebessert werden müssen, denn im Parlament fiel diese am Mittwoch durch. Ein zuvor eingefädelter Deal zwischen Konservativen und Liberalen scheiterte am Nein einer Mehrheit aus Grünen, Sozialdemokraten, Linken und Rechtsextremen – trotz gegensätzlicher Gründe für eine Ablehnung. Somit muss das Reformpaket zurück in den Umweltausschuss.
Derzeit deckt das ETS nur 40 Prozent aller europäischen CO2-Emissionen ab, weil lediglich Kraftwerke und Teile der Industrie berücksichtigt werden. Der Umweltausschuss hatte sich im Vorfeld darauf verständigt, künftig auch Gebäude und Verkehr zu erfassen. Eigentlich hatte man auch private Haushalte einbeziehen wollen, doch angesichts explodierender Energiepreise wollte man den Bürger*innen keine weiteren Abgaben zumuten. Das ETS beruht auf Zertifikaten, die die Anlagenbetreiber zum Teil umsonst erhalten, zum Teil ersteigern müssen. Die Menge der Zertifikate ist begrenzt und sinkt über die Jahre. Die Tonne des Klimagifts kostet am Markt derzeit 80 Euro. Schritt für Schritt soll die Ausgabe kostenloser Zertifikate eingestellt werden. Streit gibt es über das Wann und Wie.
Rechte, Liberale und Konservative, allen voran die CDU, traten hier auf die Bremse. Auch die Reduktionsziele wurden von ihnen abgeschwächt. Der Lobbydruck aus der Industrie war groß. So warnte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, vor einer »Verschärfung des CO2-Einsparungsziels«, was »eine Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen« sei. Nach dem Scheitern der ETS-Reform wurden weitere Teile des »Fit-for-55«-Pakets einkassiert. So der »Soziale Klimafonds«, der einkommensschwache Haushalte und kleine Unternehmen unterstützen soll. Allein für den Zeitraum von 2025 bis 2032 waren hier 72 Milliarden Euro vorgesehen, um Energiearmut zu lindern. Auch die geplante Steuer auf CO2-intensive Importwaren wurde nicht beschlossen. Martin Schirdewan, Vorsitzender der Fraktion The Left, zog eine ernüchternde Bilanz: »Konservative, Liberale und Rechte haben sich heute als willfährige Diener der Wirtschaftslobby erwiesen. Dem Klimaschutz ist ein Bärendienst erwiesen worden.«
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